Er ist ein "Kirchenlehrer der Moderne" und vor Tony Blair der wohl prominenteste Konvertit Englands: John Henry Kardinal Newman (1801-1890). Nur 38 Persönlichkeiten der Kirchengeschichte tragen bisher den Titel "Kirchenlehrer". Der britische Kardinal wurde am 1. November 2025 durch Papst Leo XIV. in diesen illustren Kreis aufgenommen.
Newman, der im 19. Jahrhundert lebte und wirkte, war zunächst ein Priester der anglikanischen Church of England. 1845 nahm er den katholischen Glauben an und wurde nach weiteren theologischen Studien 1847 in Rom zum katholischen Priester geweiht. Aufgrund seiner Konversion schlugen ihm Misstrauen und Anfeindungen von katholischer und anglikanischer Seite entgegen. Die einen hielten ihn für einen subversiven Protestanten; für die anderen war er ein Abtrünniger. Dennoch machte sich Newman mit seinen theologischen Reden und Schriften bald einen Namen – sowohl in Rom als auch in England.
Am 19. September 2010 wurde er von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Anfang 2019 hat Papst Franziskus ein Wunder, das auf die Fürsprache Newmans zurückzuführen ist, anerkannt. Die Voraussetzung für die Heiligsprechung Newmans war damit erfüllt, die Papst Franziskus am 13. Oktober 2019 vornahm.
Newmans Einfluss auf Papst Benedikt XVI.
Aus Anlass von Newmans 100. Todestag berichtete Kardinal Joseph Ratzinger 1990, er sei im Januar 1946 als Seminarist vom älteren Studiengenossen Alfred Läpple in Newmans Gedankenwelt eingeführt worden. Gottlieb Söhngen, Ratzingers Doktorvater, und Heinrich Fries verstärkten die Faszination des englischen Theologen und Universalgelehrten. Die Begegnung mit Newman sollte für den jungen Seminaristen entscheidend werden.
"Newmans Lehre vom Gewissen", so Ratzinger im Rückblick, "wurde für uns damals zu einer wichtigen Grundlegung des theologischen Personalismus, der uns alle in seinen Bann zog. ... Wir hatten den Anspruch einer totalitären Partei erlebt, die sich selbst als die Erfüllung der Geschichte verstand und das Gewissen des einzelnen negierte ... So war es für uns befreiend und wesentlich zu wissen, dass das Wir der Kirche nicht auf dem Auslöschen des Gewissens beruhte, sondern genau umgekehrt sich nur vom Gewissen her entwickeln kann."
Newman konvertierte aus Gewissensgründen im Alter von 44 Jahren. Das Misstrauen, das ihm sowohl von Katholiken als auch von Anglikanern entgegenschlug wich erst dank seiner "Apologie" (1864), einer Art Rechenschaftsbericht über seinen Glaubensweg. Papst Leo XIII. schlug massive kurieninterne Bedenken, Newman sei "zu liberal", aber auch gezielt gestreute, verleumderische Gerüchte in den Wind, als er ihn 1879 zum Kardinal ernannte ("il mio cardinale"); er war entschlossen, "indem ich Newman ehren würde, die Kirche zu ehren."
Ein Toast auf das Gewissen
Was lässt sich von John Henry Newman lernen? Vor allem Mut zum Gewissen. Berühmt und viel zitiert ist eine Passage aus seinem "Brief an den Herzog von Norfolk" (1874), in dem er den Primat des Gewissens betont: "Wenn ich ... einen Toast auf die Religion ausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen. Dann erst auf den Papst." Der Trinkspruch wirkt dramatischer, als er klingt; denn er spricht, wie Karl Rahner SJ betonte, lediglich "eine absolute Selbstverständlichkeit" aus. "Der katholische Christ", so Rahner im September 1978 in Freiburg am Ende der ersten internationalen Newman-Tagung auf deutschem Boden, "wird sagen: Aus der letzten Lebensentscheidung eines Gewissens heraus akzeptiere, anerkenne ich diese objektive Lehrautorität der katholischen Kirche als eine äußere, aber sinnvolle, notwendige, von Gott gewollte Norm meines Gewissens, aber die Anerkennung dieser objektiven Norm ist selbstverständlich noch einmal meine eigene, auf meine eigene Rechnung und Gefahr durchzuführende Gewissensentscheidung. Man kann das Gewissen nie gleichsam an einen anderen abgeben und abliefern."
John Henry Newman ehren heißt auch, von seinen Überzeugungen lernen. "Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität", heißt es im Kommentar zur Nummer 16 der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des letzten Konzils, "steht noch das eigene Gewissen, dem zuallererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität."
Die Botschaft Newmans für die Menschen von heute
Newman sei ein Heiliger für unsere Zeit gewesen, der unsere Herausforderungen nicht nur vorausgesehen, sondern auch selbst durchlebt habe, meint Pater Hermann Geissler FSO, der Leiter Internationalen Zentrum der Newman-Freunde in Rom. "Die Herausforderungen durch die Technik und Wissenschaft, die Herausforderung auch durch den modernen Atheismus." Seine große Stärke liege – wie Pater Geissler betont – darin, dass er "gerade für die Herausforderungen der Kirche unserer Zeit sehr ausgewogene und überzeugende Antworten" bieten könne.
Das Zentrum entstand 1975 im Anschluss an das erste akademische Newman-Symposium und veranstaltet Gottesdienste, Newman-Walks, Einkehrtage, aber auch Symposien, Kongresse und Studientage.
Als eifriger Wahrheitssucher, der er selbst war, würde es Newman – wie Pater Geissler meint – wohl schon als "gutes Zeichen" sehen, wenn jemand nach der Wahrheit sucht, weil dies zeige, dass er "bereits von Gottes Gnade ergriffen" sei. Und er würde vielleicht empfehlen, "sich auch anderen Menschen anzuvertrauen: Freundschaft, gute Freundschaft ist ein großes Geschenk auf unserem Weg zum Herrn."
Auch angesichts der heutigen Kirchen- und Glaubenskrise würde Newman wohl nicht verzweifeln, sondern Mut machen und dazu einladen, wie er selber zutiefst auf Gott zu vertrauen: "Er würde uns sagen: Vertraut auf den Herrn, vertraut auf die Gnade; die unsichtbare Welt Gottes ist wirklicher und wichtiger und bedeutsamer und auch mächtiger als die sichtbare Welt um uns herum. Newman hatte ein unglaubliches Vertrauen auf den Herrn."
Die Kraft des Gebets
Sr. Anna Düringer, die seit 2022 am Newman-Zentrum im englischen Littlemore wirkt, erzählt, dass der britische Heilige Kraft vor allem aus dem Gebet zog: "Einmal erklärte Newman das Gebet in einer Predigt folgenderweise: Gebet ist die Übung, sich Gott und der unsichtbaren Welt zuzuwenden. In jeder Saison, an jedem Ort, in jeder Not“, betont die Österreicherin.
Integrität und Herzensbildung waren für Newman wesentlich. Seine Gedanken zur Bildung und zum Laienapostolat sind auch für die Kirche des 21. Jahrhunderts aktuell. Newman war es immer ein Anliegen, nicht nur Fachwissen weiterzugeben, sondern die Menschen vor allem in ihrem Herzen zu formen.
Das Motto von Kardinal Newman "cor ad cor loquitur – das Herz spricht zum Herzen" gibt einen Einblick in sein Verständnis des christlichen Lebens als Berufung zur Heiligkeit. Der Kardinal erinnert daran, dass die Treue zum Gebet allmählich verwandelt und Gott ähnlich werden lässt.