Gemeinde protestiert gegen langsame Missbrauchsaufarbeitung

"Es kann einfach nicht so weitergehen"

Die Gemeinde Maria Geburt in Aschaffenburg protestiert gegen die schleppende Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche. Dafür soll an drei Sonntagen der Gottesdienst ausgesetzt werden, wie Pfarrer Markus Krauth erklärt.

Gotteslob und Stolas liegen in den Kirchenbänken / © Harald Oppitz (KNA)
Gotteslob und Stolas liegen in den Kirchenbänken / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist Ihnen die Idee zu dieser Aktion gekommen. Hatte das etwas zu tun mit der Stellungnahme von Kardinal Marx gestern?

Pfarrer Markus Krauth (Pfarrei Maria Geburt in Aschaffenburg): Nein, die Idee kam schon viel früher, und zwar am Tag nach der Präsentation des Münchner Gutachtens. Ich habe mir das angehört und angeschaut und dann anschließend auch im Gutachten viel gelesen. Ich war vor allen Dingen deswegen entsetzt, weil in diesen zwölf Jahren seit 2010 die Zuwendung zu den Betroffenen immer noch nicht wirklich gelungen ist. Kardinal Marx hat es ja eingestanden, dass er sie viel zu sehr am Rande gelassen hat und sich ihnen nicht wirklich aktiv zugewendet hat. Dass sie immer noch kämpfen müssen um ihre Rechte und um ihr Geld, das finde ich nach zwölf Jahren einfach unglaublich.

Dann kam mir die Idee: Es kann einfach nicht so weitergehen. Es wird Zeit gewonnen für das System Kirche – und die Betroffenen sind die Verlierer von diesem ganzen Prozess. Das war für mich unerträglich. Und dann kam die Idee: Du musst irgendwas machen, damit das Ganze mal unterbrochen wird, wir zum Nachdenken kommen und das auf uns wirken lassen, was da wirklich geschieht.

DOMRADIO.DE: Ihre Pfarrei liegt im Bistum Würzburg und nicht im Erzbistum München und Freising. Warum reagieren Sie trotzdem so darauf?

Krauth: Ich reagiere darauf, weil die Gutachter des Münchner Gutachtens alle eindeutig gesagt haben, dass das Muster der Täter wie auch der vertuschenden Mittäter, also der Bischöfe und Generalvikare, in allen Diözesen überall das gleiche ist. Das heißt, wir können davon ausgehen, dass alle Bischöfe und Generalvikare, die länger als zehn Jahre im Dienst sind, sage ich mal, dass die irgendwo von dem Ganzen mitbetroffen sind und selbst dem System entsprochen und vertuscht haben. Deswegen gilt es für alle Bischöfe und alle Diözesen. Das habe ich eben nur deswegen an unseren Bischof geschrieben, weil er wissen soll, was wir tun.

DOMRADIO.DE: Und was tun Sie jetzt genau an den kommenden drei Sonntagen?

Krauth: Wir tun Folgendes: Die Eucharistiefeier, die wir normalerweise feiern und auch sehr gerne feiern, lassen wir ausfallen. Wir treffen uns aber zur selben Zeit und am selben Tag – am Sonntag in der Kirche und werden keinen Gottesdienst feiern, sondern werden Texte hören von Betroffenen oder über Betroffene, die wir zur Verfügung haben. Eine Frau möchte erzählen, wie sich ihr mal ein Betroffener selbst anvertraut hat. Dann werden wir Texte zitieren aus dem Münchener Missbrauchsgutachten und vielleicht noch andere. Das ist noch offen, wie sich das entwickelt an den drei Sonntagen.

