Vatikan-Kenner ordnet Papst-Besuch in Botschaft ein

"Eine ungeheure Leistung des Papstes"

Angesichts des Ukraine-Kriegs hat Papst Franziskus die russische Botschaft aufgesucht. Ein Novum in der Geschichte der Päpste, meint Vatikan-Kenner Ulrich Nersinger. In Konflikten habe der Vatikan indes öfter vermittelt. Wann und wie?

Papst Franziskus mit Diplomaten bei einem Empfang für das Diplomatische Korps / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus mit Diplomaten bei einem Empfang für das Diplomatische Korps / © Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am Freitagmittag war unser Papst offensichtlich zu einem spontanen Besuch in der russischen Botschaft im Vatikan. Können Sie das bestätigen? 

Ulrich Nersinger (Vatikan-Kenner): Ja, auch die vatikanischen Stellen bestätigen das. Natürlich wird man über den Inhalt wenig erfahren. Das ist auch selbstverständlich und auch vernünftig, denn es geht ja hier wirklich darum, eine Vertrauensbasis zwischen dem Vatikan und Russland zu schaffen. 

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

DOMRADIO.DE: Der Papst zeigte sich besorgt über die Situation. Er hat dazu aufgerufen, die Menschen zu verschonen. Das hat Moskaus Botschafter Awdejew nachher bekannt gegeben. Wie sieht es mit der anderen Seite aus, war der Papst auch in der ukrainischen Botschaft?

Nersinger: Das steht in den Sternen, darüber kann man nicht spekulieren. Ich denke, das sollten wir einmal abwarten. Die Diplomatie verlangt ja auch eine Vertrauensbasis, sie verlangt Diskretion und eben, dass man nicht alle Karten auf den Tisch legt. 

DOMRADIO.DE: Das ist nicht bekannt, genau. Aber bekannt ist, dass Papst Franziskus am Samstag mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi gesprochen hat. Dieser hat sich dann per Twitter für die Gebete des Papstes bedankt. Wie außergewöhnlich ist es, dass der Papst die russische Botschaft besucht hat und das so spontan? 

Ulrich Nersinger, Vatikan-Kenner

"Es ist meines Erachtens noch nie vorgekommen, dass der Papst eine Botschaft aufsucht."

Nersinger: Also, diese Tat des Papstes ist natürlich in zweifacher Weise außergewöhnlich: Zunächst einmal, weil der Papst ja in diesen Tagen nicht gerade in der besten gesundheitlichen Verfassung ist. Wir wissen ja, er hat Termine abgesagt, er hat sehr starke Schmerzen im Knie. Von daher ist das schon eine ungeheure Leistung des Papstes.

Und es ist meines Erachtens noch nie vorgekommen, dass der Papst eine Botschaft aufsucht, und zwar in einer Krisensituation. Das ist einmalig. Er hat früher immer in solchen Fällen dann die Botschafter zu sich gebeten, oder auch der Kardinalstaatssekretär hat die Botschafter zu sich gebeten, aber dass er selbst zu einer Botschaft geht, ist ein außergewöhnliches Ereignis.

Dass Franziskus dann gestern noch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi telefoniert hat, zeigt deutlich die umfassende Sorge des Heiligen Vaters in dieser Situation.

DOMRADIO.DE Diplomatische Vermittlungen gehen ja nur vom Vatikan aus, wenn beide Seiten ihn darum bitten. Wie sah das in der Geschichte aus? In welchen Fällen hat ein Papst hinter den Kulissen in politischen Krisen etwas bewegt? 

Nersinger: Nehmen wir mal ein geschichtliches Beispiel: 1885 hatten wir einen Streit zwischen dem Deutschen Reich und Spanien um die sogenannte Karolineninsel im Pazifik. Da haben beide den Papst als Schiedsrichter angerufen und der Papst konnte tatsächlich einen drohenden Krieg zwischen diesen beiden Völkern verhindern.

