Pfarrer Kruse würdigt Franziskus' Wirken für die Ökumene in der Welt

"Ökumene war immer ein Herzensanliegen"

Jens-Martin Kruse war Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Rom. In dieser Zeit bekam von gleich zwei Päpsten Besuch. Für beide findet er lobende Worte. Franziskus stellte sich den Fragen der evangelischen Gemeinde.

Autor/in:
Oliver Kelch
Papst Franziskus und Pfarrer Jens-Martin Kruse / © Cristian Gennari (KNA)
Papst Franziskus und Pfarrer Jens-Martin Kruse / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Von 2008 bis 2018 wirkten Sie in Rom als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde an der Christuskirche. In dieser Zeit hatte die Christuskirche zwei Mal hohen Besuch.

Pfr. Dr. Jens-Martin Kruse / © Bayerischer Rundfunk
Pfr. Dr. Jens-Martin Kruse / © Bayerischer Rundfunk

Pfarrer Jens-Martin Kruse (ev. Pfarrer, ehem. Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Rom an der Christuskirche, Ehrenritter des Johanniterordens, Mitglied der Luther-Gesellschaft, der Internationalen Dietrich-Bonhoeffer-Gesellschaft und des Freundeskreises des Melanchthon-Zentrums Rom): Das stimmt, am 14. März 2010 hatten wir Papst Benedikt XVI. in der Christuskirche bei einem Gottesdienst zu Gast und am 15. November 2015 Papst Franziskus. 

DOMRADIO.DE: Zu welchem Anlass sind die Päpste zu Besuch in der Christuskirche gewesen? 

Kruse: Papst Benedikt hatte ich aufgrund eines Jubiläums eingeladen. 1983 war Papst Johannes Paul II. zu Gast in der evangelischen Gemeinde in Rom. Das war der erste Besuch eines Papstes in einer evangelischen Kirche nach der Reformation. Dieses wirklich historische Ereignis jährte sich zum 25. Mal, als ich 2008 in Rom ankam. Deshalb habe ich Papst Benedikt eingeladen. Nach einigen Verhandlungen mit dem Vatikan haben wir uns darauf verständigt, 2010 so, wie es 1983 mit Johannes Paul II. gewesen ist, gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Das heißt mit zwei Predigten, eine von dem Ortspfarrer, in dem Fall von mir, und eine von Papst Benedikt. 

Jens-Martin Kruse

"Er hatte eine begeisternde Ausstrahlung, ein großes Charisma und sehr viel Lebendigkeit"

DOMRADIO.DE: Sie durften sowohl Benedikt als auch Franziskus kennenlernen und treffen. Wie haben Sie die beiden Päpste erlebt? 

Kruse: Beide waren im Umgang sehr angenehme und freundliche Menschen. Papst Benedikt war noch ein Stück weit mehr wie ein weiser Großvater, den man zu Besuch hat und sich darüber wirklich freut. Wir haben mit ihm einen schönen Gottesdienst gefeiert und natürlich war die Verbindung über die gemeinsame deutsche Sprache sofort da. Benedikt war im Anschluss an den Gottesdienst auch in unserer Pfarrwohnung, wo wir sehr schön zusammengesessen und uns unterhalten haben. Er hat sich an den Kindern erfreut. Das war eine sehr entspannte Atmosphäre. 

Mit Papst Franziskus war alles auf Italienisch. Er hatte eine begeisternde Ausstrahlung, ein großes Charisma, sehr viel Lebendigkeit und in dieser Begegnung war eine große Fröhlichkeit zu spüren, auch in der Kirche. Bei Benedikt war es deutlich konzentrierter. Ein großer Unterschied war, dass wir mit Benedikt einen evangelischen Gottesdienst gefeiert haben. Für Papst Franziskus waren Gottesdienstfeier, Liturgie und Choräle schön und gut, aber im Vorfeld der Begegnung wurde klar, dass er etwas anderes wichtiger fand. Er wollte die Menschen der Gemeinde kennenlernen. 

Deshalb haben wir für die Begegnung mit Papst Franziskus ein neues Format entwickelt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Christenheit gab es eine ökumenische Begegnung, in der die Gemeinde Fragen gestellt und der Papst geantwortet hat. Das war sehr bewegend, um nicht zu sagen spektakulär aufregend. Wir haben dem Papst die Fragen im Vorhinein vorgelegt und er hat sie ausgewählt, trotzdem war es sensationell, weil er live und von Herzen geantwortet hat.

