DOMRADIO.DE: Die Spannung des letzten Spiels der Deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich hat viele begeistert. Der Frauenfußball stand dabei dem Männerfußball in nichts nach. Wie sehen Sie das?
Dr. Thorsten Kapperer (Pastoralreferent und Beauftragter des Bistums Würzburg für Kirche und Sport): Absolut, es war ein packendes Spiel. Es war fast alles drin, was man sich als Fußballfan wünscht: Nichtgegebene Abseits-Tore, Wahnsinnsparaden, viele Tore und ein packendes Elfmeterschießen. Es war ein tolles Spiel und absolute Werbung für den Frauenfußball, super.
DOMRADIO.DE: Die deutsche Mannschaft hat zwei Rote Karten hintereinander kassiert: Einmal für ein absichtliches Handspiel im Strafraum und zum anderen für Haare ziehen im Strafraum. Letzteres war eine irrationale Aktion, weil man weiß, dass darauf ein Elfmeter und eine Rote Karte folgt. Wie erklären Sie sich so etwas?
Kapperer: Ehrlicherweise kann man das gar nicht erklären. Die erste Rote Karte von Carlotta Wamser war im Spiel gegen Schweden. Wenn man in Ruhe an die Situation rangeht und folgendes überlegt: "Wenn ich die Hände nehme, dann verhindere ich das Tor. Aber dann sind wir nur noch zu zehnt. Ich habe aber das Tor verhindert. Wenn ich die Hände jedoch weglasse, schießen die vielleicht ein Tor", dann sind das zig Gedanken.
Das alles geht in nur einer Millisekunde im Kopf ab, ohne dass man sich erst kurz hinsetzen kann. Dann passiert das schnell. Es ist ein Reflex und dann passiert so etwas im Fußball.
Die zweite Rote Karte ist hart, weil Kathy Hendrich Carlotta Wamser ersetzt hat und dann auch eine Rote Karte bekommen hat. Wenn man das in Ruhe vorm Fernseher daheim in Zeitlupe anschaut, erscheint es unnötig. Was macht sie mit den Händen in den Haaren der Gegnerin? Aber das ist ein Reflex von einer Sekunde. Von daher mache ich ihr keinen Vorwurf. Das waren sehr unglückliche Umstände bei beiden Roten Karten.
DOMRADIO.DE: Bei der WM 1954 hat der Reporter Herbert Zimmermann den Begriff des Fußballgottes geprägt: "Turek, du bist ein Fußballgott". Diesen Eindruck könnte man am vergangenen Samstagabend von Torhüterin Ann-Katrin Berger gehabt haben, oder?
Kapperer: Absolut. Von der politischen Dimension her, war die WM 54 anders. Wenn man Kriegsdeutschland sieht, war die Bedeutung dieser WM wichtig. Man kann es vielleicht nicht ganz 100 prozentig vergleichen.
Aber allein vom Sportlichen her, was Ann-Katrin Berger in der ersten Halbzeit der Nachspielzeit geleistet hat, wie sie sich noch in der Rückwärtsbewegung lang gemacht hat, um den Ball abzuwehren, muss man den Hut ziehen. Das muss man überhaupt erstmal koordinativ hinbekommen.
Als Fußball-Fan kann man da nur mit der Zunge schnalzen. Das passt zu ihren bisherigen Leistungen. Das war eine Wahnsinnsparade. Absolute Weltklasse, dass man sowas mal sehen durfte.
DOMRADIO.DE: Kann Fußball bei solchen Turnieren eine spirituelle Dimension haben?
Kapperer: Davon bin ich fest überzeugt, weil Gott uns auf unterschiedliche Art und Weise im Leben begegnet. Besonders, wenn sich Leben in einer Situation verdichtet. Gerade beim Sport und in einem Spiel, bei dem viel auf dem Spiel steht.
Die Damen haben sich jahrelang auf dieses Spiel vorbereitet. Es passiert ganz viel Leben innerhalb von diesen 90 Minuten. Ich glaube, da passieren Dinge, die nicht erklärbar sind. Das kann eine spirituelle Dimension eröffnen.
DOMRADIO.DE: Aus dem Vaterunser kennt man den Wunsch "Dein Wille geschehe". Wie passt das zu einem Wettbewerb, bei dem unbedingt gewonnen werden soll?
Kapperer: Das passt nicht so ganz, wie man meinen möchte. Gott muss jedoch immer unparteiisch sein. Das lässt sich nicht in unsere Denkmuster hineinpressen. Man kann für den Sieg beten. Das kann jeder machen.
Aber ehrlicher ist es, dafür zu beten, dass ich als Sportler meine Leistung abrufen kann. Oder dass es ein faires Spiel wird, dass es ein gutes Spiel wird. Ich kann beten, dass der Bessere gewinnen möge.
Von daher kann man vor einem Spiel schon lauter beten. Dabei geht es aber nicht um den Willen Gottes. Dafür ist Gott viel zu groß, als dass wir ihn in unsere Denkmuster hineinpacken können.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie der Mannschaft was mit auf den Weg geben könnten, was wäre Ihr geistlicher Halbzeitimpuls?
Kapperer: Ich würde versuchen zur Ruhe zu kommen. Wir haben jetzt zwei gute Spiele gegen Polen und Dänemark gehabt. Die letzten zwei waren sehr kompliziert. Gegen Schweden ging es nach der 10. Minute dahin. Dann gab es ein kompliziertes Spiel gegen Frankreich. Da wird es ein bisschen wackelig.
Aber das Herrliche am Fußball ist doch, dass das heute Abend keine Rolle mehr spielt. Wenn angepfiffen wird, ist es wieder ein neues Spiel. Die Spanierinnen sind aktuell Weltmeister. Die sind im Flow, aber vielleicht kann gerade das eine Chance sein, dass man die Spanierinnen vielleicht auf den falschen Fuß erwischt.
Ich wünsche der Mannschaft auf jeden Fall Glück. In der Anfangssituation muss man für so ein Spiel manchmal einen sogenannten Dosenöffner haben. Wenn man sich dann auf das besinnt, was die Mannschaft kann – und das hat sie mehrfach bewiesen –, dann bin ich da sehr optimistisch.
Das Interview führte Tobias Fricke.