Moraltheologe Sautermeister schwärmt von Arbeit im Deutschen Ethikrat

"Ein konstruktives Gremium"

Der Moraltheologe Jochen Sautermeister ist das neueste Mitglied im Deutschen Ethikrat. Er erklärt, wie ihn sein Fach als Menschen geprägt hat, warum die Bibel kein Moralhandbuch ist und wie er mit ethischen Themen ringt.

Autor/in:
Verena Tröster
Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht (KNA)
Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht ( KNA )
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Himmelklar: Wie das war, als Sie in den Ethikrat berufen worden sind? Hat da einfach eines Tages das Telefon geklingelt?

Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn und Mitglied des Deutschen Ethikrats): Der Vorgang, wie man Mitglied des Deutschen Ethikrats wird, ist klar geregelt. Von den 26 Mitgliedern wird die Hälfte der Mitglieder von den Parteien vorgeschlagen, die andere Hälfte von der Regierung.

In der Regel ist es dann so, dass es vorab eine Anfrage gibt, ob man sich das grundsätzlich vorstellen könnte, im Ethikrat mitzuwirken. Ich habe einen Anruf aus dem Forschungsministerium erhalten. Dann gab es einen Regierungsbeschluss und die Berufung erfolgte dann durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages. Ich wurde zum 1. März ernannt.

Es ist ja nicht so, dass man plötzlich einen Brief bekommt und von seiner Ernennung erfährt. Es muss ja erstmal abgeklärt werden, ob die Person sich das vorstellen kann, ob sie dazu bereit ist und ob sie die zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stellen kann bzw. möchte. 

Himmelklar: Freuen Sie sich, dass Sie berufen wurden?

Jochen Sautermeister

"Dieser Praxisbezug ist ein Kennzeichen der Theologischen Ethik."

Sautermeister: Das freut mich natürlich sehr. Zugleich bin ich mir bewusst, dass bei einer Berufung in den Ethikrat viele Faktoren eine Rolle spielen. Man kann sich ja nicht um eine Mitgliedschaft bewerben oder gar ein Anrecht auf eine Mitgliedschaft erwerben. Laut dem Ethikratgesetz sollen in dem Gremium unterschiedliche ethische Ansätze und eine Vielzahl an Meinungen vertreten sein. Ich bin sehr dankbar dafür, dass man mir das zutraut, und für die Möglichkeit, auch auf diese Weise gesellschaftliche Verantwortung übernehmen zu können. 

Himmelklar: Aber ist das etwas, was Sie sich gewünscht haben, was auf Ihrer Agenda stand?

Sautermeister: So etwas kann man nicht auf eine Agenda setzen oder planen. Das wäre auch vermessen. Als Fachvertreter der Moraltheologie befasse ich mich mit ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen aus einer theologisch-ethischen Perspektive. Das gelingt nicht im Elfenbeinturm, sondern ist nur im Dialog möglich. Dabei geht es eben nicht nur um theoretische Erörterungen, sondern auch um grundsätzliche und ganz konkrete praktische Themen. Dieser Praxisbezug ist ein Kennzeichen der Theologischen Ethik.

Als Moraltheologe sehe ich mich auch in der Verantwortung, im Rahmen meiner fachlichen Kompetenz mich zu dem einen oder anderen Thema zu äußern und zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, wo das möglich ist. Es geht gerade nicht um „Besserwisserei“, sondern darum, Argumente vorzubringen oder auf etwas aufmerksam zu machen, was davor nicht so im Blick war. Manchmal sind es auch Spannungen, unauflösbare Widersprüche oder tragische Konstellationen, die zur Sprache kommen sollten und die Frage aufwerfen: „Wie damit umgehen? Kann man oder müsste man da nicht noch mal drüber nachdenken?“

Inwieweit man als Theologischer Ethiker jedoch in den Medien einen Raum bekommt, sich zu äußern, und ob man dann auch noch Gehör findet, hat man selbst nicht in der Hand, erst recht nicht in einer Zeit, in der sich religionssoziologisch viel verändert. Weniger als 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gehören noch einer christlichen Kirche an und noch weniger beschreiben sich selbst als kirchlich gebunden, wie die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigte. Da fragen sich dann schon manche: „Warum soll sich hierzu ein Moraltheologe äußern?“ Die Bezeichnung „Moraltheologe“ kann leicht zu Missverständnissen führen, die erst einmal Skepsis hervorrufen. Dann sind vor allem nachvollziehbare Argumente und eine Glaubwürdigkeit wichtig. Umso größer ist meines Erachtens die Verantwortung, die man als Theologischer Ethiker hat, wenn man sich in den öffentlichen Diskurs einbringt.

