Kirchen gedenken der Opfer des Amoklaufs bei Zeugen Jehovas

"Wo war Gott?"

Zehn Tage nach der Amoktat bei einer Versammlung der Zeugen Jehovas haben die Kirchen in Hamburg der Toten gedacht. Offizielle Vertreter der Zeugen Jehovas waren nicht dabei - einige Angehörige der Opfer kamen trotzdem.

Autor/in:
Michael Althaus
Gedenken an die Opfer des Amoklaufs von Hamburg / © Marcus Brandt (KNA)
Gedenken an die Opfer des Amoklaufs von Hamburg / © Marcus Brandt ( KNA )

Dumpfes Glockengeläut eröffnet die Gedenkfeier. Die Orgel setzt mit wummernden Basstönen ein. Notfall- und Polizeiseelsorger führen die Prozession zum Einzug an. Hinter ihnen gehen Pastoren und Bischöfe. Die Seelsorger zünden vier Kerzen an: eine für die Betroffenen und die Opfer, eine für die Einsatzkräfte, eine für die Nachbarschaft und eine für den Frieden. Gut eine Woche nach der Amoktat bei einer Versammlung der Zeugen Jehovas hat am Sonntag in der Hamburger Hauptkirche Sankt Petri eine Trauerfeier stattgefunden. Eingeladen hatten mehrere christliche Kirchen.

Gedenken an Opfer des Amoklaufs von Hamburg / © Marcus Brandt (KNA)
Gedenken an Opfer des Amoklaufs von Hamburg / © Marcus Brandt ( KNA )

Rund 250 Menschen sind zu dem ökumenischen Gottesdienst gekommen, darunter Angehörige von Opfern, Einsatzkräfte, Seelsorger und Anwohner des Tatorts. In der ersten Reihe sitzen unter anderem Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

Tat sorgt für Fassungslosigkeit

Im Mittelpunkt des Gedenkens steht die Tat vom 9. März, die in Hamburg immer noch für Fassungslosigkeit sorgt: Ein 35-jähriges ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas hat bei einer Zusammenkunft der Gemeinschaft im Stadtteil Groß Borstel sieben Menschen erschossen - darunter ein ungeborenes Kind. Anschließend brachte der Mann sich selbst um. Neun weitere Menschen wurden verletzt.

Stefan Heße (l.), Erzbischof von Hamburg; Kirsten Fehrs, stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) / © Marcus Brandt (KNA)
Stefan Heße (l.), Erzbischof von Hamburg; Kirsten Fehrs, stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) / © Marcus Brandt ( KNA )

"Die Tat hat viele in Angst versetzt", sagt der katholische Erzbischof Stefan Heße. Viele Menschen hätten ihn in den vergangenen Tagen gefragt, ob sie überhaupt noch sicher in eine Kirche gehen könnten. Heße erinnert auch an die noch nicht lange zurückliegende Gewalttat im schleswig-holsteinischen Brokstedt. Dort hatte ein Mann am 25. Januar in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit einem Messer zwei Menschen getötet und mehrere verletzt.

"Wir wollen ein Zeichen setzen"

Heße betont: "Wir wollen ein Zeichen setzen gegen diese Gewalttaten. Ein Zeichen setzen für den Frieden." Er ruft dazu auf, die Hoffnung auf eine friedlichere Welt nicht aufzugeben. "Je unüberwindbarer die Schwierigkeiten und je düsterer die Aussichten auf Sicherheit und Frieden erscheinen, umso eindringlicher muss unser Gebet sein und umso mehr müssen wir in dieser Stadt zusammenstehen."

Zeugen Jehovas

Die "Zeugen Jehovas" verstehen sich als christlich orientierte Religionsgemeinschaft. Die 1881 vom ehemaligen Adventisten-Prediger Charles Taze Russell in den USA gegründete Gruppierung zählt nach eigenen Angaben weltweit über acht Millionen Mitglieder, in Deutschland um die 170.000. Die deutsche Zentrale ist in Selters im Taunus, die internationale Zentrale in New York.

Zeugen Jehovas Schriftzug an Hauswand / © Harald Oppitz (KNA)
Zeugen Jehovas Schriftzug an Hauswand / © Harald Oppitz ( KNA )

"Wo war Gott?", fragt die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs in ihrer Predigt. "Wo bist du Gott? Wenn ein Amokläufer wahllos um sich wütet und schießt und Menschenleben auslöscht, als wäre es nichts." Ihre Antwort richtet Fehrs an die Einsatzkräfte: "Für mich war Gott genau in Ihnen anwesend. Gott war da - in Ihnen, die Wunden verbunden, Tote geborgen, Erschrockene umarmt, Nachbarn beruhigt haben."

Viele Bänke blieben leer

Ein Großteil der Angehörigen der Opfer und unmittelbar Betroffenen ist bei der Gedenkfeier nicht anwesend. Viele Bänke in der Hauptkirche bleiben leer. "Die Zeugen Jehovas waren direkt über die heutige Feier informiert und eingeladen", erklärt Erzbischof Heße. "Aber auf Grund ihrer Glaubensüberzeugungen können sie nicht dabei sein."

Die Zeugen Jehovas pflegen keinen Dialog mit anderen religiösen Gemeinschaften. Sie hatten im Vorfeld mitgeteilt, nicht an der Feier teilzunehmen, die von katholischer und evangelischer Kirche sowie der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ausgerichtet wurde. Allerdings würdigten sie ausdrücklich das ökumenische Gedenken. Die Gemeinschaft will nächstes Wochenende eine eigene Trauerfeier ausrichten. "Diese Feier kann und will ihre Gedenkfeier nicht ersetzen", so Heße.

"Eine gute und würdige Feier"

Am Ende des einstündigen Gottesdienstes umarmt ein Mann seine Familienangehörigen. Sie haben Tränen in den Augen. "Ich habe meine Ex-Frau und Mutter meiner Kinder bei der Tat verloren", sagt der 55-Jährige. Er selbst habe die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas verlassen, seine frühere Frau sei Mitglied geblieben. "Es war eine gute und würdige Feier", meint er.

Blumen am Ort des Amoklaufs in Hamburg-Alsterdorf / © Marcus Brandt (dpa)
Blumen am Ort des Amoklaufs in Hamburg-Alsterdorf / © Marcus Brandt ( dpa )

Ein Polizist, der zusammen mit einer Kollegin gekommen ist, zündet im Seitengang der Kirche eine Kerze an. "Ich bin ungefähr zehn Minuten vor dem Amoklauf am späteren Tatort vorbeigefahren", erzählt er. "Nun mache ich mir Vorwürfe, ob ich etwas übersehen habe oder die Tat hätte verhindern können." Hat ihm der Besuch der Gedenkfeier geholfen? "Ich weiß es nicht. Es bleibt ein komisches Gefühl zurück."

Quelle:
KNA