DOMRADIO.DE: John Henry Newman wird Kirchenlehrer. Das ist eigentlich eine katholische Meldung. Welche Rolle spielt diese Nachricht für Sie als Anglikaner heute?
Johannes Arens (Anglikanischer Domkapitular aus Leicester): Ich finde es zumindest interessant, denn Kirchenlehrer ist so eine Überheiligen-Kategorie. Höher geht es nicht. Die meisten seiner Bücher, Lieder und Werke hat Newman als Anglikaner geschrieben. Er bleibt auch bis heute bedeutend.
Seine Theologie war sehr englisch geprägt und kommt auch ganz aus der englischen Tradition. Das ist schon spannend, dass das anerkannt wird. In gewisser Weise hat er eine Brückenfunktion. Daher ist das heute noch bedeutsam.
DOMRADIO.DE: Newman stand für die Verbindung der Spiritualität mit dem Geist der Aufklärung. Das ist auch einer der Gründe, warum Papst Leo XIV. ihn nun zum Kirchenlehrer macht. Ein Großteil der Schriften ist in seiner Zeit als Anglikaner entstanden. Welche Rolle spielt seine Theologie heute für die anglikanische Tradition?
Arens: Er ist weiterhin bedeutsam, nicht nur wegen seiner Theologie. Seine Kirchenlieder singen wir heute noch, die sind sehr populär. Seine Schriften sind heute noch lesenswert.
Anglikaner zu sein, ist eine sehr breite Angelegenheit. Es gibt Leute, die sich sehr protestantisch verstehen und es gibt Leute, die sich sehr katholisch verstehen und auch in ihrer liturgischen Ausprägung im höchsten Maße katholisch sind. Wir verstehen uns ganz offiziell auch als reformierte Katholiken.
Newman ist da bis heute wichtig, weil er diese sehr hoch kirchliche Tradition, die Oxford-Bewegung, mit anderen quasi mitbegründet hat. Und das ist, ich sage das mal ganz persönlich, in gewisser Weise eine unangenehme Position, weil man da zwischen beiden Seiten hängt. Als Anglikaner fühle ich mich den römischen Katholiken sehr verbunden und sehr ähnlich, bin aber auch mit anderen kirchlich Geprägten in einer Kommuniongemeinschaft, und das ist nicht immer ganz einfach.
Newman hat im späteren Alter den Schritt nach Rom getan, den heute auch viele Anglikaner tun, beziehungsweise viele Katholiken tun den Schritt in die andere Richtung. Es ist immer schwierig, wo man sich da jetzt festmacht und wo man da hängt. Dass der Papst ausgerechnet Newman zum Kirchenlehrer erhebt, der in dieser Spannung sein ganzes Leben verbracht hat und sich persönlich auch sehr schwer mit dem Ersten Vatikanischen Konzil tat, kann ich als Anglikaner sehr gut nachvollziehen.
Ich finde es wichtig und interessant, dass der Papst sich da äußert, inwieweit er persönlich involviert ist. Das bedeutet aber für mich einfach, dass der Papst die anglikanische Theologie sieht.
DOMRADIO.DE: Wird Newman angesichts dieses Spannungsfelds von den Anglikanern als Abtrünniger oder Verräter betrachtet, wenn er als einer der bedeutenden Theologen im Erwachsenenalter katholisch geworden ist?
Arens: Vor knapp 200 Jahren bestimmt, das ist aber jetzt schon ewig her. Mir ist das aber nicht bekannt. Und was das Wort abtrünnig angeht, so glaube ich, sind wir über die Art von Sprachregelung wir mittlerweile hinaus.
Er wird eher als jemand gesehen, der in der damaligen Zeit in seinem persönlichen Glauben und in seinem persönlichen Leben den Schritt auch tun musste. Ich glaube, heute sind wir weiter. Es gibt weiterhin Anglikaner, die den Schritt tun, und es gibt weiter römische Katholiken, die den Schritt in die andere Richtung tun und versuchen, ihre geistliche Heimat zu finden.
Ökumenisch sind wir seitdem auf jeden Fall weiter. Die großen Schritte bleiben leider aus. Mittlerweile gibt es dieses eigene Personal-Ordinariat für ehemalige Anglikaner. Die große Resonanz darauf ist ausgeblieben. Die offizielle Anerkennung der anglikanischen Weihen steht leider auch noch aus. Aber ich habe da Hoffnung.
Die Schwierigkeiten sind bekannt und auch innerkatholisch da: Wie geht man mit der Gleichberechtigung von Frauen um? Welche Auswirkungen hat das auf das Weihesakrament? Wie ist das mit der Neubewertung von homosexuellen Beziehungen? Da haben wir exakt die gleichen Schwierigkeiten. Und diese Schwierigkeiten sind auch ökumenisch da. Auch da habe ich Hoffnung.
Meine Verortung ist sehr eindeutig in der anglikanischen Tradition. Als verheirateter Priester macht das, glaube ich, auch Sinn. Ich wünsche mir aber vom Papst, dass er da Schritte tut. Er hat aber genug damit zu tun, die katholische Kirche zusammenzuhalten. Da kracht es ja auch an allen Ecken und Enden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.