Kölner Diözesanjugendseelsorger Schwaderlapp resümiert Corona-Pandemie

"Systemrelevant für das Funktionieren der Seele"

Der Kölner Diözesanjugendseelsorger Tobias Schwaderlapp blickt auf die Corona-Zeit zurück und denkt an alte, kranke und sterbende Menschen. Im Interview resümiert er die Lockdown-Zeit, die positiven und negativen Seiten der Pandemie.

Autor/in:
Mathias Peter
Jugendlicher mit Mundschutz schaut aus dem Fenster / © Alberto Menendez Cervero (shutterstock)
Jugendlicher mit Mundschutz schaut aus dem Fenster / © Alberto Menendez Cervero ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie waren schon zu Beginn der Corona-Zeit und sind bis heute Diözesanjugendseelsorger im Erzbistum Köln. Wie haben Sie die Situation erlebt, als damals im März klar wurde, dass es einen Lockdown gibt?

Pfarrer Tobias Schwaderlapp / © Tim Helssen (DR)
Pfarrer Tobias Schwaderlapp / © Tim Helssen ( DR )

Tobias Schwaderlapp (Diözesanjugendseelsorger im Erzbistum Köln): Den Lockdown und den überfallartigen Ausbruch der Pandemie habe ich aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen. Wir mussten alle schnell dazulernen. Zum Beispiel wie Homeoffice funktioniert oder wie man Videokonferenzen machen. Als Bereichsleiter im Generalvikariat musste ich auch lernen, die Bürogemeinschaft zusammenzuhalten. Da ging es darum, niemanden aus dem Blick zu verlieren. Man musste auch mal freitags telefonieren und die Menschen fragen, wie die Woche war. Dinge, die sonst auf dem Flur stattfinden.

Tobias Schwaderlapp

"Diese Stille. In diesen wunderschönen Räumen, in denen es normalerweise fast 30.000 Übernachtungen im Jahr gibt, war auf einmal niemand mehr. Gähnende Leere."

Als Rektor der Jugendbildungsstätte Haus Altenberg habe ich die Pandemie nochmal anders erlebt. Auf einmal war dieses große Gästehaus geschlossen. Die Mitarbeitenden konnten nicht im Homeoffice arbeiten. Es gab Kurzarbeit und die Zeit wurde für alle möglichen Renovierungsarbeiten genutzt. Auf der einen Seite hatte das etwas sehr Schönes, weil wir so eine herrliche Ruhe im Tal hatten, sodass man die Idylle des Ortes zu einem gewissen Grad genießen konnte – bis diese Stille bedrückend wurde. In diesen wunderschönen Räumen, die normalerweise fast 30.000 Übernachtungen im Jahr aufnehmen, war auf einmal niemand mehr. Gähnende Leere.

Große Jugendveranstaltungen wie das Altenberger Licht mussten - relativ kurzfristig - digital stattfinden. Wie stellt man in diesen digitalen Räumen ein Gemeinschaftsgefühl her, sodass auch ein religiöser Funke überspringen kann? Diese Herausforderungen haben wir immer mit vielen gemeinsam gemeistert.

Messdiener mit Mundschutz / © Corinne Simon (KNA)
Messdiener mit Mundschutz / © Corinne Simon ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Jugendlichen waren besonders betroffen. Es gab Schulschließungen und es war bitter für alle, die in diesen Jahren ihren Abschluss wie das Abitur gemacht haben, weil die damit einhergehenden Feten ausgefallen sind. Das sind Feiern, die es nur einmal im Leben gibt. Wie haben Sie die Reaktionen von den jungen Menschen erlebt?

Schwaderlapp: Es war für alle eine extreme Zeit. Bei Leuten, die mit einer großen Familie zusammenwohnen, wurde es irgendwann zu eng. Leute, die sich ohnehin zu Hause schon einsam fühlten, haben Ausflüchte gesucht. Viele sind auf Parkbänke im Wald oder zu Grillhütten gegangen, wo dann elend viele leere Bierdosen herumstanden. Man sah, dass sich Leute an solchen Orten getroffen haben, um unter dem Radar des Ordnungsamtes Gemeinschaft zu pflegen. Andere haben wiederum Ängste vor Gruppen oder Menschenmengen davongetragen. Die Shell-Studien scheinen das im Nachhinein zu belegen.

Im Großen und Ganzen hat sich die Jugend aber als sehr resilient erwiesen und die Zeit eigentlich gut weggesteckt. Natürlich haben sich auch Extremfälle angehäuft, die die Umstände nicht gut weggesteckt haben. Deshalb die Zunahme an Aufnahmen in Einrichtungen der Jugendpsychiatrie. Das ist aus meiner Perspektive spürbar.

DOMRADIO.DE: In der Jugendkirche CRUX oder dem Haus Altenberg geht es darum, dass sich junge Menschen treffen. Wie war die Zeit für solche Orte, an denen es um physische Anwesenheit geht?

Tobias Schwaderlapp

"Man war sehr erfinderisch darin, die Menschen nicht allein und hängenzulassen."

