DOMRADIO.DE: In Berlin finden derzeit Verhandlungen über ein mögliches Ende des Krieges in der Ukraine statt. Sie dienen vor allem dazu, über einen Waffenstillstand und einen umfassenden Friedensplan zu beraten. Daran beteiligt sind Vertreter der Ukraine, der USA und europäische Partner. Können diese Gespräche den Durchbruch bringen?
Wolodymyr Hruza CSsR (Weihbischof von Lwiw, Ukraine): Gespräche sind immer wichtig und jede Bemühung, jeder Dialog ist wertvoll. Ich begrüße, dass diese Gespräche nicht über unsere Köpfe hinweg geführt werden, sondern dass die Ukraine beteiligt ist. Das ist sehr wichtig und im guten Dialog kann man immer zu gewissen Kompromissen kommen.
DOMRADIO.DE: Aktuell geht es um einen von den USA initiierten Plan, an dessen Ende ein Waffenstillstand stehen soll. Einzelne Punkte verlangen einen Rückzug der ukrainischen Streitkräfte aus Teilen der Ostukraine, eine Verkleinerung der Armee und den Verzicht auf einen NATO-Beitritt. Ist das akzeptabel?
Hruza: Was die NATO betrifft: Es geht nicht zwingend um einen Beitritt, sondern um Sicherheit. Die Menschen in der Ukraine wollen eine Garantie, die ihre Zukunft absichert, damit sie weiterleben und sich entwickeln können.
Aber auf ein Stück Land verzichten? Das wäre sehr schmerzhaft. Unsere Vorfahren haben es aufgebaut und jetzt verlangt man von den Menschen, dass sie auf Haus, das ihre Eltern oder Großeltern aufgebaut haben, abgeben sollen. Das tut weh. Denn das Land ist wie eine Einheit, wie ein Körper. Wenn jemand von dir fordert, auf deine Hand oder dein Bein verzichten, tut das auch weh.
Und es geht nicht nur um die Ukraine, sondern im Ganzen um die Sicherheit Europas und die Weltordnung. Russland braucht nicht noch mehr Land, davon haben sie genug. Es geht um Imperialismus. Und wenn man jetzt einen Waffenstillstand aushandelt ohne Gerechtigkeit und Sanktionen, dann wird sich das Böse durchsetzen.
DOMRADIO.DE: Vertrauen Sie darauf, dass Ruhe in der Ukraine einkehrt, wenn Trumps und Putins Forderungen erfüllt werden?
Hruza: Nein, es wurde schon zu oft gelogen, diese Erfahrung haben wir leider gemacht: Es ist gefährlich, Menschen zu vertrauen, die unberechenbar sind. Ehrlich gesagt: Wir vertrauen nur Gott. Das sage ich nicht nur als Bischof oder Geistlicher, sondern als Mensch, als Christ. Wir glauben, dass Gott beenden wird, was die Menschen begonnen haben.
DOMRADIO.DE: Wie geht es den Menschen in der Ukraine im vierten Kriegswinter?
Hruza: Bei uns im Westen ist es ein bisschen ruhiger, aber grundsätzlich ist es in der Ukraine nirgendwo sicher. Immer herrscht die Gefahr von Raketen- und Drohnenangriffen.
Die Menschen leben von Tag zu Tag, man kann keine Zukunftspläne machen. Die Menschen sind physisch und psychisch erschöpft. Der Krieg hat so viele Opfer gefordert: Familien haben Väter und Söhne im Krieg verloren. Es ist wichtig, dass das nicht umsonst gewesen ist. Aufgeben hieße, in die Knechtschaft zu gehen. Dann ist es egal, ob wir in der Heimat oder in Haft sterben.
DOMRADIO.DE: Wie bereiten sich die Menschen in der Ukraine auf Weihnachten vor? Oder stellt der Krieg alles in den Schatten?
Hruza: Die Menschen freuen sich auf Weihnachten, das ist auch wichtig. Wir haben keine Adventszeit, sondern die Tradition einer vorweihnachtlichen Fastenzeit, ein spiritueller Weg der Vorbereitung und das gibt ihnen Kraft.
