DOMRADIO.DE: Können Sie sich erklären, warum die Nachricht vom Tod der Kessler-Zwilllinge Deutschland so sehr bewegt?
Pfarrer Rainer Maria Schießler (Pfarrei Sankt Maximilian in München): Sie waren nicht nur bekannt, sie waren als personifizierte Lebensfreude geschätzt. Ihre ganze Karriere bestand darin, Menschen nicht nur gute Laune zu machen, sondern mit dieser Laune ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, Hoffnung zu geben.
Wenn solche Menschen schon diesen Weg gehen, was machen dann wirklich depressive und schwerstkranke Menschen? Wir haben in der Seelsorge solche Fälle und wir begleiten diese Menschen und ihre Angehörigen auf dem letzten Weg zum Friedhof und versuchen zu trösten. Aber wenn solche Menschen so wohl überlegt und durchorganisiert aus dem Leben scheiden, was macht dann einer, der wirklich traurig ist?
DOMRADIO.DE: Assistierter Selbstmord wird von der katholischen Kirche verurteilt. Wie reagieren Sie als Pfarrer auf den Suizid der Kessler-Zwillinge?
Schießler: Wir verwenden das Wort Selbstmord schon gar nicht mehr, da steckt das Wort Mord drin und das ist sehr brutal. Jemand, der den Weg des Freitodes wählt, ist in den Augen der Kirche kein Mörder. Früher hat man Mörder auch nicht bestattet. Wir begleiten diese Menschen, wenn wir darum gebeten werden. Bei den Kessler-Zwillingen wurden wir nicht gebeten. Sie haben selber gesagt, dass sie an das Leben nach dem Tod nicht glauben.
Ich werde auf jeden Fall nie verurteilen. Das ist für mich das Allerwichtigste. Weder die Kessler-Zwillinge, noch andere, die diesen Weg gehen möchten. Ich möchte als Gegengewicht meine Hoffnung auf die Antwort Gottes auf den Tod entgegensetzen.
DOMRADIO.DE: Die Kessler-Zwillinge sind vor einiger Zeit in München noch auf einem Zirkustreffen gesehen worden. Da bleiben natürlich viele Fragen, warum sie das nun getan haben, oder?
Schießler: Ich glaube, da steckt schon, verzeihen Sie mir bitte diesen Ausdruck, ein gewisser Egoismus dahinter. Sie waren ein Leben lang zusammen, sie waren immer unzertrennlich. Dass sie Zwillinge waren, haben sie nicht erschaffen, sondern sie sind so gemacht worden. Dass sie das Glück hatten, lebenslang zusammen zu sein, miteinander Karriere zu machen, arbeiten zu können, Menschen zu erfreuen - das war ein Geschenk.
Jetzt gehen sie her und sagen, sie wollen gemeinsam gehen. Das höre ich oft bei alten Ehepaaren. Aber die haben nicht diese Gnade, weil sie versprochen haben: "bis der Tod uns scheidet". Die Kessler-Zwillinge haben gesagt: "Nein, wir nehmen uns das Recht selber heraus." Das bleibt ein Diskussionspunkt. Wieviel Recht kann und darf sich der Mensch herausnehmen?
DOMRADIO.DE: Was hätten Sie den beiden Schwestern gesagt, wenn Sie Ihnen von ihren Plänen erzählt hätten?
Schießler: Ich hätte natürlich in heftigster Weise davon abgeraten. Aber vor allem hätte ich dazu angeraten, in Dankbarkeit all das zu betrachten, was sie ein Leben lang erleben durften; und in Dankbarkeit etwas zurückzugeben, nämlich das eigene Leben. Wir haben einen schönen Begriff dafür, der heißt Resignation. Der ist nicht negativ, sondern positiv. Ein Signum, das Abzeichen des Lebens, zurückgeben in die Hände des Schöpfers. Das dürfen sie auch hintereinander, das müssen sie gar nicht gemeinsam.
Das Interview führte Johannes Schröer.