Papst Franziskus hat in seinem Pontifikat die Seelsorge und Toleranz für alle Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Die Kirche sei ein Ort für "alle, alle, alle" (todos, todos, todos), wie es der argentinische Papst beim Weltjugendtag in Portugal 2022 den Massen zugerufen hat. Dass dieses "todos" für ihn auch LGBTQ-Menschen beinhaltet, hat er mit seinen Gesten in zwölf Jahren als Papst mehr als deutlich gemacht. So hat Franziskus mehrmals Transmenschen getroffen und stand in engem Kontakt mit dem New Yorker Jesuiten und LGBTQ-Seelsorger James Martin.
Auf der konkreten organisatorischen und theologischen Ebene ergeben sich allerdings einige Herausforderungen und Konfliktfragen, die sich nicht einfach mit dem "todos, todos, todos" beantworten lassen. Nach katholischer Lehrmeinung sind homosexuelle Handlungen "in sich nicht in Ordnung". Sexualität soll innerhalb einer sakramentalen Ehe neues Leben stiften. Deshalb kann es aus katholischer Sicht auch keine gleichgeschlechtliche Ehe geben. Hat man sich über Jahrzehnte diesem Thema vor allem dogmatisch genähert, war es für Franziskus eine Revolution, diese Lehrmeinung nicht abzuändern, sondern den Respekt für den einzelnen Menschen und das Bedürfnis nach Seelsorge in den Vordergrund zu stellen.
Was sagt das Schreiben "Fiducia supplicans"?
So ist es nur konsequent, dass der Vatikan Ende 2023 das Schreiben "Fiducia supplicans" veröffentlicht hat, in dem erstmals ein Segen für Paare in "irregulären Situationen" gestattet wurde. Der Vatikan war hier allerdings sehr bedacht darauf, keine Analogie zur sakramentalen Eheschließung herzustellen, die nach katholischer Überzeugung weiterhin Mann und Frau vorbehalten ist. So achtet das Dokument ganz genau darauf, in welcher Form dieser Segen zu spenden ist. Der Segen solle laut Vatikan nämlich nicht Teil eines festgelegten Rituals sein, sondern mehr eine "spontane" Angelegenheit "im Vorbeigehen" und nicht mehr als einige Sekunden dauern. So soll dies "außerhalb der von den liturgischen Büchern vorgeschriebenen Formulare" geschehen. Es dürfe "ein solcher Segen niemals in direktem Zusammenhang mit einer standesamtlichen Feier oder sonst in irgendeiner Verbindung" erteilt werden, was auch "Kleidung, Gesten und Worte" einschließe.
Auch wenn diese Formulierung für viele Betroffene befremdlich klingen mag, die Aussage dahinter ist klar: Hier geht es nicht um ein der Eheschließung gleichzusetzendes Ritual, sondern um eine pastorale Unterstützung für Menschen, denen der Segen Gottes ein innerstes Anliegen ist und der ihnen nicht verwehrt werden soll. Deshalb bleibt dieser Schritt weiterhin im Einklang mit dem Kirchenrecht.
Segen ist nicht gleich Segen – könnte man sagen. Für den britischen Journalisten und Vatikankenner Austen Ivereigh ist genau das der Kern der Diskussion, wie er im Interview mit DOMRADIO.DE erläutert: "Das ist die wahre Revolution an diesem Dokument. Es bekommt etwas hin, das bisher keine christliche Kirche geschafft hat. Es zeigt pastorales Verständnis und Anerkennung von homosexuellen Beziehungen, ohne die katholische Lehre von Ehe und Familie in Frage zu stellen." Der Clou sei also, zu zeigen, dass nicht jeder Segen gleichzusetzen sei und es sogar einen Segen für homosexuelle Paare geben kann, der im Einklang mit der katholischen Lehre steht.
Gemeinsame Handreichung von Bischofskonferenz und ZdK
Dieser Ansatz geht allerdings nicht so weit wie die Mehrheitsbeschlüsse des Synodalen Weges in Deutschland. Dort haben sich die Synodalen für eine weitestgehende Gleichstellung homosexueller Paare in der Kirche ausgesprochen. Zu den Beschlüssen zählt unter anderem ein Handlungstext, der klare Regeln für Segensfeiern vorschlägt, genau der Schritt, den der Vatikan nicht gehen will. Als Konsequenz haben die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in ihrer "Gemeinsamen Konferenz" im April eine Handreichung veröffentlicht, die Empfehlungen für die Diözesanbischöfe enthält, wie sie in der Praxis mit Segnungen für Partnerschaften in "irregulären Situationen" umgehen können. Damit solle laut DBK eine "bereits vielerorts geübte Praxis bestärkt werden".
Das Bistum Limburg hat diese Handreichung zum 1. Juli in seinem Amtsblatt veröffentlicht und im Text übernommen. So werden auch Hinweise zur Atmosphäre einer Segensfeier, der Sorgfalt in der Vorbereitung oder Gebete für die Gestaltung vorgeschlagen. Das Bistum Rottenburg-Stuttgart hat ergänzend zur Handreichung am 10. Juli eine Materialsammlung mit eigenen Gebeten veröffentlicht.
Die Handreichung bezieht sich dabei sowohl auf das Votum des Synodalen Weges als auch auf "Fiducia supplicans", mit dem sich der Text "weitgehend im Einklang" sieht.
Was machen die Bistümer?
Wie weit dieser Einklang allerdings in der Praxis geht, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten in den deutschen Bistümern. Das Erzbistum Köln hat in dieser Woche bestätigt, dass es diesen Schritt nicht gehen wird, wie aus einem Statement gegenüber DOMRADIO.DE hervorgeht. Das Bistum sieht sich im Einklang mit dem Vatikan und der Weltkirche und findet, dass mit der Veröffentlichung von "Fiducia supplicans" alles Nötige zum Thema gesagt und geklärt sei. "Im Nachgang der Veröffentlichung von "Fiducia supplicans" hat das Dikasterium für die Glaubenslehre explizit darauf hingewiesen, dass die Segensspendung spontan und kurz sein soll, also keine liturgische Form hat. Hier geht die Handreichung nach unserer Einschätzung über die weltkirchlichen Regelungen hinaus."Trotzdem sei es laut Erzbistum Köln sehr wichtig, "im Rahmen der weltkirchlichen Bestimmungen gute Wege zu finden, Menschen die Nähe und Wegbegleitung Gottes zuzusprechen."
Die Kernfrage bleibt also: Befinden sich die Anweisungen der Handreichung von DBK und ZdK im von "Fiducia supplicans" festgelegten Rahmen oder nicht? Ist der Segen für homosexuelle Paare als Teil eines Rituals zu sehen oder als eine spontane Geste des Zuspruchs? Vatikanbeobachter weisen darauf hin, dass die Handreichung aus Deutschland bei diesen Formulierungen im Vagen bleibt und nicht explizit von Segensfeiern oder einem Ritual spricht. So könnte es für das Dikasterium für die Glaubenslehre schwierig werden, der Handreichung offiziell zu widersprechen – wenn es darin gar kein offiziell festgelegtes Ritual gibt. Mit einer offiziellen Zustimmung aus Rom ist allerdings auch nicht zu rechnen.
Wie so oft kommt es beim Miteinander in der Weltkirche auf die Zwischentöne an. Dass die deutsche Handreichung am 23. April, zwei Tage nach dem Tod von Papst Franziskus und damit während der Sedisvakanz veröffentlicht wurde, hat sicher nicht nur Wohlwollen im Vatikan ausgelöst.