Jens-Martin Kruse

"Er konnte durch Freundlichkeit, Zugewandtheit und Humor Nähe herstellen"

DOMRADIO.DE: Seit seinem Tod hat man immer wieder davon gehört, dass Franziskus gerne zu Späßen aufgelegt gewesen sei. Haben Sie das auch so empfunden? 

Kruse: Papst Franziskus hatte eine gehörige Portion Humor und ein gutes Gespür für Menschen. Er konnte durch Freundlichkeit, Zugewandtheit und Humor Nähe herstellen. Bei der Begegnung in der Christuskirche durfte unser Sohn Julius - er war damals neun Jahre alt - die erste Frage stellen und hat gefragt, was Franziskus am Papst-Sein am meisten Freude bereite. Der Papst hat so herzhaft über diese Frage gelacht, dass die Gemeinde mit eingestimmt hat. Er hat verstanden, was das Kind da eigentlich von ihm wollte. 

Eine zweite, sehr fröhliche Begegnung mit ihm war im Anschluss an das Treffen in der Sakristei mit meiner Frau und unseren Kindern. Meine Frau hatte für einen kleinen Empfang Kuchen gebacken und der Papst sagte zu ihr, dass sie ja nicht Katharina von Medici sei. Daher sei er bereit, ein Stück Kuchen zu essen (Anm. d. Red.: Katharina von Medici, im 16. Jahrhundert mit dem französischen König Heinrich II. verheiratet, galt als eine der berühmtesten Giftmischerinnen der europäischen Geschichte). Dabei schmunzelte er und war fröhlich. Es zeichnete ihn aus, dass er eine unbeschreiblich freundliche und humorvolle Art hatte. 

Jens-Martin Kruse

"Vom ersten Tag seines Pontifikates an war die Ökumene immer eines seiner Herzensanliegen"

DOMRADIO.DE: Hat sich die ökumenische Atmosphäre in Rom durch das Pontifikat von Franziskus verändert?

Kruse: Mit Sicherheit hat Papst Franziskus gerade im Bereich der Ökumene enorm viel geleistet. In den aktuellen Würdigungen ist das, nach meinem Empfinden, noch nicht in den Blick geraten. Der Papst war in diesen zwölf Jahren so etwas wie der Lotse der Ökumene auf Weltebene, der die Ökumene durch sehr stürmische Zeiten geführt hat. Vom ersten Tag seines Pontifikates an war die Ökumene immer eines seiner Herzensanliegen. 

Im Unterschied zu seinen Vorgängern hat er die Ökumene aktiv gestaltet. Er ist auf die Menschen zugegangen und er selber wollte mehr Gemeinschaft zwischen den christlichen Kirchen. Dafür hat er unglaublich viel geleistet. Im Kleinen in Rom, wo es ohnehin eine wunderbar funktionierende Ökumene gibt, aber vor allen Dingen auf Weltebene. Die vielen ökumenischen Begegnungen mit Papst Franziskus - ob es mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxen, der Kopten oder mit den Lutheranern in Lund war - diese Begegnungen werden bleiben. Da ist noch Potential für mehr Ökumene, das wir im Moment noch nicht ausgeschöpft haben. 

DOMRADIO.DE: Am Samstag ist die Beisetzung von Papst Franziskus. Wenn Sie einen Blick auf das anstehende Konklave werfen: Was für einen Papst braucht es in Zukunft?

Kruse: Diese Offenheit von Papst Franziskus ist ein wichtiger Faktor für einen neuen Papst. Genauso wie die Zugewandtheit zu den Menschen, das aktive Leben des christlichen Glaubens - also eine hohe Glaubwürdigkeit. Franziskus' Fähigkeit, trotz aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit die Einheit der Kirche und der Christenheit im Blick zu haben und zu gewährleisten, ist in einer sehr polaren und sich immer weiter spaltenden Gesamtlage ein wesentlicher Faktor, der das Profil eines neuen Papstes bestimmen wird.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (ELKI)

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (ELKI) entsteht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, verhältnismäßig spät im Vergleich zu den Gründungsdaten ihrer konstituierenden Gemeinden, die alle verschiedene historische Wurzeln und Entwicklungen haben. Mit ihrer Gründung im Jahr 1949 will man die im Land bestehenden, überwiegend deutschen, lutherischen Gemeinden, unterstützen, die ohne materielle Hilfeleistungen aus Deutschland auskommen müssen.

Evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom / © Marco Bonomo (KNA)
Evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom / © Marco Bonomo ( KNA )
Quelle:
DR

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