Hygienekonzept für Prostitution in Zeiten von Corona

Sozialpolitik statt Moralpolitik

Dass Bordelle in Corona-Zeiten geschlossen bleiben, heißt nicht, dass es jetzt keine Prostitution mehr gibt. Im Gegenteil, die Situation der Sexarbeiterinnen wird dadurch schlimmer. Der Sozialdienst katholischer Frauen leistet Unterstützung.

Symbolbild Prostitution / © diy13 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Heute hat der SKF gemeinsam mit dem Gesundheits- und Ordnungsamt der Stadt Köln der Vorsitzenden der Frauenunion NRW, Ina Scharrenbach, ein Hygienekonzept für den betreuten Straßenstrich übergeben. Was ist das - eine betreuter Straßenstrich?

Anne Rossenbach (Öffentlichkeitsarbeit beim Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln): Wir haben 2001 gemeinsam mit der Stadt nach Ratsbeschluss auf einem Gelände an der Geestemünder Straße einen betreuten Straßenstrich eingerichtet, um besonders belasteten drogengebrauchenden, suchtkranken Frauen sicheres Arbeiten zu ermöglichen. Wir sind 365 Tage im Jahr dort und machen die Arbeit gemeinsam mit dem Gesundheitsamt, Ordnungsamt und der Polizei.

Frauen, die zum ersten Mal auf dem Gelände auftauchen, informieren und befragen wir. Vielleicht sind es Schulden und man muss gar nicht in die Prostitution einsteigen, nur weil im Moment die Situation aussichtslos erscheint. Wir können dann vielleicht mit unserer Schuldnerberatung helfen. Die Frauen, die in der Prostitution arbeiten, begleiten wir. Wir stehen zur Verfügung bei Familienproblemen, gesundheitlichen Themen, bei Steuerschulden. Wir sind einfach da und teilen ihre Lebenswelt.

DOMRADIO.DE: Das tun sie immer. Aber jetzt in Corona-Zeiten ist die Prostitution verboten. Verschwunden ist sie damit aber nicht, oder?

Rossenbach: Natürlich ist die Prostitution nicht verschwunden, es geht weiter. Der Straßenstrich an der Geestemünder Straße wurde geschlossen und die Frauen konnten einfach nicht mehr arbeiten. Das heißt, sie hatten keine Möglichkeit, irgendwelches Geld zu erwirtschaften. Gerade drogengebrauchende Frauen brauchen einfach das Geld. Die hatten Hunger und mussten auch zum Teil weiter arbeiten gehen, weil es keine Möglichkeit gab, in einem geschützten Rahmen zu arbeiten.

Und wir wissen nicht: Gab es Vergewaltigungen? Wurden Frauen um ihren Lohn betrogen? Sie haben in den Wohnungen ihrer Stammfreier gearbeitet. Waren Sie da Druck und Gewalt ausgesetzt? Das alles wissen wir nicht, weil es natürlich die Hemmschwelle gibt zuzugeben gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen zu haben. Wir brauchen diesen geschützten Raum. Wir brauchen Prostitution die transparent ist, die offen ist, die auch kontrolliert werden kann.

DOMRADIO.DE: Auch vor diesem Hintergrund hat der Sozialdienst katholischer Frauen ein Hygiene-Konzept für den betreuten Straßenstrich erarbeitet. Was sieht dieses Konzept genau vor?

Rossenbach: Ich muss dazu sagen, wir sind ein bisschen von der Realität überholt worden. An diesem Dienstag hat das Landesverwaltungsgericht NRW erklärt, dass die Schließung der Bordelle und Prostitutionsbetriebe nicht mehr weiter aufrechterhalten werden kann. Grundsätzlich wäre also ab Dienstagabend die Prostitution wieder möglich gewesen.

Und in Köln ist man sich einig, dass wir mit dem Hygiene-Konzept Glück haben, weil wir vorgearbeitet haben. Im Einzelnen sieht das Konzept einen Mindestabstand auf dem Gelände vor. Eine Begrenzung der Frauen, die dort arbeiten dürfen. Eine Begrenzung der Freier, die dort arbeiten dürfen. Es sieht erste Regelungen vor wie Sex mit Mund-Nasen-Schutz funktionieren kann. Es sieht Desinfektion überall und an allen Orten vor. Wir haben wirklich versucht mit unseren Partnerinnen und Partnern das Infektionsschutzgesetz und das berechtigte Interesse der Frauen, wieder arbeiten zu wollen, zu berücksichtigen.

DOMRADIO.DE: In jedem gastronomischen Betrieb müssen Gäste jetzt ihre Adressen hinterlassen. Das müsste eigentlich auch für die Kunden in Bordellen oder auf dem Straßenstrich gelten. Aber wir können uns leicht vorstellen, dass das nicht so ohne weiteres gehen wird.

Rossenbach: Ich bin da gar nicht so unsicher oder so ängstlich. Denn in den Bordellbetrieben haben auch die Betreiberinnen und Betreiber und auch die dort arbeitenden Frauen ein virulentes Interesse haben wieder arbeiten zu können. Das heißt, es wird auch gegenüber den Freiern verständlich gemacht werden müssen: Du musst das jetzt tun.

Wir haben uns für den Straßenstrich überlegt, dass es Listen gibt, in die sich die Kunden eintragen. Diese Namen werden dann für zwei bis vier Wochen, je nachdem wie die Bestimmungen sind, vertraulich abgeschlossen. Dadurch, dass der Straßenstrich auch eine Form von Soziotop ist, wo man sich kennt, sind wir ziemlich zuversichtlich, dass sich die Freier, die dort vorbeikommen, dazu bereiterklären werden.

DOMRADIO.DE: Viele, die das jetzt hören, denken aber bestimmt sofort: Ach, Mensch, auf dem Straßenstrich sollten Frauen überhaupt nicht arbeiten müssen. Das soll das alles gar nicht geben. Das ist aber sowieso eine Illusion, oder?

Rossenbach: Es gab ja eine Initiative Corona zu benutzen, um die Bordelle gar nicht mehr wieder aufzumachen. Prostitution hat es aber immer gegeben und gibt es auch in Ländern, in denen Prostitution unter hohen Strafandrohungen steht. Das heißt, wir können natürlich sagen, in der besten aller möglichen Welten gibt es keine Prostitution. In Zeiten sozialer Ungleichheit wird es auch Armut, Prostitution weiter geben.

Das heißt, wir sprechen nicht über moralische Fragen, sondern wir sprechen über soziale Fragen. Und es gibt einen kleinen Teil oder einen größeren Teil selbstbestimmt arbeitender Prostituierter, die das als ihren Beruf sehen und die auch ein Recht darauf haben, ihren Beruf auszuüben. Und für die Frauen und Männer, die aus Armutsgründen in der Prostitution arbeiten, brauchen wir eine andere Sozialpolitik. Das ist aber keine Moralpolitik.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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