DOMRADIO.DE: Die Bewahrung der Schöpfung und das Eintreten für die Armen waren zentrale Themen bei Papst Franziskus. Welche Bedeutung hatte der interreligiöse Dialog in seinem Pontifikat?

Prof. Dr. Dirk Ansorge (Dogmatiker an der Hochschule Sankt Georgen): Der interreligiöse Dialog ordnet sich in diese umfassende Zielsetzung ein. Franziskus hat in den Religionen und in den Vertretern der Religionen Mitstreiter für dieses Anliegen gesehen. Er hat von ihnen eine Schöpfungsspiritualität erwartet, die einen veränderten Umgang mit der Welt, mit der Natur und den Ressourcen auf den Weg bringen, sodass wir pfleglich und auch mit Blick auf kommende Generationen mit der Umwelt umgehen. Die Religion spielte dabei für ihn eine große Rolle.
DOMRADIO.DE: Gibt es ein zentrales Dokument für diesen Dialog mit anderen Religionen?
Ansorge: Das zentrale Dokument für den Dialog mit dem Islam ist das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen, das 2019 mit dem Großimam der Azhar-Universität in Kairo in Abu Dhabi unterzeichnet worden ist. Aber der Dialog der Religionen kommt bei Franziskus in fast allen Dokumenten vor.
In "Evangelii Gaudium" und anderen Dokumenten ist immer wieder der Seitenblick da. Das liegt nahe, weil wir in einer globalisierten Welt leben. Das Christentum besteht nicht mehr alleine, sondern immer im Austausch mit anderen Religionen.
DOMRADIO.DE: Franziskus war in Israel und außerdem der erste Papst, der den Irak besucht hat. Wie war das Verhältnis von Papst Franziskus zum Islam und zum Judentum?
Ansorge: Zum Islam hatte ich bereits das Dokument über die menschliche Brüderlichkeit erwähnt. Er hat ein sehr freundschaftliches Verhältnis mit dem Großimam Ahmad al-Tayyeb gepflegt. Mit dem Judentum ging es am Anfang relativ intensiv los. Er hatte in Buenos Aires Verbindungen mit dem Rabbiner Abraham Skorka gehabt. Das trug sich in den ersten Jahren seines Pontifikates durch, kühlte sich aber im Verlauf seines Pontifikats ein wenig ab.
Nicht zuletzt gab es nach dem 7. Oktober 2023, nach den Massakern, die die Hamas an Juden und Jüdinnen in Israel verübt haben, spürbare Verwerfungen. Juden haben beim Papst vermisst, dass er eine klare Stellungnahme zu den Verantwortlichkeiten dieses Massakers verlautbarte. Das hat den jüdisch-christlichen Dialog nachhaltig beschädigt.
DOMRADIO.DE: Es gab ein interreligiöses Treffen in Singapur.
Ansorge: Das war ein interreligiöses Treffen, vor allen Dingen mit Jugendlichen, am Ende einer längeren Asienreise. Über die monotheistischen Religionen, also über den Islam und das Judentum hinaus, waren die anderen Religionen im Blick.
Dort hat Franziskus bemerkenswerte Aussagen getroffen, was die Bedeutung der Religion insgesamt angeht. Er hat dort gesagt, dass alle Religionen Wege zu Gott sind. Das haben nicht alle nur positiv aufgenommen, weil sie darin eine Relativierung des Absolutheitsanspruchs des Christentums erblickt haben.
Papst Franziskus hat das illustriert, indem er gesagt hat, dass bei einem Mosaik die Steine unterschiedlich farbig sein müssten, damit man überhaupt etwas erkenne. Wenn alles nur eine Farbe habe, sehe man nichts. So hat er das Zueinander der Religionen betrachtet. Die Frage bleibt dann: Welche Stellung hat das Christentum? Ist es der wahre Weg zu Gott oder sind die anderen Religionen mit dem Christentum vergleichbar, ihm sogar ebenbürtig?
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielte der Dialog mit Nichtgläubigen für Franziskus?
Ansorge: Auch den hat er gesucht, vor allen Dingen im Bereich seines ethischen Engagements. Die Menschen, die an nichts glauben, waren für ihn Mitarbeiter, wenn es darum ging, eine lebenswerte Welt herbeizuführen und sich dafür zu engagieren. Etwa für Migranten, für Flüchtlinge, für verfolgte Menschen.
DOMRADIO.DE: Welches Erbe hinterlässt er für den interreligiösen Dialog?
Ansorge: Die Schwerpunktsetzung im Bereich der Ethik, der Sozialethik, der Schöpfungsverantwortung ist sicherlich ein neuer Akzent seines Pontifikates. Jeder Nachfolger von Franziskus wird daran anknüpfen müssen.
Wir sehen angesichts der sich abzeichnenden neuen politischen Konstellationen weltweit, wie wichtig das ist. Dass die Schöpfungsverantwortung nicht in den Hintergrund tritt, dafür sind die Gespräche zwischen den Vertretern der Religionen maßgeblich und richtungsweisend.
Das Interview führte Tommy Milhome.