Amerikas Kampf um katholische Wähler

"God bless America"?!

Katholiken sind stark vertreten im US-Wahlkampf. Joe Biden wäre nach John F. Kennedy der zweite katholische Präsident. Auf beiden Nominierungsparteitagen sprachen prominente Katholiken. Welche Rolle spielt der Glaube im US-Wahlkampf?

Die Katholiken stehen im Fokus des US-Wahlkampfs / © igorstevanovic (shutterstock)
Die Katholiken stehen im Fokus des US-Wahlkampfs / © igorstevanovic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Mit Corona und Rassengewalt stecken die USA in ihrer größten Krise seit Jahrzehnten. Trotzdem stehen katholische und christliche Trump-Wähler in Umfragen weiter zum großen Teil hinter ihrem Präsidenten. Warum?

Dr. Andreas G. Weiß (Theologe und Religionswissenschaftler, Mitglied der “American Academy of Religion“): Man muss grundsätzlich sagen: Die katholischen Wählerkreise in den USA sind sehr fragmentiert. Donald Trump spricht durchaus einen großen Sektor an, bei weitem aber nicht alle.

Diejenigen, die auf der Seite von Donald Trump stehen, sind Gruppierungen und Kreise, die von den Krisen nicht so stark und existenziell betroffen sind, die ihre politische Ausrichtung immer noch an den klassischen Themen, wie der Haltung eines Kandidaten zum Thema Abtreibung oder seiner Haltung zur Homosexualität festmachen können.

Es gibt aber auch große Teile der katholischen Wählerschaft, die sehr wohl kritisch gegenüber Donald Trump sind. Das sind große Gruppierungen der Einwanderer, die sich natürlich in "Black Lives Matter" zurzeit formiert haben. Dann gibt es auch diejenigen, die von seiner restriktiven Gesundheitspolitik befremdet werden, weil sie vielleicht existenziell von der Krise betroffen sind, also zu den sozial schlechter gestellten Schichten gehören.

Man kann also nicht pauschal sagen: Donald Trump spricht die katholischen Wähler an. Er spricht einen Sektor an, bei dem ist er sehr stabil, weil man sich immer noch auf klassische Themen in der moralischen Politik der Republikaner konzentrieren kann und nicht von krisengebeutelten Fragen abgelenkt wird.

DOMRADIO.DE: Dabei waren prominente katholische Stimmen auch auf den Nominierungsparteitagen vertreten, Der Jesuit James Martin bei den Demokraten, die Ordensfrau Dede Byrne sowie New Yorks Kardinal Timothy Dolan bei den Republikanern. Ist es denn angebracht, dass sich Kirchenvertreter auf diese Art parteipolitisch engagieren?

Weiß: Ich glaube, dass es für alle Katholikinnen und Katholiken legitim ist, sich politisch zu äußern und sich politisch zu interessieren. Das ist von meiner persönlichen Einschätzung her auch gefordert. Natürlich hat es immer einen eigenartigen Beigeschmack, wenn das dann auf einer Parteiveranstaltung passiert, wenn man sich auf einem Parteitag auf eine Seite hinter eine bestimmte Person stellt. Das ist dann schon eine Wahlempfehlung.

Es ist andererseits aber auch reines politisches Kalkül, meiner Einschätzung nach, wenn die beiden Parteien auf katholische Vertreterinnen und Vertreter bauen. Schwester Dede Byrne hat in ihrer Rede vor allem die Abtreibungsfrage stark thematisiert, hat sich hinter Trump gestellt, weil er eine restriktive Abtreibungspolitik verfolgt. James Martin hat sich hinter Joe Biden gestellt am demokratischen Nominierungsparteitag. James Martin, wenn man ihn kennt, ist ein Vorreiter der Theologie in Richtung der LGBT-Bewegung.

Diese Vertreter von Glaubensrichtungen hat es durchaus in den USA immer wieder gegeben. Dass sie in diesem Jahr die katholischen Vertreter so in den Mittelpunkt rücken, hat natürlich auch damit zu tun, dass die katholische Kirche in den USA nominell immer noch eine sehr geschlossene Wählerschaft darstellt. Beide Parteien versuchen natürlich, Teile dieser Gruppierungen auf ihre Seite zu ziehen.

DOMRADIO.DE: Und Kardinal Dolan, der ebenfalls bei Trumps Republikanern aufgetreten ist?

