DOMRADIO.DE: Wissen Sie, warum gerade der 22. Mai der internationale Tag der biologischen Vielfalt wurde und was die Idee hinter dem Gedenktag ist?
Sebastian Knapp (Theologe am Institut für Theologische Zoologie Münster): Der 22. Mai wurde als Gedenktag übernommen, um an das Übereinkommen über die biologische Vielfalt zu erinnern, das 1992 auf einem Gipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro beschlossen wurde. Das Übereinkommen gilt als das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz der globalen Biodiversität. Es geht nämlich auch um die Frage, wie dieser Vielfalt nachhaltig genutzt werden kann.
Das Abkommen regelt, dass man einen Nutzen aus der Biodiversität ziehen darf, bestimmt aber, dass dieser Nutzen nachhaltig und gerecht für alle auf der Welt sein muss.
DOMRADIO.DE: Warum ist dieser internationale Tag der biologischen Vielfalt so wichtig? Brauchen wir ein Denkzettel für den Umgang mit der Natur?
Knapp: Wenn man sich die aktuellen Zahlen und Zeiten anschaut, sieht man, dass dieser Tag total wichtig ist. Ich finde es schade, dass der Tag in der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt ist. Denn die Situation, in der wir leben, ist alarmierend. Zum Beispiel hat der World Wide Fund gor Nature (WWF, Anm. d. Red.) im vergangenen Jahr in seinem Report festgestellt, dass die weltweite Wildtierpopulationen seit den 70er-Jahren im Durchschnitt um 73 Prozent zurückgegangen ist. Besonders prekär ist die Lage bei Süßwasserarten. Dort ist sogar ein Rückgang von 85 Prozent zu beobachten.
Die biologische Vielfalt ist einfach massiv gefährdet. Das zeigt sich auch an der aktuellen Aussterberate, die zehn bis hundert Mal so hoch ist, wie sie natürlicher Weise im Minimum liegt. Das sind einfach alarmierende Zahlen und die Öffentlichkeit nimmt davon gerade in den letzten Jahren wieder zunehmend weniger wahr.
Das konnte man auch bei der Bundestagswahl beobachten. Das Thema hat im Wahlkampf keine Rolle gespielt. Deswegen finde ich so einen Tag als Denkzettel sehr gut.
DOMRADIO.DE: Was geht verloren, wenn wir nicht auf die Artenvielfalt achten? Nicht nur aus biologischer Sicht, sondern aus einem emotionalen oder spirituellen Blick.
Knapp: Die Verknüpfung zwischen Schöpfung und Menschsein ist eine tief religiöse Verknüpfung, die sich in allen Religionen wiederfindet, aber besonders im Christentum, wo der Mensch eingesetzt ist, um die Erde zu bebauen und zu behüten. Dieser Rolle werden wir nicht gerechnet. Wenn wir die biologische Vielfalt verlieren, ist das ein großer Verlust.
Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika "Laudato si" geschrieben, dass die biologische Vielfalt eine Möglichkeit Gottes ist, sich uns gegenüber auszudrücken. Je geringer die biologische Vielfalt wird, desto weniger Möglichkeiten hat Gott an dieser Stelle mit uns in Kontakt zu treten und sich uns gegenüber auszudrücken. Deswegen ist es ein tief spirituelles und emotionales Anliegen, diese Formen von biologischer Vielfalt zu erhalten.
Die meisten Menschen kennen das Gefühl, was sich einstellt, wenn man durch einen Wald geht und zur Ruhe kommt. Man spürt dann eine Verbundenheit. Und die Verbundenheit ist durch den Verlust der biologischen Vielfalt massiv gefährdet.
DOMRADIO.DE: Im Christentum gibt es also eine Verantwortung der Christen für die Welt. Nehmen die Kirchen diese Verantwortung denn aktuell auch wahr?
Knapp: Das ist unterschiedlich. Es gibt viele kirchliche Stellen, die tolle Arbeit leisten. Das Erzbistum Köln hat eine tolle Abteilung zum Thema Nachhaltigkeit und Schöpfung. Auch die Erzdiözese Freiburg hat eine große Abteilung, die sich um diese Themen kümmert. Es gibt auch Initiativen aus der Basis wie die "Christians for Future", die sich dafür einsetzen. Oder die ökumenische Schöpfungszeit.
Es gibt viele positive Beispiele, aber die Herausforderung ist, dass das Ganze nicht allgemein verbindlich vorgegeben ist. Es hängt immer an dem Engagement von Einzelnen, seien es einzelne Diözesen, einzelne Initiativen oder einzelne Menschen. Es gibt keine große systematische Verankerung des Themas.
Mein Eindruck ist, dass es oft nur die Frage ist, wenn es um die Themen Nachhaltigkeit in Gemeinden geht, wie man die nächste Photovoltaikanlage aufs Dach kriegt oder woher man eine nachhaltige Beschaffung bekommt. Die eigentlichen Fragen, wie man zum Beispiel konkret biologische Vielfalt vor Ort fördern kann, werden selten zum Thema. Das ist zumindest mein Eindruck aus meinem Engagement. Deswegen sehe ich da doch noch ein großes Potenzial.
DOMRADIO.DE: Was kann jede oder jeder Einzelne im eigenen Umfeld oder in der Gemeinde, im Glauben oder im Alltag tun?
Knapp: Im Alltag und im persönlichen Leben sind die Sachen recht klar. Dazu gibt es mittlerweile sehr viele empfehlenswerte Handreichungen: Angefangen beim regionalen und saisonalen Einkauf über das Pflanzen von insektenfreundlichen Pflanzen bis hin zur Vermeidung von Plastik. Ich glaub, da gibt es schon sehr gute Ansätze.
In den Gemeinden ist das Thema aus meiner Sicht noch schwammiger, aber auch dort kann auf insektenfreundliche Arten auf den grünen Flächen geachtet werden. Ich würde mir wünschen, dass die Gemeinden mehr Bildungsarbeit und Workshops zu den Themen wie Nachhaltigkeit anbieten. Aber auch, dass bei Gemeindefesten ein bisschen mehr auf das Thema Nachhaltigkeit geachtet wird. Es gibt so viele Punkte, wo man ansetzen kann.
Das Interview führte Annika Weiler.