Es funktioniert doch. Israelis und Palästinenser an einem Ort, die einander treffen, sich austauschen und Verständnis für die andere Seite entwickeln. "Das war für mich eine ganz tolle Erfahrung", sagt Tizian Kress: "Hier ist ein Frieden erlebbar, den man sich für die ganze Region wünscht."
Tizian Kress arbeitet als Freiwilliger im "Beit Noah", einer Einrichtung der Benediktiner in Tabgha am See Genezareth, wo sich Kinder und Jugendliche mit Behinderung begegnen, die aus Israel und den Palästinensergebieten kommen. Und diese Treffen seien sehr beeindruckend, erzählt er, "diese Menschen mit Behinderung haben es verstanden."
Viele junge Menschen gehen ins Ausland
Zu Tizians Aufgaben zählen Arbeiten in dem weitläufigen Garten direkt am Ufer des See Genezareth, er richtet die Gästezimmer her und ist Ansprechpartner für die Besuchergruppen: "Ein toller, idyllischer Ort", schwärmt der 26-Jährige, der aus Weyhers in der der Nähe von Fulda kommt. Der Freiwilligendienst in Israel ist für ihn eine Auszeit: "Ich habe mit 16 angefangen zu arbeiten und danach Elektrotechnik studiert. Ich wollte mal raus und mich persönlich weiterentwickeln", erzählt er.
So wie er absolvieren viele junge Menschen jedes Jahr einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD), weil sie eine Pause zwischen Schule und Ausbildung oder Studium einlegen, neue Erfahrungen suchen oder auf der Suche nach Orientierung sind. Tizian ist mit dem Deutschen Verein vom Heiligen Land (DVHL) in Israel, der dort noch andere Projekte dort fördert: Von der Mitarbeit im Pilgerbüro und der Dormitio-Abtei in der Jerusalemer Altstadt bis hin zu Sozialeinrichtungen ganzen Land: Es gebe zahlreiche unterschiedliche Einsatzgebiete, sagt der Generalsekretär des DVHL Matthias Vogt.
Der Aufenthalt dauert in der Regel ein Jahr und wird sowohl von der Bundesregierung als auch dem DVHL finanziell gefördert, Unterkunft und Essen sind frei. Damit komme man normalerweise gut über die Runden, so Vogt, nur größere Reise im Land müssten selbst getragen werden.
Wie steht es um die Sicherheit?
Trotzdem ist Israel kein gewöhnliches Reiseziel. Tizian ging im September 2023 dorthin, nur einen Monat später – am 7. Oktober - überfielen Terroristen der radikalislamischen Hamas das Land, seitdem herrscht in der Region Krieg. "In Tabgha hat man davon zunächst nicht viel mitbekommen", erinnert sich Tizian, "wir waren vom DVHL auf die politische Situation gut vorbereitet worden, wir wussten, wer hier die politischen Akteure sind und wie man sich bei einem Alarm verhält, denn das kommt häufiger vor."
Die Tragweite der Ereignisse sei ihm erst in den Tagen danach bewusst geworden. Angst habe er dennoch nie gehabt, sagt er: "Ich habe es hier als sehr sicher erlebt. Es gibt einen Unterschied zwischen den Bildern im Fernsehen und der Realität vor Ort." Fünf Tage später mussten er und die anderen Freiwilligen aus Deutschland auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes nach Hause fliegen. Tizian wäre gerne geblieben.
Mittlerweile ist die Reisewarnung für das Kernland Israel aufgehoben, Urlaub und Pilgerreisen im Heiligen Land sind wieder möglich und im Sommer beginnen auch die Freiwilligendienste wieder. "Wir schicken die jungen Menschen nur in die Einrichtungen, wo es derzeit sicher ist und im Kernland von Israel ist es – anders als man hierzulande denkt – sicher, der Staat ist sehr gut vorbereitet auf den Schutz der Leute", versichert Vogt.
Internationale Erfahrungen
Lohnenswert sei ein solcher Auslandsaufenthalt auf jeden Fall. "Man lernt, alleine zurechtzukommen, aber man ist nie alleine. Man macht internationale Erfahrungen und lernt das Heilige Land kennen", sagt der DVHL-Chef. Viele junge Menschen kämen verändert zurück: "Man merkt, dass in dem Jahr ganz viel an Entwicklung stattfindet und viele sind dem Verein noch Jahrelang verbunden und engagieren sich. Das zeigt, wie sehr sie diese Zeit im Heiligen Land geprägt hat."
Bewerben kann sich jeder zwischen 18 und 26 Jahren, Englisch sollte man können. Ein Schulabschluss und die Noten seien hingegen nicht so wichtig, ergänzt Vogt: "Es geht vor allem darum, dass man Spaß hat, mit Menschen zu arbeiten." Und auch für ältere Interessierte gibt es ein 3-monatiges Freiwilligenprogramm.
"Der Glaube wird hier erlebbar"
Tizian setzte nach dem 7. Oktober seinen Freiwilligendienst zunächst bei den Oplaten in Rom fort und kehrte dann noch zwei Mal zurück, derzeit ist er wieder im Beit Noah, auch weil der Freiwilligendienst für ihn eine spirituelle Suche ist: "Ich dachte, dass das Heilige Land dafür ein guter Ort dafür sein würde. Am See Genezareth zu sein, ist jeden Tag etwas Besonderes." Ein Ort, den die Aura der vielen biblischen Geschichten umgibt, die sich dort zugetragen haben, von der wunderbaren Brotvermehrung bis zur Bergpredigt: "Man spürt das Evangelium anders. Der Glaube wird hier erlebbar", sagt Tizian.
Und auch sein Blick auf das Land und den Konflikt hat sich verändert: "Ich versuche, beide Seiten zu sehen", sagt er. "Ich schaue auf die Menschen und nicht auf die Narrative, die es auf beiden Seiten gibt, denn es gibt so viele, die in Frieden leben wollen. Hier in der Begegnungsstätte und in vielen anderen Orten habe ich gesehen, dass das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen möglich ist." Zurückkommen wird er auf jeden Fall: "Israel ist für mich so etwas wie eine spirituelle Heimat geworden. Es ist eine sehr bereichernde Erfahrung, hier zu sein."