Missbrauchsbetroffene kritisiert Papstschreiben an Kardinal Marx

"Ein schwieriges Zeichen"

Papst Franziskus lässt den Münchner Kardinal Reinhard Marx gegen seinen eigenen Wunsch im Amt. Auch wenn man das Schreiben durchaus positiv deuten kann, sendet es schwierige Signale, findet die Missbrauchsbetroffene Johanna Beck.

Kardinal Reinhard Marx / © Harald Oppitz (KNA)
Kardinal Reinhard Marx / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx hat viel Beifall geerntet, die Ablehnung des Papstes vor allem Verwirrung. Wie beurteilen Sie das nun aus der Betroffenenperspektive?

Johanna Beck (Sprecherin des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz): Ich war vergangene Woche sehr irritiert über diese Ankündigung. Mein erster Gedanke war: Wie muss das für Betroffene sein, deren Fall direkt mit Kardinal Marx verknüpft ist? Ich denke hier an "Karin Weißenfels" oder Timo Ranzenberger. Für die muss das wirklich ein sehr harter Schlag sein.

Wenn man das Schreiben des Papstes aus Betroffenen-Perspektive betrachtet, fällt auf, dass hier zwei Mitbrüder kommunizieren. Es ist trotzdem für die Öffentlichkeit bestimmt, aber der Papst schreibt sehr viel über die Last der Vergangenheit, über das Belastende der Missbrauchs-Krise. Aber die Betroffenen kommen gar nicht vor. Die Betroffenen sind die, die wirklich leiden unter dieser Krise.

Dabei hat ja Kardinal Marx in seinem Rücktrittsgesuch genau diesen Perspektivwechsel angemahnt. Die Betroffenen müssen mehr ins Blickfeld gerückt werden. Aber die Betroffenen kommen im Papstschreiben gar nicht so richtig vor. Auch problematisch: In seinem Rücktrittsschreiben hat Kardinal Marx seine persönliche Mitverantwortung angesprochen, aber auch ganz klar institutionelles und systemisches Versagen benannt. Das war für ihn einer der ausschlaggebenden Gründe, warum er zurücktreten wollte.

Dieses Rücktrittsschreiben war ein wirklich wichtiges und gutes Zeichen. Und genau solche Zeichen braucht es gerade in der Kirche; die Verantwortungsübernahme, die Benennung der eigenen Schuld, die Benennung des Systemversagens - diese Zeichenhaftigkeit wird jetzt durch den Papst fast schon durchkreuzt. Er sagt: Gut, dass wir darüber geredet haben, aber jetzt bitte weitermachen. Es ist ein schwieriges Zeichen.

Damit blendet der Papst eigentlich auch das persönliche Fehlverhalten, das Marx angesprochen hat, aus. Er blendet in dem Schreiben auch dieses institutionelle Versagen aus. Das ganze Schreiben ist sehr pastoral, geistlich ausgerichtet. Aber es blendet die Systemfrage aus.

DOMRADIO.DE: Die Logik des Papstes scheint ja zu sein, Verantwortung nicht abzugeben, sondern in der Verantwortungsposition etwas am Problem zu ändern. 

Beck: Jein. Ich glaube, Verantwortungsübernahme bedeutet auch klare Schritte zu gehen, die vielleicht auch wehtun, aber die sein müssen. Insofern wäre die Annahme der Rücktrittsbitte schon auch wieder ein starkes Zeichen gewesen.

Auf der anderen Seite - wenn man versucht, es positiv zu lesen - spricht der Papst explizit ein Hinsehen an. Man soll hinsehen und Verantwortung übernehmen. Er spricht so schön von den Skeletten im Schrank, die nicht sein dürfen. Das ist immerhin schon mal ein guter Aufruf zu sagen: Nein, wir müssen wirklich grundlegend aufarbeiten und alles beleuchten. Das ist schon mal ein sehr guter Ansatz.

Die Frage ist nur, da das Rücktrittsgesuch abgelehnt wurde - was macht Kardinal Marx daraus? Was ist sein Rückschluss daraus? Da hoffe ich einfach, dass er diesen Lernprozess, den er schildert, diesen Erkenntnisprozess nutzt, um jetzt in der Position, die er weiter innehaben wird, Dinge zu verändern. Das wäre eine transparente und lückenlose Aufklärung, ein verantwortungsvoller Umgang mit den Missbrauchsfällen. Dass er in seinem Umgang mit den Betroffenen nochmal ganz besonders empathisch, vorbildlich und verantwortungsvoll handelt.

