DOMRADIO.DE: Wie begründet Israel seine Attacken auf den Iran?

Nikodemus Schnabel (Benediktiner, Abt der Abtei der Dormitio in Jerusalem und des Priorats Tabgha am See Genezareth): Das ist die uralte Geschichte, auf die Israel lange hinweist, dass es Sorge hat, der Iran könne Atomwaffen-fähiges Uran anreichern und damit zu einer Atommacht sowie zu einem Sicherheitsrisiko für Israel werden. Netanjahu und seine Vorgänger haben immer wieder darauf hingewiesen.
Man kann sich natürlich fragen, warum es genau jetzt geschieht; das haben auch viele der Israelis getan. Es lenkt ein wenig davon ab, was gerade unmittelbar vor der eigenen Haustür geschieht.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen heute persönlich?
Schnabel: Mir geht es überhaupt nicht gut, das können Sie sich vorstellen. Ich habe Verantwortung für die beiden Klöster und es kommt sehr Vieles zusammen. Der Luftraum ist gesperrt, am Flughafen gibt es keine Abflüge und Ankünfte, es gibt keinen öffentlichen Nahverkehr. Wir haben Einzelgäste da, die heute geflogen wären, die ich natürlich beruhigen musste. Dann gab es einen ersten, ungewöhnlichen Alarm. Es war kein Raketenalarm, sondern ein Alarm, der zeigt, dass vom israelischen Heimatschutz auf Krisensituation umgestellt wurde. Wir sind dann alle in die Schutzräume, in die Bunker im Kloster und im Studienhaus gegangen.
Heute ist auch der Gedenktag des Heiligen Antonius von Padua. Eigentlich hätte ich heute ein großes Pontifikalamt in Tel Aviv mit Tausenden von Indern gefeiert, die die ganze Nacht geschmückt haben. Ich musste ihnen erklären, dass dieses Fest heute keine gute Idee ist. Sie waren sehr enttäuscht, aber wir können nicht gegen die offiziellen Richtlinien verstoßen. Ich bin gerade im klassischen Krisenmodus und muss schauen, wie alle das bekommen, was sie brauchen.
DOMRADIO.DE: Israel wirkt militärisch gerade sehr unter Druck, es gibt ja auch immer noch Auseinandersetzungen im Gaza-Konflikt. Wie groß sind insgesamt Ihre Sorgen aktuell?
Schnabel: Das alles geht in eine Richtung, die mich schon mit Sorge erfüllt. Was dieses Land braucht, ist Versöhnung, Friede, Diplomatie und eine Zukunft für alle Menschen, in der es hoffentlich nur Gewinner gibt, weil es auf eine gemeinsame Zukunft zugeht.
Ich sehe gerade nur eine Region, die immer mehr die Sprache der Gewalt spricht. Sicher kann man alles irgendwie begründen, aber da bin ich einfach ein religiöser Mensch, kein Militärexperte oder Geopolitiker. Ich sehe an diesem Morgen die Ängste der Menschen, die Panik und die Sorge. Den Menschen wird die Freude genommen und sie sind in Furcht. Wir haben da mehr als genug von. Dieses ganze Land leidet, es ist ein Ozean von Leid.
Ich bin es auch langsam über: Dieser Zynismus der Politiker und vieler, die in Deutschland sitzen und aus einem bequemen Sessel aus die Welt erklären. Ich würde mir wünschen, dass diese Menschen uns hier besuchen und verstehen, wie es sich anfühlt, eine gesamte Nacht nicht geschlafen zu haben, als Seelsorger seinen Mann stehen zu müssen und dann noch immer weiter treu für den Frieden zu beten.
Es sind gerade Zeiten, in denen ich auch nichts mehr zum Schönreden finde. Es wird immer unerträglicher, wenn gerade Leute in Deutschland kühl und sachlich analysieren, warum das alles sinnvoll ist.
DOMRADIO.DE: Es müssten jetzt dringend Wogen geglättet werden. Das oberste Ziel muss der Frieden sein, oder?
Schnabel: Ja, absolut. Wir haben letztes Jahr in Deutschland das deutsche Grundgesetz groß gefeiert, mit dem wunderbaren ersten Artikel "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Im Religiösen haben wir die Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen. Und darum geht es: Den Menschen - und zwar jedes Menschenleben - in das Zentrum allen politischen Handelns zu stellen. Das vermisse ich gerade sehr.
Ich erschrecke vor diesen neuen Formen des nationalen Zynismus, der sich international breit macht. Mein großer Wunsch wäre, dass alle, die in der Politik und der Diplomatie tätig sind, sich noch einmal neu fragen, nach was ihr Kompass ausgerichtet ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.