DOMRADIO.DE: Was war Ihre erste Reaktion, als Sie hörten, dass der US-Amerikaner Robert Kardinal Prevost zum neuen Papst gewährt worden ist?
Annette Schavan (Ehemalige Botschafterin am Heiligen Stuhl, ehemalige deutsche Bundesministerin für Bildung und Forschung): Meine erste Reaktion war Freude. Ich fand, dass es ein großartiger erster Auftritt war, die Arme weit auszubreiten und allen Menschen, allen Völkern den Frieden zu wünschen.
DOMRADIO.DE: Prevost stand nicht ganz oben auf dem Favoritenzettel. War er auch für Sie eine Überraschung?
Schavan: Für mich war es keine totale Überraschung, weil ich den Namen in Rom doch in den letzten Wochen oft gehört habe, und weil ich weiß, wie wichtig er in der Vermittlung zwischen Deutschland und unseren Ideen zur Weiterentwicklung der Kirche bei den Besuchen in Rom war.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Eindruck von seinem ersten Auftritt und seinen Worten auf der Loggia des Petersdoms? Was war das Bemerkenswerte?
Schavan: Das Bemerkenswerte war ein sichtlich bewegter Mann, der an seinen Vorgänger und dessen Erbe von Versöhnung, Brückenbau und Friedenstiften erinnert. In seiner Biografie ist er sehr international aufgestellt, er hat großartige internationale Erfahrungen.

Vor allen Dingen war er aber bewegt, zugewandt und setzte das klare Signal, dass es in dieser Welt keine gestufte Liebe, sondern die Zuwendung, die Liebe, den Frieden für alle geben muss.
DOMRADIO.DE: Jetzt stellt sich natürlich dann die Frage, wie viel von Papst Franziskus in diesem neuen Papst ist. Was meinen Sie?
Schavan: Jedes Pontifikat hat seine eigene Prägung. Wer sich Leo XIV. nennt, erinnert uns natürlich sofort an die Grundlagen der katholischen Soziallehre, die Leo XIII. gesetzt hat. Zugleich hat er Franziskus lange begleitet.
Franziskus hat ihn in den letzten Phasen seines Dienstes sowohl in Peru als auch in Rom in die Ämter berufen. Ich denke, er ist jemand, der seinem Vorgänger innerlich ganz nahe ist und der aber etwas mitbringt, das ganz selten ist: Erfahrung in der Weltkirche, Erfahrung im Umgang mit den Armen, Seelsorger vor Ort und zugleich Kenner der Kurie, weil er die letzte Zeit in der Kurie gewirkt hat.
DOMRADIO.DE: Er hat 20 Jahre in Peru gearbeitet, ein US-Amerikaner mit einem Herz für Südamerika. Ist das auch ein Statement zum Beispiel gegen die Abschottungspolitik der amerikanischen Regierung?
Schavan: Davon ist auszugehen. Das ist ein Statement, dass diese immer wieder von Papst Franziskus geäußerte Überzeugung, dass Christen und Christinnen an die Peripherie gehen sollen, dass unser Dienst der Sorge um die Welt, den Armen und Ausgeschlossenen gelten soll, Fortbestand hat.
Den Kardinälen und dem Konklave war klar, dass das ein wichtiges Erbe ist. Sie haben einen Papst gewählt, in dessen Biografie das fest verankert ist.
DOMRADIO.DE: Kann man auch schon sagen, was diese Papstentscheidung für die Synodalität der Kirche für eine Rolle spielt?
Schavan: Er hat in seiner ersten Ansprache vom gemeinsamen Weg des Volkes Gottes und von der synodalen Kirche gesprochen. Das ist ein gutes Zeichen, dass ihm das am Herzen liegt und dass auch dieses Erbe von Franziskus Bestand haben wird.
DOMRADIO.DE: Was meinen Sie, ist der neue Papst eher ein Reformer oder ein Konservativer?
Schavan: Diese Kategorien sollten wir nicht immer wieder anlegen. Ich glaube, dass das, was zu seiner Biografie gehört, zu seinen bisherigen Diensten und zu seiner Nähe zu Franziskus auf eine wirkliche Weiterentwicklung der Kirche hindeutet.
Zugleich wird gesagt, dass er pragmatisch und versöhnend ist. Wir haben in den letzten Tagen seit dem Begräbnis von Franziskus oft gesagt, dass es wichtig ist, dass ein Versöhner gewählt wird. Das ist er zweifelsohne und deshalb vielleicht besonders geeignet, auch Brücken zwischen den unterschiedlichen Milieus und Gruppen in der Weltkirche zu bauen.
Das Interview führte Carsten Döpp.