Dann ist ein Schweigen angesagt. Ein Schweigen auch deswegen, weil wir uns als Gemeinde oder auch die Laien an der Basis schwertun, uns diesem Thema in der Radikalität und in diesem Skandalösen, was da drinsteckt, auszusetzen und es nicht einfach ebenfalls zu vertuschen. Deswegen diese Stille, dass jeder sich mal mit sich konfrontiert und da auch vielleicht für sich Konsequenzen zieht, was es heißt für mich, für mein Christsein, für mein Kirche-Sein und so weiter. Dann kommt noch der Aufruf zur Spende. Wir wollen dem Betroffenenbeirat Geld spenden für Betroffene, die finanziell schlecht dastehen. Ganz am Ende gibt es noch die Gelegenheit zum Gespräch. Da können die Leute sich austauschen und ihre Meinung sagen zu der Maßnahme oder auch zu dem Missbrauch.

DOMRADIO.DE: Jetzt könnte man ja sagen, dass es eine Instrumentalisierung des Gottesdienstes ist. Es ist ja sicherlich vielen Gläubigen ein Anliegen, sonntags die Heilige Messe zu feiern. Und Sie könnten ja auch auf einem anderen Weg protestieren. Warum machen Sie es trotzdem genau so?

Krauth: Wir machen es genau so, weil der Skandal so tiefgreifend ist, dass er im Grunde ein Verrat an dem ist, was wir Priester und alle Seelsorge-Kräfte tun. Wir verkünden und vertreten es und reden vom Evangelium, das genau das Gegenteil von dem ist, was die Täter und Mittäter getan haben und zum Teil leider Gottes noch weiterhin tun. Es ist also ein Verrat an dem Wichtigsten, was wir haben als Religion: Das ist das Wort Gottes, also die Bibel. Die Sakramente, die uns auch sehr wichtig sind, weisen ja auch auf diesen Gott hin, der eben gerade nicht die Schwachen noch schwächer macht, sondern die Schwachen stärkt und für die Verletzten voll und ganz eintritt. Deswegen diese Unterbrechung. Es ist im Grunde ein Verzicht, ein Fasten, um uns selbst auch an die Kandare zu nehmen und auch selbst zu reflektieren, wie wir zu dem Ganzen stehen.

DOMRADIO.DE: Deswegen haben Sie diesen offenen Brief an Bischof Jung geschrieben. Gab es schon Reaktionen darauf?

Krauth: Ja, es gab bereits Reaktionen. Der Generalvikar und der Dekan haben die Solidarität mit den Betroffenen begrüßt. Aber die Aktion selbst, also dieses Zeichen, das wir da setzen, das lehnen sie ab.

DOMRADIO.DE: Sie bekommen ja sicherlich auch viel Frust mit an der Basis, bei den Leuten in Ihrer Gemeinde. Was wünschen die sich, wie es da in der Kirche weitergehen soll?

Krauth: Zunächst einmal: Der Frust ist sehr groß. Den ersten Teil habe ich schon angesprochen, dass wir im Grunde einen zweiten Missbrauch haben, dass die Bischöfe in den letzten zwölf Jahren immer noch Betroffene missbrauchen, weil sie immer noch nicht zu ihrem Recht gekommen sind. Das zweite ist, der Frust an der Basis ist sehr groß. Bei uns treten Leute aus der Kirche aus. Zum Glück haben wir einige, die, obwohl sie ausgetreten sind, immer noch bei uns aktiv mitmachen, weil ihnen das hier gefällt. Und die Leute sind natürlich generell absolut frustriert von ihrer Kirche, weil das ganze Kirchenbild, was sie früher hatten, total zerstört ist. Das muss man offen sagen. Das Vertrauen in die Hierarchie geht gegen null.

Das Interview führte Hannah Krewer.

Bistum Würzburg kritisiert Aussetzung der Sonntagsgottesdienste

Die Aussetzung der Sonntagsgottesdienste einer katholischen Gemeinde in Aschaffenburg wegen des Missbrauchsskandals stößt auf Kritik der Würzburger Bistumsleitung. Die Solidaritätsaktion sei grundsätzlich unterstützenswert, sagte Generalvikar Jürgen Vorndran am Freitag vor Journalisten in Würzburg. Aber es sei nicht richtig, dafür drei Wochen lang keine Sonntagsmesse zu feiern.

Gotteslob auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz (KNA)
Gotteslob auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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