DOMRADIO.DE: Gegenwärtig macht die Aktionswoche "Gemeinsam aus der Einsamkeit" auf das Thema aufmerksam. Einsamkeit ist auch das Topthema der Anrufe, die bei der Telefonseelsorge eingehen. Wie erklären Sie sich das?

Annelie Bracke (Leiterin der Katholischen Telefonseelsorge Köln): Einsamkeit ist ein sehr weit verbreitetes Thema in unserer Gesellschaft und wird jetzt zum Glück auch schon seit einigen Jahren durch solche Aktionen und dadurch, dass man mal darüber spricht, in den Blick genommen.
Einsam sind Menschen, die unfreiwillig allein leben und die sich nicht irgendwo innerlich angebunden oder ausgeschlossen fühlen. Das sind aber auch Menschen in Beziehungen. Man kann auch in einer Partnerschaft oder in einer Gemeinschaft, einer Schulklasse und einem Freundeskreis sein und sich dann einsam fühlen.
Es ist also sehr weit verbreitet, aber es ist ein sehr schlimmes Gefühl und man spricht ja eigentlich nie darüber oder hat auch niemanden, um öffentlich darüber zu sprechen. Deswegen ist unser Angebot, das so niedrigschwellig ist, natürlich gerade dafür ein sehr gutes.
DOMRADIO.DE: Die Corona-Pandemie hat die Einsamkeit für viele noch auf die Spitze getrieben. Spüren Sie das eigentlich noch immer?
Bracke: Ja, wobei Einsamkeit immer ein sehr großes Thema war. Während Corona haben wir vermehrt auch bei jungen Menschen von Einsamkeit gehört. Die gab es wahrscheinlich vorher auch, aber da ist das nochmal richtig explodiert.
Und bei Menschen, die allein leben, sich aber damit gut eingerichtet hatten und die plötzlich nicht raus konnten, gab es auch vermehrt Einsamkeit. Das klingt immer noch ein Stück nach, weil noch nicht alles wieder so im Lot ist.
DOMRADIO.DE: Doppelt gemein an der Einsamkeit ist ja, dass sie so schambesetzt ist. Warum schämen sich Menschen dafür, einsam zu sein?
Bracke: Wenn man so rausschaut, dann sieht man überall Menschen, die mit anderen zusammen sind und scheinbar damit glücklich sind. Das gleiche Bild zeigt sich auch in den Medien und in Filmen.
Man hat viele Angebote, Menschen zu treffen, deswegen kriegt man dann schnell das Gefühl: "Ich bin ja selber schuld, mich will niemand, es liegt an mir, ich bin nicht beziehungsfähig" oder solche Dinge, was aber alles gar nicht der Fall ist und sein muss. Deswegen wird es so verdeckt und man versucht, sich das nicht anmerken zu lassen.
DOMRADIO.DE: Was können Sie und Ihre Kollegen denn tun, wenn Sie da jemanden in der Leitung haben, der oder die über schlimme Einsamkeit klagt?
Bracke: Zunächst können wir erst mal wirklich gut zuhören, und auch mit dem Herzen zuhören und damit vermitteln, "Sie sind / du bist komplett in Ordnung" und "an dir / an Ihnen ist nichts falsch".
Dann brauchen Menschen, die einsam sind, auch eine Resonanz. Jemanden, der sich einfühlt, der Verständnis zeigt oder Fragen stellt. Denn ein Teil der Einsamkeit ist auch nicht nur, dass ich keine Menschen um mich herum habe, sondern dass ich mir selbst ein Stück fremd werde, wenn ich niemanden habe, der verständnisvoll mit mir geht und zuhört.
Das ist ja auch der Unterschied zum freiwillig gewählten oder angenommenen Alleinsein. Man kann ja auch gut allein sein und mit sich im Reinen und man braucht das auch immer wieder mehr oder weniger als Mensch. Aber das Einsame ist letztendlich auch so, als wäre man ein Stück von sich selber abgeschnitten. Und da können wir wirklich was anbieten.
DOMRADIO.DE: Ich frage mich, gibt es so etwas wie Nothilfe gegen Einsamkeit, die also ganz schnell Besserung bringt?
Bracke: Ich glaube, dass ein Gespräch mit uns zum Beispiel schon Erleichterung bringt. Wir dürfen aber auch nicht überschätzen, dass wir die Menschen aus der langen und tiefen Einsamkeit durch ein Gespräch oder immer wieder Gespräche mit uns komplett herausholen.

Jemand, der einfach nur phasenweise allein ist, dem kann man vielleicht so Anregungen geben, aber die meisten, die bei uns anrufen, sind einfach jahrelang vereinsamt. Die brauchen immer wieder dieses Gespräch mit uns. Das ist dann ein Stück Balsam, aber das heilt nicht die tiefen Wunden. Und trotzdem ist es, glaube ich, sehr wohltuend und wichtig.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig sind solche Gelegenheiten wie die aktuelle Aktionswoche "Gemeinsam aus der Einsamkeit", um dieses tabubesetzte Thema Einsamkeit mal irgendwie aus der Ecke zu holen?
Bracke: Ich finde das total wichtig und auch sehr gut, dass es das seit ein paar Jahren gibt, weil Einsamkeit so ein verdecktes gesellschaftliches Thema ist. Andere Themen machen viel mehr Krach und sind auch wichtig und im Vordergrund, man nimmt sie wahr, weil Menschen sich da bemerkbar machen.
Aber Einsamkeit ist so ein stilles Leiden und kann zu psychischen Erkrankungen führen bis hin zum Suizid. Man darf das also nicht unterschätzen. Es ist kein Wohlfühlthema, sondern wirklich sehr ernst zu nehmen. Deswegen finde ich es gut, dass im Rahmen solcher Wochen darüber sehr stark gesprochen wird.
Das Interview führte Carsten Döpp.
Information: Die Telefonseelsorge Köln sucht wieder neue ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bald startet da auch eine neue Ausbildung. Alle Infos gibt es bei der Telefonseelsorge Köln.