Wie Moskau die russisch-orthodoxe Kirche in Transnistrien steuert

Glaube als geopolitisches Werkzeug

Wer verstehen will, wie Russland in seinen Nachbarschaften Macht ausübt, muss nicht nur auf Desinformationen schauen, sondern auch auf die Kirchenbänke. So auch in Transnistrien, einem De-facto-Regime in Südosteuropa.

Autor/in:
Annika Weiler
Panzerdenkmal in Transnistrien / © Annika Weiler (DR)
Panzerdenkmal in Transnistrien / © Annika Weiler ( DR )

Transnistrien entstand Anfang der 1990er-Jahre, als die Sowjetunion zerfiel. Viele Russen und Ukrainer im Osten entlang des Dnisterflusses fühlten sich von der neu unabhängigen, westlich orientierten Republik Moldau bedroht. Am 2. September 1990 erklärte Transnistrien seine Unabhängigkeit. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR blieb dieser Status bestehen, international wurde er jedoch nie anerkannt.

1992 kam es zu einem kurzen Krieg zwischen moldauischen Truppen und transnistrischen Separatisten, in den Russland indirekt eingriff und später einen Waffenstillstand vermittelte. Heute ist Transnistrien ein de facto unabhängiger Staat, stark von Russland abhängig.

Regina Elsner

 "Dieses Patriarchat ist nicht nur für die russische Föderation zuständig, sondern beansprucht Einfluss in zahlreichen Nachbarländern. Von Belarus über Moldau bis nach Kasachstan und Japan".


Die größte Kathedrale Transnistriens

Ein Symbol dieser Bindung ist die Kathedrale der Geburt Christi in Tiraspol, auch bekannt als Christmas Carthedral. Die 1999 fertiggestellte Kirche ist die größte russisch-orthodoxe Kathedrale der Region, Sitz der Diözese Tiraspol-Dubăsari und ein kulturelles wie spirituelles Zentrum. Die Christmas Cathedral in Tiraspol befindet sich wenige Meter neben dem Regierungsgebäude und gilt als eine der schönsten und größten Kirchen in Transnistrien und Moldau. 

Warum aber wählt man eine derart prunkvolle Inszenierung für einen Kirchenbau, während vieles andere in der Stadt etwas verfallen oder vernachlässigt aussieht? Die Theologin und Professorin für Ostkirchenkunde, Dr. Regina Elsner, beschreibt die Kirche in Transnistrien als Teil eines viel größeren Machtgefüges: Transnistrien gehöre kirchlich zum kanonischen Territorium des Moskauer Patriarchats. "Dieses Patriarchat ist nicht nur für die russische Föderation zuständig, sondern beansprucht Einfluss in zahlreichen Nachbarländern. Von Belarus über Moldau bis nach Kasachstan und Japan", erklärt sie.

Einfluss durch das Moskauer Patriarchat

The Christmas Cathedral in Tiraspol, Transnistrien / © Annika Weiler (DR)
The Christmas Cathedral in Tiraspol, Transnistrien / © Annika Weiler ( DR )

Der hybride Konflikt zwischen Russland und dem Westen spiegelt sich dabei auch in den kirchlichen Strukturen wider. "Die russisch-orthodoxe Kirche muss man inzwischen als eine Kraft verstehen, die russische Interessen in all diesen Randgebieten vertritt", erklärt Elsner. Besonders deutlich werde das in abtrünnigen Regionen wie Transnistrien, Abchasien oder im Osten der Ukraine. Dort seien religiöse Verbindungen oft eng mit politischen Zielen verknüpft.

Regina Elsner

"Da sollte man sich keine Illusionen machen".

Die Verbindung zwischen dem Moskauer Patriarchat und den politischen Eliten in Russland sei eng. "Da sollte man sich keine Illusionen machen", betont Elsner. Die Kirchenleitung um Patriarch Kirill stehe Moskaus Führung sehr nahe. Kritik oder unabhängige Stimmen innerhalb der Kirche gebe es kaum noch, und sie werden rigoros unterbunden. Das System sei stark auf Loyalität und Kontrolle ausgelegt. Über kirchliche Kontakte und symbolische Gesten wie die Verleihung von Orden an genehme Politiker sichere Moskau seinen Einfluss auch in Moldau und Transnistrien. Ein Beispiel dafür ist der ehemalige moldauische Präsident Igor Dodon, der regelmäßig vom Patriarchat geehrt und politisch unterstützt wurde.

