Kölner Caritas fordert Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik

"Legale und sichere Zugangswege schaffen"

Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Die Caritas-Flüchtlingsbeauftragte Irene Porsch fordert am Weltflüchtlingstag die Politik zum Handeln auf. Hinter jeder Zahl stecke ein menschliches Schicksal.

Autor/in:
Annika Weiler
Zahl der Flüchtlinge weltweit auf Rekordniveau / © quetions 123 (shutterstock)
Zahl der Flüchtlinge weltweit auf Rekordniveau / © quetions 123 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, hat einen neuen Höchststand erreicht. Welche Entwicklungen beobachten Sie aktuell global, aber auch in Deutschland?

Irene Porsch, Flüchtlingsbeautragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln (DiCV)
Irene Porsch, Flüchtlingsbeautragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln ( DiCV )

Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln): Weltweit ist die Zahl der Menschen auf der Flucht auf dem Stand von 132,2 Millionen. Es sind Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Das ist die höchste je gemessene Zahl und entspricht etwa dem anderthalbfachen der deutschen Bevölkerung. Das muss man sich einfach nur vor Augen halten. Die Ursachen sind Krieg, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen etwa in der Ukraine, im Sudan, in Syrien, in Afghanistan und dem Nahen Osten.

Wir haben auf der anderen Seite immer weniger Einreisen nach Europa und einen ganz deutlichen Rückgang an Asylanträgen in 2024 auch für Deutschland. Das sind 30 Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr und deutlich weniger als noch 2015 und 2016. Es fällt auf, dass die Zahl der Binnenvertriebenen international weiter steigt und die humanitären Ressourcen zunehmend unter Druck stehen.

Das macht auch einen bitteren Beigeschmack, wenn wir hier in Deutschland von Überforderung und Überlastung sprechen, wenn wir uns zum Beispiel die Situation in Jordanien angucken, auch im Libanon und in vielen Staaten, die direkt neben den Krisengebieten liegen.

DOMRADIO.DE: Über 3.500 Menschen sind allein im Jahr 2024 auf der Flucht über das Mittelmeer gestorben oder gelten als vermisst. Warum ist dieses Sterben an Europas Grenzen immer noch Realität trotz aller Warnungen und Appelle?

Irene Porsch

"Wir nehmen uns sogar die legalen Möglichkeiten zur Einreise nach Europa."

Porsch: Weil es keine anderen Möglichkeiten gibt. Die Fluchtrouten sind extrem gefährlich und die zivile Seenotrettung hat kaum noch Möglichkeiten oder wird sogar kriminalisiert. Aber Europas Festung steht und sie steht immer mehr. Wir nehmen uns sogar die legalen Möglichkeiten zur Einreise nach Europa.

Die Bundesregierung hat alle Aufnahmeprogramme, alle Resettlement-Programme gestoppt. Das heißt: Menschen, die ihre Heimat verloren haben und wo klar ist, dass sie nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, die bisher mit Hilfe vom UNHCR dann in andere Länder vermittelt wurden, also Resettlement, können nicht mehr nach Deutschland kommen. Vor diesen Riesenherausforderungen, vor der Gefahr von Krieg, Armut und Verfolgung im Herkunftsland machen sich die Menschen auf den Weg.

Aktion Neue Nachbarn wird 10 Jahre alt / © Jo Schwartz (EBK)
Aktion Neue Nachbarn wird 10 Jahre alt / © Jo Schwartz ( EBK )

DOMRADIO.DE: In Ihrer Funktion als Flüchtlingsbeauftragte arbeiten Sie ganz nah an diesen Menschen, die Schutz suchen. Was bewegt Sie persönlich bei den Begegnungen und was möchten Sie, dass mehr Menschen darüber erfahren?

Porsch: Ich muss es ein bisschen differenzieren. Meine Kollegen und Kolleginnen vor Ort sind die, die ganz nah am Menschen sind. Das sind zum einen die Ehrenamtlichen und Engagierten der Aktion Neue Nachbarn, aber zum anderen auch die Beraterinnen und Berater in den Fachdiensten der Caritas. Die arbeiten wirklich direkt mit Geflüchteten zusammen.

Es sind alles Menschen wie du und ich. Sie haben ein anderes Schicksal, als wir es haben. Sie haben nämlich ihre Heimat verloren und müssen neu anfangen. Und sie kommen in neue Gesellschaften als komplett Fremde und sind auf ein Willkommen, auf die Begegnung ausgerichtet. Sie brauchen Unterstützung beim Spracherwerb, bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Um auch in unser Bildungssystem hineinzukommen, um unsere Demokratie kennenzulernen, brauchen sie Unterstützung.

