DOMRADIO.DE: "Fürchte dich nicht." Dieser Satz steht angeblich 365 Mal in der Bibel. Stimmt das?

Miriam Pawlak (Bibelreferentin in der Bibel- und Liturgieschule im Erzbistum Köln): Ja, das ist tatsächlich wahr. Das ist auch wunderschön. Das sagt nämlich ganz schön viel über Gott selber aus.
Zunächst einmal ist Furcht als menschliche Regung oder Emotion bei Gott bekannt. Das sehen wir beispielsweise daran, dass Jesus kurz vor seiner Festnahme zu seinem Vater betet und diese Furcht dabei verspürt.
Dann ist es klasse, dass dieser meistzitierte Satz in der Bibel "Fürchte dich nicht" als Zusage Gottes dasteht. Im Prinzip heißt das nichts anderes als "vertrau mir". Das zeigt, wie Gott zu verstehen ist.
DOMRADIO.DE: In welchen Situationen wird dieser Satz zum Beispiel genannt?
Pawlak: Vor allem, wenn Furcht aufkommt. Das ist eine Angst, die ganz bedeutsam ist, weil sie lähmen kann oder das eigene Ich verschleiern will. Dann kommt Gott schon zu Hilfe. Wir sehen das beispielsweise bei Jesaja im Kapitel 43. Da steht: "Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir."
Im Markusevangelium geht es darum, dass die Tochter des Synagogenvorstehers gestorben ist. Jesus nimmt genau diesen Satz und sagt: "Fürchte dich nicht, glaube nur." Im Lukasevangelium kommt der Engel zu Zacharias, der nicht glauben kann, dass seine hochbetagte Frau schwanger ist. Der Engel sagt: "Fürchte dich nicht, Zacharias." Sogar mit Namen angesprochen.
DOMRADIO.DE: Inwiefern hängt denn der Satz auch mit der Gottesfurcht zusammen?
Pawlak: Das hat keine sehr enge Verbindung. Zunächst einmal ist die Furcht eine Kraft, die die Macht hat, beispielsweise die Macht, den Weg zu einem selbst zu versperren und damit auch den Zugang zu Gott zu versperren. Gottesfurcht ist aber eher ein Beziehungsmerkmal zwischen Gott und Mensch. Gottesfurcht ist eine Art Hilfestellung, um die Anwesenheit Gottes wahrnehmen zu können, wenn man in entsetzenden oder angsteinflößenden Situationen ist.
Gottesfurcht ist eine Tugend, die zu Gott führt und den Menschen mit Gottes Anwesenheit wachsen lässt und ihn handlungsfähig macht. Da fällt mir das Beispiel vom Propheten Elija ein, der zum König gehen soll und erst zögert, wie das häufig in Propheten-Erzählungen ist. Dann sagt der Engel des Herrn zu Elija: "Geh mit und fürchte dich nicht." Elija steht sofort auf, geht hin und trägt vor, was der Herr ihm aufgetragen hat. Es ist also ein echter Motivationskick.
DOMRADIO.DE: Wie können Menschen den Satz in ihrem täglichen Leben anwenden?
Pawlak: Der Satz gilt uns allen. Ich finde es eindrücklich, wie vor vielen Jahren Papst Johannes Paul II. insbesondere jungen Menschen zugerufen hat: "Habt keine Angst!" Es war eine Aufforderung, auf Jesus Christus zu vertrauen und das auch nach außen zu tragen.
Papst Franziskus ruft auch immer wieder dazu auf. Damit ist zum einen die Hoffnung verbunden. Zugleich geht es aber auch darum, Träume Realität werden zu lassen, in dem Glauben, dass man von Gott getragen ist. Nichts anderes steht hinter diesem Satz: "Fürchte dich nicht."
Das Interview führte Lara Burghardt.