Weiß: Dass Kardinal Dolan am Nominierungsparteitag der Republikaner aufgetreten ist, sehe ich da schon weitaus problematischer, als wenn das eine Ordensschwester oder ein Priester macht. Man darf nicht vergessen: Kardinal Dolan ist der Erzbischof von New York, eines der wichtigsten Bistümer in den Vereinigten Staaten. Er war auch über vier Jahre lang der Vorsitzende der US-amerikanischen Bischofskonferenz. Das ist eine andere Figur, eine andere Autorität, wenn man so will, die mit einer anderen Reichweite sprechen kann, als eine einzelne Person.

DOMRADIO.DE: Wie geht die Bischofskonferenz eigentlich damit um, dass sich prominente Katholiken so parteipolitisch äußern?

Weiß: Die Bischofskonferenz in den USA hat ja natürlich auch eine ganz eigene Geschichte. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Katholizismus in den USA quasi in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Davor war man gegenüber der katholischen Kirche in den USA sehr reserviert. Man hatte Angst, durch ihren Gehorsam gegenüber dem Papst müssten sie quasi immer alles tun und sagen, was der Papst vorgibt. Man könnte sie als eine Gefahr für die US-amerikanische Gesellschaft sehen.

Das hat sich seit den 1950er Jahren - besonders dann aber mit Präsident John F. Kennedy - gewandelt. Und vor allem die Republikanische Partei hat versucht, mit klassischen konservativen Themen bei den Katholiken zu punkten. Die Bischofskonferenz hat sich - klarerweise - in dieser neuen Rolle, in der Mitte der Gesellschaft, sehr wohl gefühlt. Man hat sich auch über weite Strecken im Fahrwasser der Republikanischen Partei treiben lassen.

In den letzten Jahren hat man aber gemerkt, dass es durchaus Risse gibt in dieser Beziehung. Vor allem Donald Trumps Einwanderungspolitik hat die US-Bischöfe vor ein wahres Identitätsproblem gestellt. Donald Trump hat im Wahlkampf 2016, aber auch in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft, immer wieder gegen latein- und südamerikanische Einwanderer gewettert. Er hat sie als Verbrecher bezeichnet. Und natürlich war das für die katholischen Bischöfe eine Herausforderung.

Man darf nicht vergessen: Die katholische Kirche in den USA ist bei mittlerweile immer noch konstant gut 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das liegt aber daran, dass immer noch sehr, sehr viele Zuwächse durch Einwanderer kommen. Die Bischöfe haben sich in den letzten Jahren auch immer wieder von Präsident Trump, von der republikanischen Führung, distanzieren müssen, um nicht nach Innen in einen Gewissenskonflikt zu laufen und quasi die Autorität gegenüber ihren eigenen Gläubigen zu verlieren.

DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch sprechen sie davon, dass sich die US-Gesellschaft als "Zivilreligion“ definiert. Welche Rolle spielt das?

Weiß: Die Zivilreligion in den USA hat eine eigenartige Geschichte. Wenn man in die USA reist, kommt man sehr stark mit Floskeln mit Gottesbezug in Verbindung. "God bless America", "in God we trust" - das sind Phrasen, die das US-amerikanische Selbstbewusstsein prägen. Wenn man genauer fragt: Was ist das für ein Gottesbezug? Wer ist denn dieser Gott? Da bekommt man viele unterschiedliche Antworten.

Diese Zivilreligion ist eine eigenartige Erscheinung, weil gar nicht genau benannt wird: Wer ist denn dieser Gott, der die USA schützen soll? Man einigt sich im patriotischen Selbstbewusstsein der USA darauf, ja, man bekennt sich zu Gott, man fühlt sich von Gott erwählt. Wer aber dieser Gott dann im Konkreten ist, das kann jeder selbst entscheiden.

Insofern ist dieser Gottesbezug der USA inklusiv. Es können sich sowohl Katholikinnen und Katholiken, Jüdinnen, Juden, evangelikale Christinnen und Christen einfügen. Man kann an dieses "gelobte Land" glauben, obwohl man unterschiedlichen Religionen oder Konfessionen angehört.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt da Donald Trump als Präsident?

Weiß: Der Präsident hat in dieser Logik der Zivilreligion eine eminent wichtige Rolle. Er ist quasi der Schlussstein in dieser Logik, weil er der Repräsentant, der politische Repräsentant, dieser nationalen Erwählung ist, in der sich die USA immer wieder einmal sehen. Präsident Trump inszeniert das auch sehr, sehr gerne.

Als er vor einigen Wochen vom Weißen Haus während der Proteste gegen seine Person unter Polizeischutz zur nahe gelegenen Kirche St. Johns gegangen ist und dort die Bibel in die Luft gehalten hat, war das im Grunde kein religiöses Bekenntnis, sondern das war eine politische Aktion, die er da gemacht hat. Das war ein Zeichen für seine Anhänger, aber auch für alle anderen in den USA: Ich habe auf diese Bibel meinen Eid geschworen. Ich bin der oberste Befehlshaber in diesem Land und ich kann zu dieser Kirche gehen, wenn ich will. Und ich habe von dieser Bibel her meine Autorität.

