In Berlin sucht der Politikbetrieb nach neuen Wegen

Die Regierungs-PK als Anker der Normalität

Korrespondenten schreiben in der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: Eine E-Mail aus Berlin.

Autor/in:
Birgit Wilke
Dem Deutschen Volke - und allen Menschen: Berliner Reichstag / © Maurizio Gambarini (dpa)
Dem Deutschen Volke - und allen Menschen: Berliner Reichstag / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Noch schnell den Schal und die Handschuhe. Es ist sonnig, aber kalt in Berlin. Seit Längerem radele ich die rund 15 Kilometer vom Norden der Stadt nach Mitte in die Redaktion, die öffentlichen Verkehrsmittel möchte ich wie so viele derzeit nicht nutzen. In den vergangenen Tagen ist es in den Parks, an denen ich vorbeikomme, und am Spreeufer immer ruhiger geworden. Inzwischen sieht man vor allem Jogger, die frische Luft tanken.

Kaum Menschen auf der Straße

Auch in Mitte ist es seltsam leer. Kaum Touristen - und wenn, dann haben sie in diesen Tagen einen im wahrsten Sinne des Wortes unverstellten Blick etwa auf das Brandenburger Tor. Im Regierungsviertel sind ebenfalls kaum Menschen, dabei tagt in dieser Woche der Bundestag und normalerweise tummeln sich dann Abgeordnete und ihre Mitarbeiter auf den Wegen. Den Tunnel, der viele Gebäude verbindet, nutze ich wenig. Auch der soll - so berichten Kollegen - sehr leer sein.

In diesen Zeiten ist fast alles anders: Der Bundestag hat seine Tagesordnung für die Woche komplett über den Haufen geworfen. Statt an drei Tagen kamen die Parlamentarier nur an einem Tag zu einer Sitzung zusammen, und dann auch immer nur ein Teil von ihnen.

Wegen der Abstandsregel müssen viele Sitze frei bleiben. Ich verfolge die Debatte per Livestream und sehe, dass einzelne Abgeordnete wie die Parteichefin der Linken, Katja Kipping, sich als Mundschutz einen Schal umgelegt haben. Thema dort ebenfalls: Corona und der Rettungsschirm, den der Bund aufspannen will, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise abzufedern. Die Kanzlerin befindet sich in Quarantäne und nicht auf der Regierungsbank. Wie so viele ist auch sie im Home-Office.

Alleine in der Redaktion

In der Redaktion bin ich in diesen Tagen alleine - eine Vorsichtsmaßnahme. Wir wechseln uns ab, und da fast alle Pressekonferenzen derzeit gestreamt werden, können die Kollegen das auch von zu Hause erledigen. Eine der wenigen "realen" Veranstaltungen, die in diesen Tagen noch immer wie gewohnt stattfindet, ist die Regierungspressekonferenz mit den Sprechern aus den Ministerien. Das ist ein Stück Normalität, auch wenn es dort für die Journalisten Zugangsbeschränkungen gibt. Dafür können online Fragen eingereicht werden. Thematisch dreht sich - wie könnte es anders sein - fast alles um Corona.

Bundesminister werden beim Morgenmagazin nicht mehr in die Fernsehstudios eingeladen, sondern dazu geschaltet oder vor ihrem Ministerium befragt - inklusive der Geräusche von Müllmännern, die um die frühe Uhrzeit die Tonnen leeren. Und auch die Politiker sind mit neuen Formaten kreativ: Viele nutzen soziale Netze wie Twitter oder Instagram und berichten dort, wie sich ihr Arbeitsalltag verändert hat: Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor etwa zeigt, dass er einen Teil der Bundestagsdebatten über den Livestream verfolgt.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil lädt zu Live-Chats Politiker oder andere Gesprächspartner ein. Auch Privates wird erzählt: Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt etwa empfiehlt Lektüre: Auf Platz eins steht bei ihr das Buch "Gott wohnt im Wedding", in dem die Autorin Regina Scheer den Alltag fiktiver Menschen in dem Stadtteil beschreibt. Und wer es nicht wusste, erfährt, dass auch Göring-Eckardt hier ihre Berliner Wohnung hat.

Katholisches Büro bleibt erreichbar

Das Katholische Büro - die Kontaktstelle der katholischen Kirche zur Bundespolitik - ist weiterhin erreichbar. Den regelmäßigen Abgeordnetengottesdienst gibt es derzeit nicht, das Büro sei aber weiter mit Abgeordneten telefonisch in Kontakt, berichtet eine Mitarbeiterin. Hauptaufgabe in den vergangenen Tagen sei es gewesen, mit den Wohlfahrtsverbänden durchzusetzen, dass die sozialen Träger beim Rettungsschirm berücksichtigt werden.

Mit den Kollegen, die von zuhause arbeiten, wird per Chat, Mail oder Telefon vereinbart, was zu regeln ist. Im Berliner Norden wohnen wir als Familie im Grünen, die Kinder sind groß und so lässt sich auch der Tag gut planen. Schwerer ist es für die Kollegen mit kleinen Kindern und vergleichsweise kleiner Wohnung in den Innenstadtbezirken. Homeschooling und paralleles Homeoffice mit dem Partner bringen auch für sie jeden Tag neue Herausforderungen.

Inzwischen sind die Pressekonferenzen gelaufen, auch die Bundestagssitzung geht zu Ende. Zeit, den Rückweg anzutreten. Der Supermarkt auf dem Weg ist gut sortiert und hat inzwischen wieder begehrte Artikel wie Toilettenpapier und Mehl vorrätig. Mit vollem Fahrradkorb geht es zurück. Und natürlich mit Laptop - schließlich ist für morgen Heimarbeit angesagt. Sstatt Radeln habe ich mir dann Joggen im nahe gelegenen Naturschutzgebiet verordnet - natürlich ganz alleine.


Birgit Wilke / © Birgit Wilke (KNA)
Birgit Wilke / © Birgit Wilke ( KNA )

Berlin wirkt wie leergefegt / © Annette Riedl (dpa)
Berlin wirkt wie leergefegt / © Annette Riedl ( dpa )

Wahrzeichen der Hauptstadt: Das Brandenburger Tor (dpa)
Wahrzeichen der Hauptstadt: Das Brandenburger Tor / ( dpa )
Quelle:
KNA