Expertin warnt Vatikan vor Zwickmühle in Ukraine-Friedensverhandlungen

"In Vermittlungsrolle sehr viel zu verlieren"

US-Präsident Donald Trump hat Friedensverhandlungen im Vatikan zwischen der Ukraine und Russland vorgeschlagen. Papst Leo XIV. hatte sich bereits dafür angeboten. Regina Elsner zweifelt die komplette Neutralität des Vatikans aber an.

Papst Leo XIV. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Leo XIV. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es gab schon vor allen Dingen im März 2022 Gesprächsrunden für den Frieden zwischen der Ukraine und Russland, jetzt erneut. Sie fanden meist auf neutralem Boden in der Türkei statt. Wie neutral ist der Vatikan? 

Regina Elsner (privat)

Prof. Regina Elsner (Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Universität Münster): Das hängt ganz davon ab, um welches Thema es geht. Wenn es um diese politische, militärische Neutralität geht, dann ist der Vatikan sicher ein guter Partner. Denn der Vatikan hat keine militärischen, territorialen und wirtschaftlichen Interessen und ist in der Hinsicht tatsächlich überparteilich und kann dazu dienen. 

Regina Elsner

"Da würde ich sagen, kann man die Neutralität des Vatikans schon anzweifeln. Das haben wir unter Franziskus sehr deutlich gesehen."

Es gibt aber auch ein Verständnis von Neutralität, in dem es eher um die Ideologie geht, die Ideen, die hinter einem Krieg stehen oder die Zugewandtheit zu der einen oder anderen Nation. Da würde ich sagen, kann man die Neutralität des Vatikans schon anzweifeln. Das haben wir unter Franziskus sehr deutlich gesehen. 

DOMRADIO.DE: Der verstorbene Papst hatte sich nicht deutlich gegen Russland positioniert. Manche sagen seine Zurückhaltung hatte seine Berechtigung, aber in der Ukraine war Franziskus eine Persona non grata.

Elsner: Ich würde nicht Persona non grata sagen, aber er hat tatsächlich sehr viel Glaubwürdigkeit im Laufe der letzten Jahre verspielt. Denn er hat immer wieder versucht, deutlich zu machen, dass in Russland noch nicht alles verloren ist, dass auch dort viele Chancen bestehen würden, dass Russland teilweise vielleicht berechtigte Interessen haben könnte. Das hat man ihm in der Ukraine sehr übelgenommen. Das geht in der Frage der Neutralität genau in die Richtung der moralischen Nicht-Neutralität.

DOMRADIO.DE: Zwischen den beiden Oberhäuptern, dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill und Papst Franziskus, gab es Versuche der Annäherung. Kyrill steht weiter an der Seite von Wladimir Putin. In der Hinsicht ist wahrscheinlich auch unter Leo XIV. nicht viel zu erwarten. Oder glauben Sie, dass er Kyrill umstimmen könnte?

Elsner: Ich habe den Eindruck, dass Leo bis jetzt sehr schlau auf die politische Karte setzt und weniger auf die religiöse. Das ist immer die Doppelrolle, die der Vatikan hat. Der Vatikan ist eine kirchliche, eine religiöse Organisation, aber auch staatlich-diplomatisch relevant. 

Regina Elsner

"Daher glaube ich, gibt es tatsächlich gute Chancen, dass er damit mehr Erfolg haben könnte als Franziskus."

Franziskus hat sehr stark versucht, Kyrill religiös zu überzeugen, ihm ins Gewissen zu reden. Das muss scheitern, glaube ich. Papst Leo versucht bis jetzt, sehr deutlich zu machen, dass hier eine politische Neutralität, eine diplomatische Neutralität herrscht, und er versucht sich darauf zu beschränken. Daher glaube ich, dass es tatsächlich gute Chancen gibt, dass er damit mehr Erfolg haben könnte als Franziskus. 

DOMRADIO.DE: Papst Leo wirkte schon direkt bei seinem allerersten Auftritt auf der Loggia auf dem Petersplatz wie der mögliche neue Friedenspapst. Er ist zumindest noch unbelastet. Trauen Sie ihm zu, als ernsthafter Vermittler zwischen der Ukraine und Russland aufzutreten? 

Elsner: Das, worüber wir jetzt sprechen, ist vor allem eine Vermittlung im Sinne eines neutralen Ortes. Da hat der Vatikan wirklich gute Chancen, gemeinsam mit Italien einen Raum zu bieten, der für alle akzeptabel ist. 

Regina Elsner

"Ich denke, dass der Vatikan in dieser Vermittlungsrolle auch sehr viel zu verlieren hat, wenn er sich neutral zu Verbrechern zeigt".

In der moralischen Hinsicht bin ich da doch etwas skeptisch oder vorsichtig. Denn ich denke, dass der Vatikan in dieser Vermittlungsrolle auch sehr viel zu verlieren hat, wenn er sich neutral zu Verbrechern zeigt. Moralisch ist das nicht ganz einfach.

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Robert Francis Prevost (Papst Leo XIV.)

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Robert Francis Prevost gilt als ein Kardinal der Mitte. Obwohl US-Amerikaner ist der Ordensmann in Rom, der Kurie und der Weltkirche zu Hause. Zuletzt leitete der 69-Jährige die Vatikanbehörde für Bischöfe, quasi die Personalabteilung der katholischen Weltkirche. In dieser Funktion war Prevost in den vergangenen zwei Jahren zuständig für einen Großteil der Bischofsernennungen weltweit.

Papst Leo XIV / ©  Andrew Medichini/AP (dpa)
Papst Leo XIV / © Andrew Medichini/AP ( dpa )
Quelle:
DR

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