Aber letztendlich sind es Menschen. Es sind Familienväter, es sind Familienmütter, es sind Alleinstehende, es sind Opas und Omas, es sind junge Menschen, es sind Kinder. Das ist das, was bei allen Problemen und Herausforderungen ganz deutlich wird, die viele haben: Sie bleiben Menschen.

DOMRADIO.DE: Mehr und mehr wird eine wachsende Kritik an den Grenzkontrollen in Deutschland deutlich. Was würde aus Ihrer Sicht eine menschenwürdige und tragfähige Flüchtlingspolitik ausmachen?

Irene Porsch

"Eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik müsste legale und sichere Zugangswege schaffen, um das Sterben an den Außengrenzen zu beenden."

Porsch: Eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik müsste legale und sichere Zugangswege schaffen, um das Sterben an den Außengrenzen zu beenden. Sie sollte den Schutz von Menschenrechten ins Zentrum stellen, faire Asylverfahren gewährleisten und die Verantwortung auch solidarisch auf die europäischen Staaten verteilen. Die Grenzkontrollen sind überhaupt ein Problem. Sie stellen auch immer mehr Grundsätze in Frage, die wir uns mühsam errungen haben.

Die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Instrument, das entwickelt wurde, um einen konkreten Handlungsleitfaden zu haben, der vor Überforderung schützt. Auch das Schengener Abkommen hatte das Ziel, dass unser Zusammenleben in Europa gestärkt wird.

Wenn wir diese Dinge in Frage stellen und die Menschenwürde nicht mehr als Vorzeichen vor der Klammer einer Asylpolitik stellen, dann fallen wir zurück, dann sinkt unser gesellschaftlicher Zusammenhalt. Dann müssen wir wirklich damit leben, dass Menschen weiterhin auf dem Mittelmeer sterben, aber auch, dass unsere gesamtgesellschaftlichen und sozialen Probleme überhaupt nicht gelöst werden.

DOMRADIO.DE: Was kann denn der Weltflüchtlingstag bewirken? Geht es hierbei nur ums Erinnern der vermissten und auch verstorbenen Menschen oder auch um ganz konkrete Impulse für unsere Haltung und unser Handeln?

Irene Porsch

"Dieses Leid dieser Menschen nehmen wir nicht hin."

Porsch: Ich spreche hier auch als Vertreterin der Caritas und als Vertreterin der katholischen Kirche. Und ich kann sagen, da ist ein Weltflüchtlingstag ein ganz wichtiger Erinnerungsmoment, der an uns appelliert, dass wir dieses Leiden so nicht hinnehmen dürfen. Wir haben in der Vergangenheit hier im Erzbistum diverse Aktionen und Veranstaltungen gehabt, wie die 23.000 Glockenschläge. Damals waren es noch 23.000 Menschen, die im Mittelmeer gestorben sind – mittlerweile sind es ja weitaus mehr –, um deutlich zu machen, dass sich hinter diesen Zahlen bei jeder einzelnen Zahl ein Mensch verbirgt.

Dieses Leid dieser Menschen nehmen wir nicht hin. Weil Migration zu uns dazugehört, es gehört zur Geschichte dazu und gehört zur Menschheit dazu. Wir können sie in der Bibel lesen, wir haben sie in der deutschen Geschichte an ganz, ganz vielen Stellen erlebt. Da ist der Weltflüchtlingstag noch einmal der mahnende Zeigefinger: Denkt daran, dass das alles nicht nur uns konkret auch passieren kann, sondern dass sich daran auch unsere Mitmenschlichkeit misst; daran, wie wir Menschen, die hier neu ankommen, behandeln. Da ist der Weltflüchtlingstag noch einmal einfach ein konkreter Impuls.

Das Interview führte Annika Weiler.

Weltflüchtlingstag

Der Weltflüchtlingstag ist ein von den Vereinten Nationen eingerichteter Aktionstag, der seit 2001 am 20. Juni stattfindet. Bereits seit 1914 gibt es den Welttag des Migranten und Flüchtlings (auch Welttag der Migranten und Flüchtlinge; kurz Weltflüchtlingstag), ein jährlich am 19. Januar stattfindender, kirchlicher Gedenktag für Flüchtlinge und Migranten. Er wurde erstmals 1914 von Papst Benedikt XV. mit dem Dekret Ethnografica studia ausgerufen.

Flüchtlingslager auf Zypern / © Andrea Krogmann (KNA)
Flüchtlingslager auf Zypern / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!