Muslimische Funktionäre würdigen interreligiösen Nachlass des Papstes

Revolutionär des interreligiösen Dialogs

Keine Berührungsängste, sondern Begegnung auf Augenhöhe. Zwei Vertreter des Islam in Deutschland Abdassamad El Yazidi und Aiman Mazyek teilen ihre Erinnerungen an einen Papst, der den christlich-muslimischen Dialog revolutioniert hat.

Papst Franziskus empfängt Großimam Ahmed Mohammed al-Tayyeb 2016 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus empfängt Großimam Ahmed Mohammed al-Tayyeb 2016 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

"Der verstorbene Papst Franziskus hatte einen sehr guten Stand in der muslimischen Welt - bei Geistlichen, in der Bevölkerung der muslimischen Gemeinschaft und auch bei Staatsmännern“, betont Abdassamed El Yazidi, der seit Februar 2025 Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) ist.

El Yazidi

"Bei der ersten Berührung der Hand, der ersten Antwort, dem ersten Lächeln merkt man, dass man mit einem Freund spricht, mit jemandem, der wirklich zuhört".

"Ich kann nicht sagen, wie es bei früheren Päpsten war, aber die Ära von Papst Franziskus habe ich persönlich als intensiv erlebt und die Wertschätzung überall gespürt“, erzählt der 49-Jährige. Er hat ihn einige Male getroffen. Beeindruckende Erinnerungen begleiten ihn bis heute. Aber wie spricht man eigentlich mit einem Papst? Man spreche ihn natürlich mit "Seine Heiligkeit" an. "Aber bei der ersten Berührung der Hand, der ersten Antwort, dem ersten Lächeln merkt man, dass man mit einem Freund spricht, mit jemandem, der wirklich zuhört."

Abdassamad El Yazidi / © Julia Steinbrecht (KNA)
Abdassamad El Yazidi / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Ein Neuanfang nach der Regensburger Rede

Aiman Mazyek kann noch sagen, wie es vor der Ära von Papst Franziskus war. Mazyek stand bis Sommer 2024 dem Zentralrat der Muslime vor und er erinnert sich an die Regensburger Rede von Papst Benedikt. "Da ist viel zerbrochen", sagt er. Die Rede wurde weltweit diskutiert und löste Proteste sowie Massendemonstrationen von aufgebrachten Muslimen aus.

"Dieser Bruch ist aber nicht nur gekittet worden", sagt Mazyek, "die Beziehungen haben sich sehr stark verbessert." Heute sieht Mazyek Papst Franziskus als einen der herausragendsten Päpste, die für den Dialog zwischen Muslimen und Christen eingetreten sind. 

Historischer Meilenstein: Das Dokument von Abu Dhabi

Den Durchbruch im christlich-muslimischen Dialog markierte aber die "Erklärung der Brüderlichkeit aller Menschen", die Papst Franziskus und Großimam Ahmad Al-Tayyeb am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichneten. "Ein Meilenstein des christlich-muslimischen Dialogs", nennt Mazyek diesen Moment. Erstmalig unterzeichneten ein Papst und ein Großimam ein solches Dokument, dass für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen wirbt. Heute steht der 4. Februar sogar als Tag der Geschwisterlichkeit im Kalender.

Aiman Mazyek / © Jannis Chavakis (KNA)
Aiman Mazyek / © Jannis Chavakis ( KNA )

Dieser historische Moment ist seitdem eine Grundlage für Freundschaft zwischen den Religionen und Völkern. El Yazidi erinnert sich, wie er 2022 anlässlich des Jahrestages ein Treffen mit der Deutschen Bischofskonferenz in Frankfurt hatte und sie sich den ganzen Tag diesem Dokument gewidmet haben. Zum Jahrestag 2023 reiste er mit Bischof Bertram Maier nach Abu Dhabi. Der Bischof habe damals den beeindruckendsten Gottesdienste gehalten, den er jemals erlebt habe, "mit mehr als Dreitausend Gläubigen aus unterschiedlichsten Ländern.“ Und das in einem arabisch-islamischen Land, sagt er, "wo ja das Vorurteil herrscht, dass Religionsfreiheit eine untergeordnete Rolle spielt und Menschen anderen Glaubens unterdrückt werden."

Fratelli Tutti: Von Abu Dhabi in die kirchliche Lehre

Dass die Erklärung von Abu Dhabi keine "Eintagsfliege" bleiben sollte, unterstrich der Papst mit seiner Sozialenzyklika "Fratelli Tutti", die Mazyek als "revolutionär" bezeichnet: "Sie steht im Gegensatz zu den nihilistischen Ideologien der Abschottung, zu den Fantasien der Rechten, zum Dschihadismus und zu dunklen Kapiteln der christlichen Geschichte. Es ist nicht nur ein bloßes Friedensmanifest, sondern begreift die Menschheit und die Religionsgemeinschaften als Familie."

