DOMRADIO.DE: Gestern gingen die Bilder vom ersten Nationalen Veteranentag in Deutschland durch die Nachrichten. In der Hauptstadt war die zentrale Eröffnung. Wirkt das noch nach?
Dr. Karin Wollschläger (Korrespondentin und Co-Leiterin des KNA-Hauptstadtbüros): Sicherlich. Zumal dieser Veteranentag ja nun jedes Jahr begangenen werden soll. Gestern war das auf jeden Fall ein sehr buntes Bild rund um den Reichstag, nicht nur Tarnfleck. Es wirkte fast wie ein Festival: zwei große Bühnen, wo Bands spielten, eine Meile mit unterschiedlichsten Info-Ständen – fast wie eine Katholikentagmeile. Der Popstar Brian Adams war da und zeigte seine Fotoausstellung mit sehr berührenden Bildern von versehrten jungen britischen Soldatinnen und Soldaten.
Es war ja super Sommerwetter. Da kamen viele Neugierige, und natürlich viele Menschen in Uniformen. Denn um die ging es ja: Es ging um Dank, um Anerkennung und um Respekt für Soldaten und Soldatinnen. Aber auch für ihre Familien und Angehörige. Denn an denen gehen die Einsätze natürlich auch nie spurlos vorbei. Wie ist das, wenn der Papa oder die Mama in einen Kriegseinsatz muss?
Und zugleich stand dieser Tag gestern natürlich auch unter dem Einfluss der laufenden Kriegsdebatten, die Diskussion um die Kriegstauglichkeit der Bundeswehr und natürlich die Frage nach einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das nimmt grad Fahrt auf. Zuletzt waren ja konkretere Details bekannt geworden, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius offenbar da einen Gesetzesentwurf in der Pipeline hat und der sieht quasi einen Zwei-Stufen-Plan vor, um mehr Soldaten für die Bundeswehr zu gewinnen: Stufe 1 setzt auf Freiwilligkeit. Sollte das aber nicht reichen, dann käme Stufe 2: Der Bundestag würde aufgerufen, über die Rückkehr zur Wehrpflicht abzustimmen.
DOMRADIO.DE: Man schaut ja immer, wie die neue Bundesregierung aus CDU und SPD sich so verträgt. Ist man sich bei dem Thema einig?
Wollschläger: Nein, nicht so ganz, wie sich immer mehr herausstellt. Einig ist man sich, dass die Bundeswehr mehr Soldatinnen und Soldaten braucht. Die Sicherheitslage hat sich seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine drastisch verändert. Einig ist man sich auch, dass es eine Reform des Wehrdienstes braucht. Bisher stand bei den Plänen allerdings die Freiwilligkeit im Fokus – also keine Rückkehr zur Wehr-Pflicht. Die ist ja seit 2011 ausgesetzt.
Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht: "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert." Knackpunkt der aktuellen Diskussion ist, wie das Wort "zunächst" zu verstehen ist. Wie lange setzt man auf Freiwilligkeit? Aus der Union mehren sich jetzt Stimmen, die Druck machen, dass eine Wiedereinführung der Wehrpflicht jetzt zügig vorbereitet werden muss. Unionsfraktionschef Jens Spahn fordert das zum Beispiel. SPD-Verteidigungsminister Pistorius ist durchaus auch auf dieser Linie. Aber SPD-Fraktionschef Matthias Miersch zum Beispiel sagt: Nein - in dieser Legislaturperiode wird es keine Verhandlungen über eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht geben.
DOMRADIO.DE: Wie blicken denn die Kirchen auf das Ganze?
Wollschläger: Etwas gemischt. Das ist bei so einem komplexen Thema aber auch nicht verwunderlich. Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg hält eine langsame, schrittweise Annäherung an die Wehrpflicht für richtig. Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck favorisiert mehr das Modell eines einjährigen Gesellschaftsdienstes für junge Männer und Frauen – und im Rahmen dessen könnte die Wehrpflicht dann eine Option sein, findet Overbeck. Der katholische Jugendverband BDKJ lehnt eine Wehrpflicht ab. Und auch Pax Christi sagt, dass die Wiedereinführung einer Wehrpflicht für junge Erwachsene ist keine friedensorientierte Lösung.
Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Friedrich Kramer – ein erklärter Pazifist - hat zu bedenken geben, dass es beim Wehrdienst auch um etwas sehr Persönliches geht: "Letztlich geht es um die Frage: Bist du bereit, in den Krieg zu ziehen?"
DOMRADIO.DE: Es geht ja in der Diskussion über die Wehrpflicht auch um eine allgemeine Dienstpflicht. Das klang ja eben schon bei Bischof Overbeck an, dass er das favorisiert. Das würde dann nicht nur dem Militär dienen, sondern auch sozialen und zivilgesellschaftlichen Bereichen. Müssten die Sozialverbände doch eigentlich begrüßen, oder?
Wollschläger: Tun sie aber nicht. Caritas, Diakonie, AWO oder Rotes Kreuz halten eine Dienst-Pflicht nicht für notwendig oder sinnvoll. Sie sind ganz klar Team Freiwilligkeit. Sie sagen, dass das schlicht eine Fehleinschätzung sei, dass junge Menschen zum Engagement gezwungen werden müssen. Was es aber aus Sicht der Sozial- und Wohlfahrtsverbände braucht: eine Stärkung der bestehenden Freiwilligendienste und verlässliche Rahmenbedingungen – die kämpfen nämlich mit Etatkürzungen.
DOMRADIO.DE: Wenn wieder eine verpflichtende Wehrpflicht eingeführt würde – würde die dann eigentlich auf für Frauen gelten?
Wollschläger: Nein. Erstmal nicht. Dafür bräuchte es Grundgesetzänderung und dafür bräuchte man eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – und die ist der gegenwärtigen Konstellation im Parlament nicht in Sicht, dafür bräuchten CDU und SPD auch Stimmen von der AfD oder den Linken.
Ganz davon abgesehen lässt sich die Wehrpflicht auch aus logistischen Gründen nicht so hopplahopp wieder aktivieren. Dafür fehlt es derzeit an Kasernen, an Ausbildern, an Ausrüstung. Als die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, hat man das alles zurückgefahren. Und das lässt sich jetzt nicht mit einem Fingerschnipp wieder hochfahren. Insofern: Für eine Rückkehr zur Wehrpflicht braucht es noch viele Schritte.
Das Interview führte Tobias Fricke.