DOMRADIO.DE: Am Donnerstag haben wir Fronleichnam gefeiert – ein katholisches Hochfest. Wie schauen Sie als evangelischer Theologe auf dieses Fest, bei dem die Eucharistie im Mittelpunkt steht?
Prof. Dr. Hans-Peter Großhans (Professor für Systematische Theologie und Direktor des Instituts für Ökumenische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster): Als Kind und Jugendlicher habe ich katholische Feiertage wie Fronleichnam oder Allerheiligen als sehr angenehme Tage empfunden.

Denn an diesen Festen hatte ich zwar frei, musste als evangelischer Christ jedoch nicht in die Kirche gehen. Insofern habe ich ein positives Verhältnis zu Fronleichnam. Allerdings ist mir das Zeigen des Leibes Christi in einer öffentlichen Demonstration immer etwas fremd geblieben.
DOMRADIO.DE: Können Sie das etwa näher erklären?
Großhans: Als evangelischer Theologe denke ich, dass die katholische Transsubstantiationslehre (Lehre über die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der heiligen Messe, Anm. d. Red.) ein zeitbedingter Versuch war, das Geheimnis der Eucharistie in eine begriffliche Form zu bringen. Weil in diesem Verständnis von Wandlung ein Substanzwechsel erfolgt, kann man den Leib Christi in der Öffentlichkeit präsentieren.
Aber ich halte das für eine Überspitzung dessen, was die Lehre von der Transsubstantiation eigentlich beinhaltet. Sie besagt, dass durch die Wandlung im Hochgebet in der Messfeier Brot und Wein eine andere Substanz erhalten, also nicht mehr Brot und Wein sind, sondern Leib und Blut Christi.
Das wird dann von der katholischen Kirche allerdings nicht im Kontext der Liturgie gelassen, sondern in die Öffentlichkeit hinausgetragen. Und das ist meiner Ansicht nach eine Überdehnung dieser Begriffsbildung.
DOMRADIO.DE: Das Verständnis davon, was bei der Eucharistie, beim Abendmahl mit Brot und Wein passiert, trennt die Konfessionen. Warum ist das eigentlich so?
Großhans: In der Eucharistie oder in der Abendmahlsfeier geht es immer um die Gegenwart Christi. Um dieses Geschehen zu verstehen und vorstellbar zu machen, hat man sich der Theorien bedient, die man zu einer bestimmten Zeit hatte. Nach katholischem Verständnis ist die Gegenwart Christi substantiell durch die Wandlung.
Bei den Lutheranern haben wir eine Realgegenwart im Akt der Abendmahlsfeier. Mit den entsprechenden Worten ist Christus also real gegenwärtig in Fleisch und Blut, ohne dass es dabei zu einer substantiellen Veränderung des Brotes und des Weines kommt. Bei den Reformierten geht man hingegen von einer spirituellen Präsenz Christi beim Abendmahl aus.
Das liegt daran, dass der Reformator Zwingli ein Humanist war, der sich nicht vorstellen konnte, dass das Unendliche – also Gott – sich in einem endlichen Ding befinden kann.
Außerdem hat er die Vorstellung abgelehnt, dass Christus, der sich zur Rechten Gottes im Himmel befindet, gleichzeitig auch in seiner leiblichen Natur auf Erden sein kann. Deshalb ist er von einer geistigen Gegenwart ausgegangen.
DOMRADIO.DE: Sind die verschiedenen Konzepte zum Verständnis der Gegenwart Christi in der Eucharistie, die die unterschiedlichen Konfessionen haben, in Stein gemeißelt oder haben sie sich auch verändert?
Großhans: Ich sage es mal so: Es gibt durchaus katholische Theologinnen und Theologen, die Fronleichnam als einen Anachronismus bezeichnen. Denn auch die katholische Theologie behauptet nicht mehr, dass eine Wandlung in dem Sinne erfolgt, dass sich die Substanzen von Brot und Wein ändern.
DOMRADIO.DE: Offizielle Lehre der katholischen Kirche ist die Transsubstantiation aber bis heute.
Großhans: Aus meiner Sicht behält die katholische Kirche die Rede von der Transsubstantiation als einen "identity marker" bei, aber man glaubt daran nicht mehr in dem Sinne, wie es im Mittelalter verstanden wurde.
Natürlich gehen auch katholische Theologinnen und Theologen davon aus, dass es zu einer realen Wandlung kommt, aber nicht mehr in dem Sinn, dass chemische Elemente ihre Substanz wandeln. Das ist eben ein Ausdruck, den man zu früheren Zeiten gefunden hat und weiter benutzt.
Aber in allen ökumenischen Gesprächen rücken die Katholiken immer davon ab – das ist jedenfalls meine Erfahrung. Da bekommen sie auch eine deutliche Kritik von der orthodoxen Theologie ab.
Die Orthodoxen halten die Transsubstantiationslehre für eine unangemessene Rationalisierung, die dem Geheimnis der Eucharistie und der Begegnung mit Jesus Christus in der Eucharistie gar nicht entspricht.
DOMRADIO.DE: Haben Abendmahl und Eucharistie auch das Potential, die getrennten Konfessionen zusammenzuführen – oder sind sie tatsächlich nur etwas Trennendes?
Großhans: Wenn man auf die evangelische und die katholische Theologie schaut, sieht man eigentlich einen Konsens beim Eucharistieverständnis. Dass es bis heute kein gemeinsames Abendmahl gibt, liegt wesentlich an der Verbindung der Eucharistiegemeinschaft mit der Kirchengemeinschaft.
Das kommt in einer katholischen Messfeier etwa dadurch zum Ausdruck, dass im Hochgebet auch für den Ortsbischof und den Bischof von Rom – den Papst – gebetet wird.
Der ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen hat vor ein paar Jahren das Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn" vorgelegt und darin keine sachlichen Differenzen beim Verständnis des Abendmahls gesehen.
Letztlich ist für jede Kirche klar, dass nicht sie die Gastgeberin des Mahles ist, denn das ist Jesus Christus – der zugleich auch die Gabe ist.
Vor diesem Hintergrund müsste man meiner Meinung nach die Teilhabe an der Kirchengemeinschaft als Voraussetzung für die Teilnahme an der Eucharistie etwas relativieren. In der evangelischen Kirche ist das seit geraumer Zeit etwas lockerer: Da werden immer aller Getauften eingeladen. Manchmal sogar auch „alle, die es begehren“.
Das Interview führte Roland Müller.