DOMRADIO.DE: Von welchem Menschenbild gehen Christen aus, wenn von Menschenwürde die Rede ist?
Prof. Dr. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer der Solidaritätsaktion Renovabis): Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Deshalb ist seine Würde unantastbar und nicht verhandelbar. Sie wird nicht von einer politischen Kraft zugesprochen, sondern ist jedem Menschen mit seiner Existenz von Gott geschenkt.
DOMRADIO.DE: In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft wird die Menschenwürde immer häufiger instrumentalisiert. Wie geschieht das?
Schwartz: Im Alltag wird die universelle Würde des Menschen immer wieder infrage gestellt. Da tauchen solche Fragen auf: Ist ein ungeborenes Kind schon ein Mensch mit Würde? Hat ein Mensch mit Behinderungen dieselben Rechte wie ein Gesunder? Sollten alte Menschen nicht gedrängt werden, ihr Leben zu beenden, wenn sie nicht mehr leistungsfähig sind?
Solche Fragen stellen den Menschen selbst zur Disposition. Hier müssen wir Christen unsere Stimme erheben und sagen: "So geht es nicht".
DOMRADIO.DE: Warum ist die Stimme der Christen dabei so wichtig?
Schwartz: Weil unsere Stimme vom Glauben gestärkt ist. Wir reden nicht nur aus uns selbst, sondern wir haben eine Botschaft von Gott: "Du bist gewollt, so wie du bist und dort, wo du bist." Diese Botschaft muss in eine Gesellschaft hinein, die das oft nicht mehr jedem zuspricht. Das ist eine wichtige Botschaft, die uns Christen gut ansteht.
DOMRADIO.DE: In Ländern mit Krieg wird die Menschenwürde besonders verletzt. Sie haben beim Internationalen Renovabis Kongress auch Gäste aus der Ukraine. Welche Rolle spielt dort die Menschenwürde?
Schwartz: Aggressoren sprechen nur dann von Menschenwürde, wenn es um ihre eigene geht. Das ist das Problem. Von Oleksandra Matwijtschuk, Friedensnobelpreisträgerin und Vorsitzende des "Center for Civil Liberties" in Kiew, werden wir hören, wie man in Kriegszeiten versucht, auch an den Frontlinien für Gefangene, für Menschen, die den Wehrdienst verweigern wollen, und für Unterdrückte in den besetzten Gebieten für Menschenwürde einzutreten.
DOMRADIO.DE: Matwijtschuk sagt, dass Menschenwürde und Menschenrechte auch eine bestimmte Denkweise voraussetzen. Was bedeutet das?
Schwartz: Man muss lernen, nicht von sich selbst zu denken, sondern vom Schwächsten her. Von den Opfern, von denjenigen ohne eigene Stimme. Wer nur sich und seine Stärke ins Zentrum stellt, hat keinen Sinn dafür, dass es Menschen gibt, die Schutz brauchen und für die man sprechen muss. Menschenwürde verlangt einen Blick auf die Schwachen und die Opfer der Geschichte.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle kann die Kirche bei der Lösung solcher Fragen spielen?
Schwartz: Durch unser Beispiel in kleinen und großen Projekten vor Ort. Menschenwürde gibt es nicht abstrakt. Sie wird immer konkret. Sie wird greifbar, wo Menschen handeln – für andere, mit anderen, gemeinsam. Auf dem Kongress werden wir viele Projekte kennenlernen, die zeigen, wie das geschieht.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie sich von dem Kongress?
Schwartz: Den Austausch mit unseren Partnern aus über 20 Ländern, neue Sichtweisen und ein geschärftes Bewusstsein für die Herausforderungen der Menschenwürde. Viel zuhören, viel ins Gespräch gehen und daraus lernen.
DOMRADIO.DE: Und so auch die Ambivalenzen des Lebens kennenlernen?
Schwartz: Ja. Wir leben in einer Welt, in der das Wort vom Schönen und Guten selten greifbar wird, weil Arme und Schwache an unsere Tür klopfen und wir vor lauter Selbstbezogenheit ihren Ruf oft nicht mehr hören.
DOMRADIO.DE: Wer in Berlin nicht dabei sein kann, hat die Möglichkeit per Livestream den Kongress zu verfolgen?
Schwartz: Ja, wir haben es wieder möglich gemacht, dass alle die Redebeiträge und Diskussionen über die Homepage von Renovabis im Livestream verfolgt werden können.
Das Interview führte Johannes Schröer.