Gastkommentar zur Wiedereinführung der Wehrpflicht

Friedensethische Bedingungen an Wiederbewaffnung

Der Bundestag hat für die Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht gestimmt. Der Philosoph und Theologe Markus Krienke benennt friedensethische Bedingungen zur Wiederbewaffnung und Wiedereinführung der Wehrpflicht. Ein Gastkommentar.

Autor/in:
Markus Krienke
Ein Mann in Uniform der Bundeswehr. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Mann in Uniform der Bundeswehr. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

"Einziges Ziel der deutschen Wiederbewaffnung ist es, zur Erhaltung des Friedens beizutragen" – dieses von Konrad Adenauer 1956 formulierte Prinzip muss gerade für das entsprechende Programm der großen Koalition gelten, das heute mit dem Beschluss des Bundestages zur Wiedereinführung der Wehrpflicht einen Schritt weiter in der Realisierung gekommen ist. 

Prof. Dr. Markus Krienke (privat)
Prof. Dr. Markus Krienke / ( privat )

Diese Friedenserhaltung kann dabei rein defensiv erfolgen, d. h. durch Verteidigung oder im Rahmen von UNO-Missionen – und natürlich ist es eine offene Debatte, wie stark ein Heer sein muss und darf, um diese Voraussetzung zu erfüllen. In einer Zeit nuklearer und hybrider Kriegsführung ist diese Frage indes auch prinzipiell nicht so einfach zu beantworten wie zu Adenauers Zeiten: Könnte ein einzelnes europäisches Land die nötigen Ressourcen aufbringen? Aus diesem Grund geht an einer Stärkung der gesamteuropäischen Perspektive kein Weg vorbei. Wirklich prophetisch – wenngleich damals utopisch – war der Vorschlag der "drei Gründerväter" Europas Adenauer, De Gasperi und Schuman, eine "Europäische Verteidigungsgemeinschaft" (EVG) zu gründen, welche dann nie realisiert wurde und deren Pläne dann durch die NATO ersetzt wurden. Diese war Ausdruck der drei christdemokratischen Staatsmänner, dass die Abschreckungs- und Verteidigungsfunktion der Armee sehr wohl mit christlich-sozialethischen Grundsätzen vereinbar ist.

Christliche Sozialethik ist nämlich kein 'Pazifismus tout court' – "weder Bellizismus noch Pazifismus", sagte damals Emmanuel Mounier – insofern der Friede nicht alleine das höchste Ziel politischen Handelns ist, sondern zusammen mit der Gerechtigkeit. Für die Durchsetzung von Menschenwürde und Freiheit muss manchmal gekämpft werden – und auf jeden Fall müssen diese Werte im Ernstfall verteidigt werden. Insofern kann 'Frieden um jeden Preis' nicht als adäquate Konsequenz einer christlichen Friedensethik gelten. Diese Formel wäre zu simplifizierend und würde die zentralen Werte des christlichen Menschenbildes - Personwürde, Freiheit, Solidarität - nicht einmal berücksichtigen.

Was mit der EVG ausgedrückt wurde und auch seitens Adenauer von der NATO eingefordert wurde, ist eine notwendige politische Einbindung der Wiederaufrüstung in einen supernationalen Kontext. Dies scheint allerdings bei den derzeitigen Bemühungen aufgrund des fehlenden europäischen Rahmens bei gleichzeitigem Zeitdruck nicht unmittelbar zu realisieren zu sein, sollte aber gerade in sozialethischer Sicht nicht beiseitegelassen werden. Damit würde zum Ausdruck kommen, dass es um die Sicherung und Verteidigung der europäischen Werte geht und die Rede von der Wertegemeinschaft nicht nur ein Etikett darstellt: "Freiheit verpflichtet". Und sollte die Sprache, dies zum Ausdruck zu bringen, in der derzeitigen Welt mehr die "Kraft" als das "Recht" sein, geht an diesem Projekt vorerst kein Weg vorbei. "Man muss den Krieg mit aller Kraft, aber nicht zu jedem Preis vermeiden", schrieb Mounier.

Losverfahren nicht so schlecht wie sein Ruf

In diesem Zusammenhang ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht alternativlos, wenn sie auch unter sozialethische Kriterien gestellt werden muss. Ein Losverfahren – sollte sich die Utopie vollkommener Freiwilligkeit nicht erfüllen – wäre dabei nicht so schlecht wie sein Ruf – denn es würde jegliche Einflussnahme durch Geld oder Beziehungen ausschließen. Problematisch wäre in jedem Fall, dass dann nur ein – willkürlich bestimmter – Teil einer Generation zu einer alle angehenden Gemeinschaftspflicht herangezogen würde. 

Aus diesem Grund sollte aus sozialethischer Sicht über ein allgemeines soziales Pflichtjahr nachgedacht werden, was zumindest eine generationelle Gerechtigkeit bezüglich der Ausbildungszeit garantieren würde. Sollte dies in ganz Europa Einzug finden, wäre auch der Standortnachteil ausgeglichen. Ein Einwand wäre natürlich, dass dadurch nicht automatisch die Besten zur Verteidigung herangezogen würden. In der Vergangenheit der Bundesrepublik wie auch derzeit in anderen europäischen Staaten wie Dänemark wurde bzw. wird das Losverfahren jedoch angewandt.

Es ist natürlich verständlich, wenn die Mehrheit der Bevölkerung das Losverfahren als ungerecht empfindet, wobei sich die Frage stellt, ob es über die Freiwilligkeit hinaus überhaupt ein gerechtes Verfahren geben kann: Wie der Krieg, so ist jede Wehrpflicht in sich ungerecht. Nur eine solidarisch-demokratische Einbettung von Wiederbewaffnung und Wehrpflicht können dafür sorgen, dass auch in dieser düsteren Realität die menschlichen Grundwerte nicht versiegen. 

Man sollte sich in Europa dessen bewusst sein, dass man nicht die Wiederbewaffnung voranbringen kann, ohne die politische Einigung zu vertiefen, die für das Ziel der Abschreckung mindestens genauso wichtig wäre. So hatte bereits Adenauer den deutschen Beitrag zur Verteidigung dieser Werte als "demokratisch" bezeichnet, was auf die zentrale Analyse Dietrich Bonhoeffers zurückweist, derzufolge der Militarismus zur Realität Europas werden konnte, weil die europäische Verständigung ausfiel und man sich nicht mehr die Frage stellte, die auch heute in Europa zusehends mehr verblasst: "Wie wird Friede?"

Am Ende lässt sich eine Wiederbewaffnung und die Wiedereinführung der Wehrpflicht nur rechtfertigen, wenn das Ziel nicht aus den Augen verloren wird, welches Adenauer 1962 formulierte: "Die Abrüstung muss das Ziel bleiben. Der Gedanke darf nicht aufgegeben werden, sonst geht die Menschheit zugrunde".

Über den Autor: Markus Krienke ist Professor für Moderne Philosophie und Sozialethik an der Theologischen Fakultät von Lugano sowie Direktor des Lehrstuhls Rosmini.

Quelle:
DR

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