DOMRADIO.DE: Das ganze hat sich im Kontext des noch unveröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachtens ereignet, in Trier gibt es auch Aufklärungsbemühungen aus seiner dortigen Zeit als Bischof. Was wäre denn, wenn ihm in diesem Kontext Fehlverhalten bescheinigt wird? Der Rücktritt wurde ja schon vorab abgelehnt.

Beck: Diese Frage stelle ich mir auch sehr akut. Vielleicht warten hier auch noch Erkenntnisse. Wieviel haben diese noch zu offenbarenden Erkenntnisse zu seinem Rücktrittsgesuch beigetragen? Und was wartet da noch auf die Welt? Das treibt mich auch um. Was ist, wenn es nun konkrete und direkte Vorwürfe gegen ihn gibt? Wird dieses jetzige Ablehnen des Rücktrittsgesuchs zum Blankoscheck? Kann er jetzt bis zur Rente bleiben, ohne dass irgendetwas passiert? Ich bin keine Kirchenrechtlerin. Ich weiß nicht, wie oft man einen Rücktritt anbieten kann. Wenn das Münchner Gutachten und der Trierer Aufarbeitungsprozess wirklich neue Erkenntnisse zutage fördern, wäre es wahrscheinlich auch geboten, ein zweites Rücktrittsangebot nach Rom zu senden.

DOMRADIO.DE: In der vergangenen Woche hieß es das Rücktrittsgesuch erhöht den Druck auf die anderen deutschen Bischöfe. Welches Signal sendet dann dieser Brief aus Rom?

Beck: Die Beurteilung des Schreibens wird sich nochmal neu messen lassen müssen, je nachdem wie der Papst auf die Visitation in Köln reagiert. Wird Marx bleiben können und Woelki gehen? Werden beide bleiben können? Das ist die große Frage. Wenn Marx bleiben und Woelki gehen soll, ist das natürlich auch schon ein sehr deutliches Statement.

DOMRADIO.DE: Inwiefern?

Beck: Vielleicht sieht sieht Papst Franziskus in Kardinal Marx dann jemanden, dem er zutraut, einen neuen Wind durch die Kirche wehen zu lassen und an diesen Reformen maßgeblich mitzuwirken, die der Papst tatsächlich in seinem Schreiben anspricht. Dann würde er Kardinal Woelki zeigen, dass so eine Form von Kirche und Machtausübung nicht förderlich ist.

DOMRADIO.DE: Das heißt, man könnte auch eine kirchenpolitische Botschaft aus diesem Schreiben herauslesen?

Beck: Papst Franziskus spricht explizit Reformen an. Das ist eines der positiven Elemente an diesem Text. Er unterstreicht ja sogar das Wort Reform. Anscheinend ist sich der Papst im Klaren, dass sich etwas ändern muss. Es braucht Reformen, es muss sein. Das ist ja schon ein Unterstreichen der Anliegens von Kardinal Marx, der ja einer der treibenden Kräfte hinter dem Synodalen Weg ist und war. Die Frage ist nur - und Papst Franziskus ist da ja immer sehr schillernd in seiner Ausdrucksweise - was für eine Reform ihm vorschwebt? Es schimmert schon durch, dass es ihm vielleicht nicht primär um Systemfragen geht, um eine Reform der kirchlichen Strukturen, sondern eher um eine geistliche Erneuerung. Wobei ich finde, dass eine Erneuerung der Strukturen auch im Sinne des Evangeliums ist. Vielleicht ist das schon mal ein ein Vorgeschmack auf den weltweiten synodalen Prozess. Papst Franziskus betont ja auch wieder die Evangelisierung.

Ein Problem an dieser schillernden Sprache ist, dass sie trotzdem sehr vage bleibt. häufig lesen die ganz verschiedensten Seiten eine Bestätigung heraus. Deshalb muss die Zukunft jetzt zeigen, wo es wirklich hingehen soll. In den Augen des Papstes.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Johanna Beck / © Heinz Heiss (privat)
Johanna Beck / © Heinz Heiss ( privat )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema