DOMRADIO.DE: Das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet Soldaten als "Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker". Dieser Text ist 60 Jahre alt. Hat sich an der kirchlichen Haltung zum Militärdienst etwas geändert?
Monsignore Rainer Schnettker (leitender katholischer Militärdekan in Köln): Grundsätzlich nicht. Diese Haltung wurde in den vergangenen Jahren immer wieder bestätigt. Wichtig ist aber die Vorsicht: Es geht nicht darum, mit Euphorie in einen Krieg zu ziehen. Im Vordergrund steht die Verteidigung und das Wohl der Völker sowie der Menschen in unserer Gesellschaft. Das menschliche Leben ist schützenswert, und damit sind wir beim kirchlichen Auftrag.
DOMRADIO.DE: 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Nun wird über eine verpflichtende Musterung diskutiert, die Verteidigungsminister Boris Pistorius anstrebt. Militärbischof Franz-Josef Overbeck unterstützt ihn. Wie sehen Sie die Debatte?
Schnettker: Es geht nicht um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, sondern um einen verpflichtenden Wehrdienst. Auch das wäre im engen Sinne nach dem neuen Entwurf keine Rückkehr zur alten Wehrpflicht. Es geht zunächst um einen allgemeinen gesellschaftlichen Dienst. Angesichts des aktuellen Personalmangels ist es richtig und wichtig, darüber nicht nur nachzudenken, sondern es auch umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Einige junge Menschen fühlen sich übergangen und kritisieren Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg. Wie nehmen Sie das wahr?
Schnettker: Ich bin in die politischen Planungen nicht direkt eingebunden. In Begegnungen mit Jugendlichen erlebe ich eine differenzierte Haltung. Viele sehen, dass etwas getan werden muss. Aber die Frage ist: Bin ich selbst bereit, diesen Dienst zu übernehmen? Für einen gesellschaftlichen Konsens braucht es die Stimme der Betroffenen – der jungen Männer und Frauen.
DOMRADIO.DE: Falls die freiwillige Gewinnung neuer Kräfte nicht reicht, steht eine Bedarfswehrpflicht im Raum – sogar ein Losverfahren. Lässt sich das ethisch rechtfertigen?
Schnettker: Das ist schwer zu beurteilen. Das Losverfahren wird als Ultima Ratio diskutiert – also als große Ausnahme. Klar ist: Es bleibt ein Eingriff in das Leben einzelner Menschen und ist daher ethisch zu bewerten. Die Gewissensentscheidung bleibt wichtig. Ein Losverfahren kann im äußersten Fall eine Lösung sein, bleibt aber die schlechteste.
DOMRADIO.DE: Wie wird diese Diskussion unter den Soldatinnen und Soldaten aufgenommen?
Schnettker: Eher positiv. Der Bedarf an Personal ist groß. Freiwilligkeit ist dabei entscheidend, denn es braucht bestimmte innere und äußere Voraussetzungen, um diesen Dienst auszuüben – geistig wie körperlich.
Aber mehr Menschen bedeuten auch mehr Kameradschaft und eine Verteilung der Aufgaben auf mehrere Schultern. Unter dem Aspekt der Freiwilligkeit sind diejenigen, die wollen und zu diesem Dienst passen, sehr willkommen.
DOMRADIO.DE: Ist die klassische Wehrpflicht aus Ihrer Sicht endgültig Vergangenheit?
Schnettker: Rein rechtlich wurde sie nie aufgehoben, sondern nur ausgesetzt. Sie besteht nach wie vor im Gesetz. Und wie der Minister sagte, ist das ein laufender Prozess mit regelmäßigen Berichten an den Bundestag. Es ist nichts Festgezurrtes, sondern etwas, das flexibel auf Bedarfe und Reaktionen der Bundeswehr ausgelegt ist.
DOMRADIO.DE: Welche Herausforderungen kommen auf die Militärseelsorge zu?
Schnettker: Im Blick auf den Wehrdienst bleibt unser Auftrag, Menschen zu begleiten – auch ethisch und mit Blick auf das Gewissen. Gleichzeitig sollte die Wehrpflicht nicht isoliert betrachtet werden. Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Dienst. Dazu gehört auch ein Sozialdienst, der gestärkt werden muss.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.