Shutdown in einer Studentenstadt

"Schön, ein Zuhause zu haben"

Korrespondenten schreiben in Zeiten der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: eine E-Mail aus Bonn.

Autor/in:
Harald Oppitz
Kirschbäume in der Bonner Nordstadt / © Oliver Berg (dpa)
Kirschbäume in der Bonner Nordstadt / © Oliver Berg ( dpa )

Jetzt hatte ich dann doch mal genug. Mir fiel die Decke auf den Kopf - ich musste mich bewegen. Körperlich und seelisch. Ist nicht ganz so einfach als Pressefotograf in diesen Zeiten...

Der Spaziergang nach Feierabend in der kühlen Abendsonne war nett, half aber irgendwie nicht aus der Corona-Dauerschleife raus. Jetzt will ich doch mal sehen, was so ein "Shutdown" mit einer Studentenstadt macht - ob wirklich alles ausgestorben ist.

"Fahren auf Sicht"

Also schnappe ich mir mein Fahrrad und lasse das Licht aus: mir schwirrt der Pressekonferenzbegriff vom "Fahren auf Sicht", den wir in den vergangenen Wochen so oft zu hören bekommen, durch den Kopf - das will ich doch mal nachvollziehen. Die Polizei wird schon anderes zu tun haben in diesen Zeiten.

Die Innenstadt ist tot. Mausetot. Nichts und niemand ist zu sehen. Wir sprechen von 22.00 Uhr - nicht von 5.00 Uhr morgens. Ein einsamer Bus zuckelt über die Konrad-Adenauer-Brücke, zwei Autos hinterher.

Ich kann gemütlich auf der Kuppe der Brücke über die vier Spuren spazieren: Die Luft wirkt so klar - der Kopf ist es nicht. Drüben am Marriott-Hotel leuchtet ein überdimensionales Herz in die dunkle Nacht - keiner da, der es sehen könnte.

Auch der Bonner Marktplatz ist fast menschenleer. Nur ein Mann in dunklen Kleidern mit Stofftaschen in der Hand wühlt sich von Mülleimer zu Mülleimer, vergeblich. Heute kein Pfand. In der Wenzelsgasse sind selbst die plattgetretenen Kaugummis auf den roten Pflastersteinen verschwunden. "Bonn wird Kurbad", denke ich - ruhig isses ja schon.

Nur die Wohnungslosen sind unterwegs

Nur auf dem Friedensplatz nicht. Dort herrscht so etwas wie Leben: In drei Ecken stehen die, die nicht zuhause bleiben können, weil sie gar kein Zuhause haben. Die, die immer hier sind, Corona hin, Ausgangsbeschränkung her. An einem Dienstagabend Ende März gehört eine Studentenstadt wie Bonn den Wohnungslosen - die Heimatlosen sind klar in der Überzahl, und keiner merkt's.

Nach ein paar Minuten wird mir zu kalt, also schwinge ich mich wieder auf mein Fahrrad, mach jetzt doch das Licht an und radle zurück zu meiner Wohnung - und denke beim Treten so: "Was bin ich froh, ein Zuhause zu haben."


Harald Oppitz / © Harald Oppitz (KNA)
Harald Oppitz / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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