Warum ein Kampfsportlehrer junge Geflüchtete trainiert

Zorn in Mut verwandeln

Junge Flüchtlinge in Kampfsport trainieren, die vorher Krieg und Gewalt erlebt haben? Genau das ist der richtige Weg, meint Kampfsport-Weltmeister Ronny Kokert, denn Wut könne konstruktiv umgewandelt werden. Aber es gibt Grenzen.

Symbolbild Kampfsportler bandagiert sich die Hand / © Rawpixel.com (shutterstock)
Symbolbild Kampfsportler bandagiert sich die Hand / © Rawpixel.com ( shutterstock )

DOMRADIO:DE: "Freedom Fighters" - unter diesem Namen bieten Sie Kampfsport-Training speziell für junge Kriegsflüchtlinge an. Das sind meistens junge Männer. Was sind das für Typen? Was für Erfahrungen bringen die mit?

Ronny Kokert (Österreichischer Kampfsportler und Buchautor): Das sind Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind -  aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Irak. Die alles zurücklassen mussten, was sie hatten: Familie, Freunde und sich auf den Weg gemacht haben, über das Mittelmeer, dort oft gekentert sind, dann in Lager in Griechenland ausgegrenzt wurden und jetzt hier in Österreich in Sicherheit angekommen sind. Mit denen habe ich begonnen, 2016 zu trainieren.

Ich habe sie eingeladen, mit mir Kampfkunst zu trainieren, weil ich wusste, dass mein Training ein guter Weg ist, um sie für dieses neue Leben in Freiheit zu wappnen. Sie sollen sich die Angst, Aggression, Wut bewusst machen. Denn diese Angst, die ich in den Augen sah, kann sehr schnell in Zorn und Wut eskalieren. Aber die kann auch in Mut transformiert werden, in Mut zur Veränderung. Und ich wusste, dass ich da mit meinem Training zu beitragen kann.

DOMRADIO:DE: Mit diesen oft schwer traumatisierten jungen Männern machen Sie ausgerechnet Kampfsport, nicht etwa Töpfern oder Tanzen. Warum genau Kampfsport?

Kokert: Als ich mich im Flüchtlingsheim engagierte und den Männern zum ersten Mal begegnete, wusste ich sofort: Diese Männer waren eben in dieser Angst gefangen, waren gerade im Erwachsenwerden. Mit Töpfern oder einer Maltherapie hätte ich sie schwer erreicht. Als ich aber erzählt habe, dass ich Kampfsportler bin, sah ich sofort das Leuchten in den Augen und ich wusste, ich kann sie da führen und ihnen einen Weg zeigen, wie sie mit dieser Angst und dieser Unsicherheit konstruktiv umgehen lernen. Damit die nicht in Wut und Zorn eskaliert, sondern in Mut, in Mut zur Freiheit und auch in eine Möglichkeit, sich hier zu integrieren.

Das funktioniert wunderbar. Ich habe die Burschen auch auf Wettkämpfe vorbereitet, mit großartigen Erfolgen bis zu Weltmeistertiteln. Aber auch im Alltag haben sie sich super integriert, haben Lehrstellen gefunden, sind Teil meines Trainingszentrums und leben hier wirklich in Frieden und in Dankbarkeit.

DOMRADIO:DE: Sie sagen, oft klappt das, aber leider auch nicht immer. Was tun Sie, wenn Sie merken, da hat jemand tatsächlich ein richtig schweres psychisches Problem und da komme ich jetzt mit dieser Kampfsport-Methode auch nicht weiter?

Kokert: Wie gesagt, ich möchte das Ganze auch nicht mit der rosaroten Brille betrachten. Ich habe in den letzten sechs Jahren um die 300 junge Männer trainiert und es waren auch einige dabei, die ich nicht in den Kurs aufnehmen konnte, die zu sehr gefangen waren in ihren sozialen oder auch religiösen Dogmen. Es gab Leute, die haben sich vor anderen nicht verbeugt. Es gab Menschen, die waren zu aggressiv.