Das ist vor allem für die jungen Menschen wichtig: Denn ihnen wird die Kindheit und Jugend gestohlen, die Unbeschwertheit. In Familien, in denen der Vater an der Front kämpft, müssen sie ganz schnell erwachsen werden und Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen. Es gibt Städte im Osten und in der Zentralukraine, wo Kinder in der 5. Klasse noch niemals eine richtige Schule besucht haben. Erst Corona, dann der Krieg: Sie lernen seit Jahren ausschließlich isoliert zu Hause am Computer. Das ist nicht nur ein Problem für die Bildung, sondern auch für die sozialen Beziehungen.
Ich denke auch an die Familien, die einen geliebten Menschen im Krieg verloren haben, und das sind viele. Wenn eine Mutter am Grab ihres Sohnes steht, ist sie froh, dass sie überhaupt ein Grab hat, an dem sie Abschied nehmen kann. Weil es so viele gibt, die an der Frontlinie gefallen sind und über deren Schicksal man nichts weiß.
Für alle diese Menschen wollen wir an Weihnachten so viel Normalität wie möglich schaffen. Wir schmücken unsere Kirchen, auch wenn einige andere Städte darauf aus Solidarität und Trauer verzichten. Aber wir brauchen das: Trotz der Bombenangriffe und Stromausfälle. Denn wo sollen die Menschen sonst Kraft finden?
Wir sollen um die Gefallenen trauern und für sie beten. Aber wir sollten nicht in dieser Trauer verharren, denn dann haben wir den Krieg bereits verloren. Die Männer, die unser Land verteidigt haben, haben ihr Leben nicht dafür gegeben, dass wir nur zu Hause sitzen und trauern.
DOMRADIO.DE: Hilft der Glaube den Menschen, diesen Krieg und dieses Leid auszuhalten?
Hruza: Ja, sehr sogar. Corona hatte die Menschen von der Kirche entfernt und der Krieg hat sie wieder zurückgebracht. Weil sie ein Bedürfnis nach Gemeinschaft haben, nach Unterstützung und Solidarität, danach, gemeinsam um die Verstorbenen zu trauern. Wir unterstützen zum Beispiel eine Gruppe, deren Väter und Söhne verschwunden sind: Keiner weiß, ob sie gefallen oder am Leben sind und inhaftiert wurden. Diese Familien tragen ein schweres Schicksal, weil sie jeden Tag auf ein Lebenszeichen ihrer Liebsten warten.
Da ist das Weihnachtsfest mit seiner Botschaft wichtiger denn je, denn Jesus kommt in diese Welt als Kind, das ist unumkehrbar. Und das stärkt die Menschen in Momenten, in denen sie sich ohnmächtig fühlen. Zu verzweifeln und zu sagen: "Ich wende mich von Gott ab, weil er so viel Leid zulässt", ist keine Alternative. Würde es uns dann besser gehen? Das glaube ich nicht.
Die Jugendlichen fragen mich oft nach Nächstenliebe, Vergebung und Feindesliebe, so wie es im Evangelium steht. In der Realität ist das schwierig, wenn dein Mann oder Sohn erschossen wurde. Andererseits: Wenn wir Tag und Nacht mit dem Wunsch nach Rache und Vergeltung leben, wird es uns dann besser gehen? Das vernichtet uns auch. Darum ist es sehr wichtig, dass wir diese Rache und diese Verletzungen in Mut verwandeln. Dann können wir erstens leben und haben zweitens die Kraft, uns zu verteidigen.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich denn von den Gläubigen in Deutschland?
Hruza: Wir bedanken uns für die Solidarität, für die materielle Unterstützung und jedes Gebet. Uns ist derzeit Rehabilitation ein wichtiges Anliegen: Viele Menschen sind traumatisiert und so wie Kriegsverletzungen versorgt werden, müssen auch die Seelen heilen. Die griechisch-katholische Kirche in Lwiw baut derzeit ein Rehazentrum auf, für das das Erzbistum Köln bereits seine Unterstützung zugesagt hat. Wir wollen den Menschen psychologische, spirituelle, ganzheitliche Hilfe anbieten, das ist sehr wichtig. Das betrachten wir als unsere Aufgabe als Kirche und die Menschen vertrauen uns.
Und wir hoffen, dass die Europäer auch weiter auf der Seite der Wahrheit stehen, denn im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.