Schwaderlapp: Gerade im CRUX hat man alles versucht, was erlaubt war. Dort wurden beispielsweise gemeinsame Lernräume eröffnet. Da wurden einfach Schreibtische hingestellt. Natürlich gab es Abstand und die notwendigen Beschränkungen, aber trotzdem konnte man irgendwie zusammen sein. Man war sehr erfinderisch darin, die Menschen nicht allein und hängenzulassen. 

DOMRADIO.DE: Die Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen fingen irgendwann an, digitale Chorproben zu halten. Das hat mehr schlecht als recht funktioniert. Auch Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen haben versucht, mit den Jugendlichen noch eine Art spirituelle Verbindung zu halten. Ging das einigermaßen?

Schwaderlapp: Da gab es eine Reihe von Versuchen. Es gab Online-Taizégebete, Online-Bibelteilen und solche Initiativen. Das hat auch etwas sehr Schönes ausgelöst. Man hatte ja keine Termine und viele waren dankbar für Ablenkungen. Dadurch sind auch viele in diesen digitalen Räumen aufgekreuzt, die diesen Weg sonst wahrscheinlich nicht gefunden hätten.

An Ostern gab es im Kreis Mettmann eine Digitalaktion, bei der die Menschen auf die Straße gegangen sind und mit Kreide "Christus ist auferstanden" auf die Straße geschrieben haben. Sie haben ein Foto davon gemacht und es unter einem gewissen Hashtag hochgeladen.

Tobias Schwaderlapp

"In den Menschen sitzt doch eine tiefe Sehnsucht nach analoger Gemeinschaft."

Es gab viele solcher Ideen und Angebote, die mit der Aufhebung des Lockdowns aber auch wieder weggefallen sind. In den Menschen sitzt doch eine tiefe Sehnsucht nach analoger Gemeinschaft. Trotzdem war sehr wichtig für diese Zeit, dass es solche Angebote gab. Es war aber auch wichtig, sie wieder abzuschaffen, als man sich wieder normal treffen konnte.

DOMRADIO.DE: Gab es für Sie als Seelsorger Momente, in denen Sie sich gefragt haben, wie Sie in dieser Situation überhaupt als Seelsorger arbeiten können? Wenn Sie den Menschen nicht ins Gesicht schauen, sondern immer verdeckt hinter einer Maske?

Schwaderlapp: Was ich mir persönlich ein bisschen vorwerfe, ist, wie ich auf alte, kranke, sterbende Menschen geschaut habe. Rückblickend hat es keiner böse gemeint. Alle haben versucht, das Beste draus zu machen, aber ich habe mich teilweise zu sehr von den Verordnungen abschrecken lassen.

In manchen Fällen des Lebens hätte die Verordnung für mich zweitrangig sein sollen. Themen wie schwere Krankheiten, Krankensalbung im Sterben. Da hätte ich meinem inneren Drang, den Menschen nah zu sein, folgen sollen. Ich habe mich immer wieder einschüchtern lassen von den Regeln. Für mein Gewissen hätte ich sie manchmal brechen müssen.

DOMRADIO.DE: Was ist aus Ihrer Sicht positiv und was negative im Rückblick auf die Corona-Zeit?

Schwaderlapp: Positiv war sicherlich, dass ich in einem Bereich arbeite, in dem Leute mit Herzblut für die Sache da sind und sehr pragmatisch, kreativ auf neue Situationen reagieren können. Die Obdachlosenspeisung hat bei der Jugendkirche CRUX mitgeholfen, die Ultras vom 1. FC Köln haben sich engagiert. Im Priesterseminar wurde sich um Obdachlose gekümmert. Zu sehen, wie schnell solche Aktionen auf die Beine gestellt werden können, wie schnell die Menschen mithelfen und sich zusammentun, war sehr viel wert.

Tobias Schwaderlapp

"Ministranten in der Messe, die nicht dienen dürfen? Dann ist der Witz weg."

Alles, was digital stattgefunden hat, um die Leute zu vernetzen und zusammenzuhalten, war positiv. Und doch haben wir unter der Maßgabe, besser vorsichtig zu sein, nicht alles ausgeschöpft, was erlaubt war. Manchmal hat man zu lange gewartet und dann haben sich Cliquen und Gruppen wieder voneinander entfernt und verstreut. Ministranten in der Messe, die nicht dienen dürfen? Dann ist der Witz weg. Die haben sich dann andere Gruppen gesucht und dadurch ist sicherlich auch vieles kaputtgegangen.

Dieses große Thema "Systemrelevanz". Was ist systemrelevant? Für das normale Funktionieren unserer säkularen Gesellschaft sind wir von der Kirche nicht systemrelevant. Für das Funktionieren des inneren Ichs, für das Funktionieren der Seele, sind wir bei gläubigen Menschen mehr als systemrelevant. Deshalb würde ich mich bei einer zukünftigen Pandemie nicht mehr in die Ecke des nicht Systemrelevanten drängen lassen. Wir haben eine andere Rolle als ein Kino oder ein Schwimmbad.

Das Interview führte Mathias Peter.

Quelle:
DR

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