Da schau ich dann ganz genau hin, versuche dann auch mit Psychologen gemeinsam diese traumatischen Erfahrungen und Erlebnisse zu verarbeiten. Aber letztendlich ist es auch so, dass ich dann nicht alle in den Kurs aufnehmen kann.

DOMRADIO:DE: Viele junge Männer auf engem Raum zusammen in Warteschleife, ohne Perspektive, ohne Beschäftigung. Das kann eigentlich nicht gut gehen. Trotzdem sieht das in Flüchtlingsheimen in Deutschland oder auch bei Ihnen in Österreich oft genauso aus. Was würde helfen?

Kokert: Integrationsmaßnahmen, die diesen Namen wirklich verdienen. Ich meine, die Menschen sind, wie gesagt, auf der Flucht, haben alles verloren. Dann werden sie hier in Flüchtlingslagern nahezu eingesperrt, haben kaum Möglichkeiten. Hier in Österreich ist es ihnen auch nicht erlaubt, Lehrstellen zu bekommen. Ich hab Burschen gehabt, die hatten fixe Zusagen zur Lehrstelle und durften die nicht antreten. Das heißt, diese jungen Männer wollen sich engagieren, wollen sich integrieren.

Es wird ihnen aber verwehrt, es wird ihnen nicht ermöglicht. Und hier genau hinzusehen und diese Menschen auch aufzunehmen, auch in ihrem Leid zu sehen, das ist mir wichtig. Auch, dass wir erkennen, diese Burschen schauen mit ihren Turnschuhen, ihren Sneakers ganz normal aus. Aber dahinter stecken schwer traumatisierte, gekränkte Seelen und diese auch in ihrem Leid zu sehen und sich auch zeigen zu dürfen, ist ganz ein wichtiger Punkt - und auch sehen, welches Potenzial in ihnen liegt; ein Potenzial oder einen Nutzen auch für uns, in unserer Gesellschaft, dass diese Menschen doch zeigen können: Worauf kommt es denn wirklich an im Leben?

DOMRADIO:DE: Der Fall des somalischen Attentäters von Würzburg wird von den Rechtspopulisten für ihre Sicht der Dinge benutzt. Was muss denn aus Ihrer Meinung nach passieren, damit es einerseits keinen Generalverdacht gegen Geflüchtete gibt und andererseits aber reale Gefahren auch wirklich nicht übersehen werden?

Kokert: Erst einmal mein herzliches Beileid den Opfern und den Hinterbliebenen. Man sollte den Fokus wirklich dorthin lenken und sollte auch genau hinsehen. Man sollte die Menschen sehen und nicht die Statistiken. Wir werden immer mit Statistiken überschüttet und viele Politiker verwenden das natürlich auch gleichzeitig, um von ihren eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Aber wenn man diese Menschen kennenlernt, wenn man ihnen entgegentritt und sie wirklich individuell auch sieht, dann wird man erkennen, dass es Menschen sind, die wirklich ihr Bestes geben, die sich nichts lieber wünschen, als in Sicherheit und Frieden zu leben.

Gleichzeitig solte man natürlich auch hinsehen, dass es Menschen gibt, die das eben nicht wollen. Das heißt, einen schnellen Zugang zu fairen Asylverfahren ermöglichen; die Menschen sehen, die sich hier integrieren wollen und auch die Menschen sehen, die es nicht wollen und sich dann von diesen trennen. Dann kann man den Fokus dorthin lenken, wo es darauf ankommt, nämlich auf die Menschen, die hier in Sicherheit und in Freiheit leben wollen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Lesetipp der Redaktion:

Ronny Kokert: Der Weg der Freiheit. Wie ich von Geflüchteten lernte, anzukommen

Herausgeber: Kremayr & Scheriau

Erscheinungstermin: Mai 2021

ISBN: 9783218012775


Quelle:
DR
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