Wo Menschen zusammenleben, da kommt es schon mal zu Reibereien, Streit und größeren Konflikten. Wenn der Papst nun dazu einlädt, für das wechselseitige Zusammenleben zu beten, dann können diesem Anliegen sicher viele Menschen – unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis – zustimmen.
In vielen Ländern der Welt und auch im deutschsprachigen Raum scheint die von Franziskus genannte "Konfrontation auf ethnischer, politischer, religiöser oder ideologischer Basis" zuzunehmen. Eine gewisse Sprachlosigkeit zwischen verschiedenen weltanschaulichen Lagern (häufig als "Filterblasen" bezeichnet) wird nicht selten als wichtige Ursache dafür identifiziert.
Der neue Papst Leo XIV. kennt dieses zunehmende Lagerdenken, diese Sprachlosigkeit und diese Tendenz zur Radikalisierung gewiss aus seiner amerikanischen Heimat und vermutlich auch aus Peru, wo er lange Jahre als Bischof gewirkt hat. Christinnen und Christen haben manchmal vielleicht den Eindruck, dass sie zwar für ein Anliegen beten, aber als einzelne Menschen nur wenig verändern oder bewirken können. In diesem Fall ist das möglicherweise anders: Auch auf die persönliche Bereitschaft, mit Andersdenkenden im Gespräch zu bleiben, kann es ankommen.
Zuhören auch in Konflikten
Natürlich wird niemand imstande sein, die politische Instrumentalisierung ethnischer oder religiöser Unterschiede oder das Schüren von Konflikten ganz allein zu verhindern. Doch bereits das Bemühen, über soziale Schichten und weltanschauliche Gräben hinweg in Verbindung zu bleiben und die damit verknüpfte Fähigkeit, einander auch in Konfliktsituationen zuzuhören, kann in der Gesellschaft etwas verändern.
Zugleich dürfen wir auch unseren Glauben an den Gott des Lebens verkünden, der im Buch Genesis auf alles blickt, was er gemacht hat – und sieht, dass es gut ist. Gut geschaffen ist also auch der Nachbar, dessen Ansichten wir aus ganzem Herzen ablehnen, gut geschaffen die Kollegin, mit der wir uns häufig streiten, gut geschaffen die Familie in der Straßenbahn, die fremd wirkt.
In einem Konflikt, im Stress des Alltags oder in einer politischen Diskussion tritt dieses grundlegende Ja Gottes zu allen Menschen – und zu allen Geschöpfen – häufig zurück. Das Gebetsanliegen dieses Monats ist also vielleicht eine Erinnerung an das Geschenk der Einheit über alle Unterschiede hinweg – das Geschenk, gemeinsam vom Höchsten gut geschaffen zu sein.
Soziale Vorurteile sind zeitlos
Dabei geht es nicht um christlichen Triumphalismus. Oft genug ging dieses grundlegende, in der Heiligen Schrift bezeugte "Ja" Gottes zu allen Geschöpfen im praktischen Umgang auch der Kirche und den christlichen Verantwortungsträgern verloren. Oder es wurden Menschen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Überzeugungen wegen verfolgt, verachtet und im Namen Gottes bekämpft.
Sogar das erste in den Quellen bezeugte Schisma im Amt des Bischofs von Rom soll (auch) von sozialen Vorurteilen herbeigeführt worden sein: Die Wahl des ehemaligen Sklaven Calixtus führte angeblich dazu, dass sich der Kirchenvater Hippolyt selbst erheben ließ und damit als erster "Gegenpapst" in die Geschichte einging.
Und dennoch: Obgleich wir manchmal selbst hinter der Zusage Gottes zu seiner Schöpfung zurückbleiben, obgleich wir auch als Christen immer wieder in der Gefahr stehen, die Konfrontation auf ethnischer, politischer, religiöser oder ideologischer Basis zu suchen – das Gebetsanliegen dieses Monats mag in einer konfliktreichen Situation daran erinnern, dass der Mensch vor uns, über den wir uns gerade fürchterlich aufregen, in das "sehr gut" Gottes am Schöpfungsmorgen eingeschlossen ist.
Hin und wieder ist besser als nie
Im Buch der Weisheit – entstanden in der antiken Metropole Alexandria, in der es wegen zahlreicher ethnischer und religiöser Konflikte immer wieder zu gewalttätigen Unruhen kam – drückt der jüdische, griechisch sprechende Autor es so aus: "Herr, Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen" (Weish 11, 24). Vielleicht gelingt es uns, hin und wieder daran zu denken.