Zugleich darf aber nicht vergessen: Religionen und auch das Christentum spielen weltweit eine wichtige und große Rolle. Da herrscht in Deutschland eine gewisse Sondersituation vor, wenngleich die Kirchen immer noch ein wichtiger gesellschaftlicher Akteur sind. 

Jochen Sautermeister

"Im Ethikrat geht es darum, ethische Fragen und Herausforderungen argumentativ, redlich und verantwortlich zu diskutieren."

Himmelklar: Es gibt ja sogar die Kritik, dass im Deutschen Ethikrat ein Übergewicht an christlichen Mitgliedern herrscht, also dass das nicht mehr unsere heutige Gesellschaft abbildet. Was denken Sie darüber? 

Sautermeister: Eine solche Kritik geht davon aus, dass der Ethikrat repräsentativ besetzt sein sollte, und könnte unterstellen, dass die christlichen Mitglieder im Grunde genommen ein Art Lobbyarbeit machen würden, anstatt sich mit guten und plausiblen Argumente in den ethischen und gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Ich finde diese Kritik problematisch. Denn jede und jeder hat einen weltanschaulichen Hintergrund hat, nicht nur katholische Moraltheologen, sondern auch alle Nicht-Christen. Im Ethikrat geht es darum, ethische Fragen und Herausforderungen argumentativ, redlich und verantwortlich zu diskutieren. 

Das geschieht vor dem Hintergrund interdisziplinärer Perspektiven verschiedener Fachrichtungen, unterschiedlicher praktischer Erfahrungssettings und vor dem Hintergrund relevanter Sinnüberzeugungen und Religion. Daher macht es ja auch Sinn, dass theologische Ethikerinnen und Ethiker Mitglied im Deutschen Ethikrat sind. 

Himmelklar: Sie haben die erste Sitzung schon erlebt. Wie war das, zum ersten Mal wirklich dabei zu sein? 

Sautermeister: Ich durfte den Ethikrat als ein konstruktives Gremium erleben. Es herrscht eine offene Diskussions- und Gesprächsatmosphäre. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit, auf konstruktive Diskussionen und auf sachorientierte Kontroversen.

Der Ethikrat lebt davon, dass alle Mitglieder ihre Fragen, Perspektiven und Expertise einbringen. Zugleich kann man selbst von den verschiedenen Perspektiven und Expertisen der anderen Mitglieder lernen. 

Himmelklar: Welche Themen sind das für Sie ganz persönlich? Worauf sollten wir als Gesellschaft in der heutigen Zeit einen Blick haben?

Sautermeister: Unsere Gesellschaft ist mit sehr vielen und unterschiedlichen Themen und Herausforderungen konfrontiert. Da denkt man gleich an die Biotechnologie, die Informationstechnologie und Künstliche Intelligenz, aber auch an Fragen des Sozialstaats, vor allem der Pflege und der Alterssicherung, oder an Klimawandel und Nachhaltigkeit. 

Über diese Themenfelder hinaus finde ich es wichtig, dass wir uns in der Gesellschaft noch intensiver mit Missbrauch und Gewalterfahrungen befassen. Bislang liegt der Fokus weiterhin sehr auf den Kirchen, aber es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. 

Jochen Sautermeister

"Es gibt viele Themen, über die wir in unserer Gesellschaft nachdenken sollten."

Weitere zentrale, aktuelle Themenfelder sind Sicherheit und Verteidigung, vor allem im Kontext der großen internationalen Herausforderungen, sowie die Herausforderungen und der Einfluss der Social Media auf demokratische Prozesse und deren Instrumentalisierung zur Schwächung von Demokratien. 

Im Kontext von Gesundheit und Krankheit finde ich es bedenkenswert, das Thema psychische Erkrankungen anzugehen mit dem Schwerpunkt der Stigmatisierung von Betroffenen. Ich habe den Eindruck, dass das trotz aller gegenläufigen Bemühungen noch häufig tabuisiert wird Daher sollte das Thema mehr Beachtung finden. Welche Auswirkungen haben Stigmatisierungen auf die Betroffenen? Welche Formen der Stigmatisierung gibt es, und was kann gegen Stigmatisierung getan werden?

Und wir reden in unserer Gesellschaft meines Erachtens noch zu wenig über Fehlgeburten und über die damit verbundenen Belastungen für die Betroffenen. Das Thema liegt meist unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle und wird oft beschwiegen, obwohl viele Menschen damit leidvolle Erfahrung machen mussten. Oft müssen Paare, Frauen und Männer den Tod und die Trauer mit sich allein ausmachen. Sie erleben es dann als Entlastung, wenn sie mit anderen darüber sprechen können und Formen und Wege finden den Tod zu verarbeiten. 

Es gibt also viele Themen, über die wir in unserer Gesellschaft nachdenken sollten. Der Ethikrat kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten.

Das Interview führte Verena Tröster.

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Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

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