Regina Elsner (privat)

Identität und politische Spannungen vor Ort

Für die Menschen vor Ort spiele die Kirche eine zentrale Rolle bei der Identitätsbildung. Sie sei "einer der wichtigsten Identitätsmarker" in einer Region, in der viele sich fragen, ob sie zu Europa oder zu Russland gehören. In den Gottesdiensten werde die Nähe zu Moskau immer wieder sichtbar, sei es durch die Nennung von Patriarch Kirill oder durch Liturgien auf Kirchenslawisch. Viele Gläubige merken vielleicht gar nicht, dass sie damit auch eine politische Haltung ausdrücken. Doch die Kirche schaffe einen geistlichen Raum, "der die Menschen eher an Russland bindet und von Europa entfremdet“, erklärt Elsner. 

Im Gegensatz hierzu steht allerdings, dass dreißig Prozent der Menschen, die in Moldau bei der diesjährigen Parlamentswahl mitwählen durften, die PAS gewählt haben. Die Partei der Aktion und Solidarität ist die proeuropäische Partei. Es lässt darauf schließen, dass sich diese Stimmen deutlich zu der proeuropäischen Positionierung bekennen. Wenn auch die Meinungs- und Redefreiheit in internationalen Bewertungen wie im Bericht "Freedom House" als "nicht frei" eingeschätzt wird. 

Die Gemeinden innerhalb der orthodoxen Kirche in Moldau und Transnistrien bemühten sich, nach außen unpolitisch zu wirken. Wer das Verhältnis zu Moskau kritisch sieht, findet höchstens Zuflucht in der rumänisch-orthodoxen Kirche, kleineren Gemeinden oder in der katholischen Diaspora.

Anton Coșa

"Wir müssen Brücken bauen, nicht spalten."


Zwischen Orthodoxie und der Diaspora

Anton Cosa / © Annika Weiler (DR)
Anton Cosa / © Annika Weiler ( DR )

Diese existiert innerhalb der orthodoxen Präsenz als kleine Minderheit in Moldau und Transnistrien. Ihre Gemeinden sind zahlenmäßig gering, sie pflegen aber enge Kontakte zu der weltweiten Kirchengemeinde und bemühen sich, Verbindungen zu schaffen. Der römisch-katholische Bischof von Chişinău, Anton Coșa, hält regelmäßige Gottesdienste in Transnistrien ab und betont: "Wir müssen Brücken bauen, nicht spalten." Das Verhältnis  unter den Geistlichen vor Ort sei vertraut: "Wir sind wie Brüder", so Coșa.

2007 führte die Republik Moldau ein neues Religionsgesetz ein. Alle Kirchen, Moscheen oder Glaubensgemeinschaften mussten sich wie normale Vereine registrieren. Mit Satzung, Mitgliedern und klarer Struktur. Das Gesetz entstand unter westlichem Druck, vor allem von den USA, um Religionsfreiheit und gleiche Rechte für alle Glaubensrichtungen zu stärken. Ziel war, auch kleineren Gruppen wie den Katholiken oder Freikirchen mehr Raum zu geben.

Regina Elsner

"Man muss einbeziehen, dass über die russisch-orthodoxe Kirche auch gezielt politisch Einfluss genommen wird auf die Gesellschaften und ihre Diskurse".


Wirkung vor allem auf geistiger Ebene

Konkrete Beweise für gezielte Propaganda der orthodoxen Kirche gebe es kaum: "Grundsätzlich wissen wir aus der Erfahrung der Ukraine, dass diese Propaganda nicht auf direktem Wege passiert, sondern dass es wirklich eher um eine ideologische Beeinflussung geht", erklärt die Professorin für Ostkirchenkunde.  Sei Europa schon verfallen, sei Europa nicht eigentlich verwestlicht und nicht mehr christlich? Eine ausdrückliche Propaganda im Sinne von sehr klar nachweisbaren Dokumenten oder Geldflüsse sei nicht vorhanden.

Die Theologin Dr. Regina Elsner warnt vor den Risiken der engen Verbindung von Religion und Politik: "Ich würde die kirchlichen Strukturen immer auch sehr genau beobachten und die Kirche nicht außen vor lassen, wenn wir politisch nachdenken, quasi als eine rein religiöse Institution. Man muss einbeziehen, dass über die russisch-orthodoxe Kirche auch gezielt politisch Einfluss genommen wird auf die Gesellschaften und ihre Diskurse", so Elsner.

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )
Quelle:
DR

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