Da ging es nicht um sein Bekenntnis, ob er gläubig ist oder nicht. Es ging nur um seine politische Macht, und die hat er dabei zur Schau gestellt.

DOMRADIO.DE: Kommt das beim gläubigen Wähler denn an? Solch ein Vorgehen wirkt doch eher plump.

Weiß: Das kommt uns Europäern oftmals so vor. In den USA sind solche Inszenierungen in vielen Bundesstaaten nach wie vor an der Tagesordnung. Dort werden, etwa im Süden der USA, immer noch politische Veranstaltungen oftmals mit der Bibel in der Hand abgehalten. Man muss aus der Bibel nicht lesen. Man muss nicht daraus zitieren können. Aber mit diesem Symbol - mehr ist die Bibel für viele Politikerinnen und Politiker in diesem System nicht - hat man eine Wirkung bei den Wählern, eine Wirkung von Stabilität, vom Glauben an dieses Land und vom US-Patriotismus. Man darf das nicht einfach so mit europäischen Augen sehen, weil wir in Europa auch durch den Laizismus eine ganz andere Geschichte haben.

DOMRADIO.DE: Schauen wir noch auf den Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, der bekennender Katholik ist. Welche Rolle spielt die katholische Wählerschaft für ihn?

Weiß: Man merkt zurzeit, dass der katholische Glaube von beiden Parteien sehr in den Blick genommen wird. Einerseits baut Joe Biden sehr auf sein Bekenntnis und auf die Möglichkeit, dass der katholische Glaube inklusiv arbeitet. Biden baut sehr stark auf die "Black Lives Matter"-Protestbewegungen. Und er möchte in seiner Person auch zeigen: Nur weil es Gesetzgebungen gibt, die eine Abtreibung ermöglichen, bedeutet das ja nicht, dass man die Menschen zur Abtreibung zwingt oder dass man sie ermutigt dazu.

Das ist übrigens auch etwas, das Kardinal Ratzinger 2003 als Präfekt der Glaubenskongregation geschrieben hat: Dass man durchaus politische Vertreter wählen kann, auch wenn man nicht mit ihnen in der Abtreibungsfrage übereinstimmt.

Donald Trump oder die Republikaner auf ihrer Seite haben es auf die katholische Identität Bidens abgesehen, weil sie merken, dass er innerhalb der katholischen Kirche in den USA nicht unumstritten ist. Es gibt Bischöfe, die öffentlich bereits Joe Biden das Bekenntnis abgesprochen haben, die sogar mit dem Wort Exkommunikation aufgetreten sind. Man merkt natürlich in der Republikanischen Partei, das könnte ein Thema sein, das durchaus zu politischen Stimmen führen kann, wenn man das geschickt inszeniert.

Tatsächlich wäre Joe Biden der zweite Präsident, der ein katholisches Bekenntnis hat in den USA. Man hat aber auch schon in den letzten Jahren gemerkt, dass katholische Kandidaten immer wieder auf den Wählerlisten zu finden waren. In den letzten Jahren war das vor allem die zweite Reihe, aber man hat es gemerkt. Joe Biden als Vizepräsident von Barack Obama.

Man hat es aber auch bei Mitt Romney gemerkt. Romney, der Mormone, der erste Mormone, der zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner geworden ist. Er hatte mit Paul Ryan auch einen katholischen Vizepräsidentschaftskandidaten. Oder Rick Santorum. Auch ein Politiker aus der Republikanischen Partei, der immer wieder als Präsidentschaftskandidat gehandelt wird, ist ebenfalls traditioneller Katholik. Man merkt schon, dass diese Identität des Katholizismus in den USA nach wie vor politisches Potenzial in sich birgt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch

Das Buch "Trump - Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" von Andreas G. Weiß ist erschienen im Patmos Verlag 


Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser (privat)
Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser ( privat )

Kardinal Timothy M. Dolan (l.) neben Donald Trump (Archiv) / © Gregory A. Shemitz/CNS photo (KNA)
Kardinal Timothy M. Dolan (l.) neben Donald Trump (Archiv) / © Gregory A. Shemitz/CNS photo ( KNA )

Joe Biden / © Carolyn Kaster (dpa)
Joe Biden / © Carolyn Kaster ( dpa )

US-Präsident Donald Trump mit der Bibel / © Patrick Semansky (dpa)
US-Präsident Donald Trump mit der Bibel / © Patrick Semansky ( dpa )
Quelle:
DR
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