El Yazidi

"Wenn er über den Papst spricht, nennt er ihn seinen Bruder".

In fünf verschiedenen Paragraphen der Enzyklika würdigt Papst Franziskus den Großimam Ahmad Al-Tayyeb als besondere Quelle der Inspiration. Zwischen den beiden Würdenträgern entstand eine Freundschaft, sagt El Yazidi, der auch den Großimam kennt. "Wenn er über den Papst spricht, nennt er ihn seinen Bruder." Kurz nachdem El Yazidi Papst Franziskus noch im Februar dieses Jahres getroffen hat, sagte Al-Tayyeb, dass er in Sorge um ihn sei und für ihn bete.

Aiman Mayzek

"Der Prozess des Austauschs, des Gesprächs und der Annäherung wurde durch Franziskus enorm beschleunigt".

Das Wort "Brüderlichkeit" zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen hat mit Papst Franziskus, mit der Unterzeichnung der Erklärung im Jahr 2019 und spätestens mit der Enzyklika eine ganz neue Bedeutung erlangt, erklärt Mazyek.

Weltweite Dynamik des Dialogs

Unter Franziskus habe der interreligiöse Dialog eine beispiellose Dynamik entwickelt, berichtet er: "Der Prozess des Austauschs, des Gesprächs und der Annäherung wurde durch Franziskus enorm beschleunigt." Er sei noch nie auf so vielen Konferenzen mit Würdenträgern aus verschiedenen Religionsgemeinschaften gewesen – "nicht nur aus Judentum, Christentum und Islam, sondern auch Buddhismus, Hinduismus und anderen."

Durch seine Reisen in muslimisch geprägte Länder – von Marokko über Bahrain bis in den Irak, wo er den schiitischen Großayatollah Sistani traf – habe der Papst Zeichen gesetzt, die in der muslimischen Welt mit Respekt und Offenheit aufgenommen wurden.

El Yazidi

"Ängste, Verschwörungstheorien und Hass entstehen, wenn man sich nicht kennt".


Dialog für schwierige Zeiten

Und das in einer Zeit, in der die Grenzen des Sagbaren verschoben worden sind und Extremismus unter dem Deckmantel von Religionen und Ideologien zu Ängsten führen in der Welt. "Wir dürfen uns davon nicht beeinflussen lassen", habe der Papst zu El Yazidi gesagt, als sie sich das letzte mal begegnet sind. "Wir müssen gegen diesen Strom schwimmen". "Wir" hat er gesagt. So werden Muslime zu Weggefährten von Christen und Christen zu Weggefährten von Muslimen. 

Was kann man tun, um diesen Ängsten entgegenzuwirken? Begegnungen schaffen, miteinander ins Gespräch kommen, sagt El Yazidi. "Ängste, Verschwörungstheorien und Hass entstehen, wenn man sich nicht kennt. Es gebe im Koran einen Vers, der dazu aufruft, dass "wir uns als Kinder Adams kennenlernen". Diesen Vers habe Franziskus im Gespräch zitiert. "Wir rufen euch auf, einander zu begegnen, einander kennenzulernen."

Franziskus nimmt die Verse aus dem Koran auf, um eine Verbundenheit zwischen den Religionen zu schaffen. Wenn man voneinander lernen wolle, müsse man auch die Bücher der anderen kennen. "Kein Muslim ist ein Muslim, wenn er nicht die Schrift, die Thora und die Bibel anerkennt", sagt El Yazidi. Begegnung auf Augenhöhe habe Franziskus in den Gesprächen vermittelt.

Ein Vermächtnis, das bleibt

"Franziskus fehlt uns“, sagt Mazyek. Die muslimische Welt trauere um ihn. Besonders die muslimische Seite sei jetzt in der Verantwortung, sein interreligiöses Vermächtnis fortzuführen. "Er war ein Stachel im Fleisch, die Stimme der Unterdrückten, ohne Rücksicht auf Verluste."

Dass ein Papst seine letzte öffentliche Botschaft dem Frieden im Nahen Osten widmete – mit einem Aufruf für einen Waffenstillstand in Gaza – wird in der muslimischen Welt nicht vergessen werden.

Das vielleicht größte Vermächtnis des verstorbenen Papstes sei es aber, dass er einen neuen Standard für den interreligiösen Dialog gesetzt habe: nicht als akademische Übung, sondern als authentische Begegnung von Menschen, die einander als Geschwister betrachten. Eine Vision, die Christen und Muslime nun gemeinsam weitertragen müssten.

Quelle:
DR

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