Aber es gibt auch Ereignisse, wo der Vatikan von sich aus versuchte zu helfen. Ich denke an die Kuba-Krise (1962). Auch da hat sich der Vatikan so sehr eingesetzt, dass sogar die "Prawda" das gewürdigt hat. Das gleiche war im Vietnam-Krieg (ca. 1955 bis 1975). Wir haben eine erfolgreiche Vermittlung gehabt im sogenannten Beagle-Konflikt (Auseinandersetzung von 1904-1984 über Gebietsansprüche im Beagle-Kanal) zwischen Argentinien und Chile. Da ist es dem päpstlichen Gesandten, Kardinal Samorè, tatsächlich gelungen, einen Krieg zu verhindern.

Ulrich Nersinger, Vatikan-Kenner

"Kaum jemand weiß, dass es aus dem Jahre 1919 einen telegrafischen Kontakt zwischen dem Vatikan und Lenin gibt. "

Was vielleicht auch eine Besonderheit ist und jetzt gerade in der Krise zwischen Russland und der Ukraine mitspielt, dass der Vatikan immer schon recht früh Beziehungen zu Russland, zur Sowjetunion, gehabt hat. Ich denke, kaum jemand weiß, dass es aus dem Jahre 1919 einen telegrafischen Kontakt zwischen dem Vatikan und Lenin gibt. Man hat also immer versucht, über ideologische Grenzen und Bedenken hinweg zu helfen – gerade in Krisensituationen. 

DOMRADIO.DE Welche politische Rolle geht denn überhaupt von einem Papst und dem Vatikan aus? Es gibt ja Stimmen, die sagen, die Kirche solle sich aus politischen Angelegenheiten raushalten.

Nersinger: Das tut der Vatikan ja auch. Natürlich muss er gewisse Dinge beim Namen benennen, aber er ist natürlich ein Staat, der erst einmal neutral ist. Und der Papst hat sich immer auch als neutral unter den Völkern verstanden. Ich darf daran erinnern, dass Pius IX., als man 1846/47 versuchte, ihn in die Einigungskriege hineinzuziehen, gesagt hat: Er ist das Oberhaupt der Universalkirche, er kann nicht gegen einen anderen Staat kämpfen und er kann sich da nicht einmischen, weil ja überall Christen sind. Ich denke, das beherzigt der Vatikan auch. Das ist aber auch die große Chance.

Es eine eine Chance, dass der Vatikan durch seine Neutralität und ein ruhiges diplomatisches Vorgehen eine Vermittlerrolle spielen kann oder zumindest eine Rolle, die beschwichtigend und mildernd auf gewisse Vorgänge einwirkt. 

DOMRADIO.DE Welche Hoffnung machen Sie sich im konkreten Fall des Ukraine-Kriegs? Was kann oder was wird Papst Franziskus ausrichten? 

Nersinger: Da muss man sich leider auf die Seite der antiken römischen Orakel-Deuter begeben. Das steht in den Sternen. Das kann man schlecht sagen und unglaublich schwer einschätzen. Aber ich denke, jede Gelegenheit beruhigend einzugreifen, also einzugreifen im Sinne, dass man einen Krieg verhindern oder abbrechen möchte, muss genutzt werden, auch wenn der Hoffnungsfunke noch so klein ist. 

DOMRADIO.DE Es gibt ja auch den Aufruf zu einem Fasten- und Gebetstag für die Ukraine am Aschermittwoch... 

Nersinger: Ich denke das hilft natürlich auch mit. Das Gebet ist natürlich eine wichtige – jetzt hätte ich fast gesagt "Waffe" – ein wichtiges Mittel, um etwas zu bewirken. 

Das Interview führte Katharina Geiger. 

Vatikandiplomatie

Der Heilige Stuhl unterhält derzeit diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten weltweit. Hinzu kommen die EU und der Souveräne Malteserorden. 88 Staaten sowie die EU und der Malteserorden lassen ihre Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom residieren. Ferner sind die Arabische Liga, die Internationale Organisation für Migration und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR mit eigenen Gesandten beim Vatikan vertreten.

Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds (dpa)
Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds ( dpa )
Quelle:
DR
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