Bischof Wilmer fordert neue Gerechtigkeit zwischen den Generationen

"Unser Evangelium ist grundsätzlich politisch"

Die Deutsche Bischofskonferenz hat Vorschläge für einen gerechten und verlässlichen Sozialstaat vorgelegt. Bischof Heiner Wilmer erklärt, welche Rolle die Kirche und das Evangelium in der gesellschaftlichen Debatte spielen will.

Autor/in:
Mathias Peter
Drei Generationen: Großvater (r.), Enkel und Vater / © DGLimages (shutterstock)
Drei Generationen: Großvater (r.), Enkel und Vater / © DGLimages ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Wirtschaft schwächelt, die Generation der Babyboomer geht verstärkt in Rente und nach wie vor tobt ein Krieg in Europa. Wie kann der Sozialstaat gerecht und verlässlich bleiben? Was sind Ihre Vorschläge?

Bischof Heiner Wilmer ist in der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für Europafragen. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Heiner Wilmer ist in der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für Europafragen. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ (Diözese Hildesheim, Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz): Zunächst möchte ich sagen, dass wir sehr dankbar für unseren Sozialstaat sind, der grundsätzlich gut funktioniert. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Unsere Vorschläge gehen dahin, dass wir eine größere Gerechtigkeit zwischen den Generationen fordern.

Es kann nicht sein, dass die jüngere Generation überfordert wird und über das Maß hinaus für diejenigen einsteht, die jetzt in Rente gehen. Das ist das eine. 

Auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet und eingezahlt haben, in die Rente entlassen werden und diese nicht ausreicht, sodass diese Menschen in Armut fallen. Auch das kann nicht sein.

DOMRADIO.DE: Sie wollen als Bischofskonferenz einen Beitrag für einen gerechten und verlässlichen Sozialstaat leisten. Wie kann der Beitrag der Kirche konkret aussehen?

Wilmer: Der Beitrag der Kirche konkret heißt, dass wir eine offene Debatte wollen. Wir rufen dazu auf, grundsätzlich über die Themen nachzudenken und keinen Schnellschuss zu machen – also nicht nur für zwei, drei Jahre zu planen, sondern einen Sozialstaat zu schaffen, der verlässlich und berechenbar ist. Denn nur so bleiben die Fundamente unserer Demokratie erhalten. Wir brauchen hier Hoffnung und Zuversicht.

Heiner Wilmer

"Wir brauchen Respekt und Wertschätzung voreinander – bei aller Schärfe in den Argumenten."

DOMRADIO.DE: Wir erleben hart geführte Debatten rund um Rente, Bürgergeld und Migration. Glauben Sie, dass die Kirche in diesem Konzert noch gut gehört wird?

Wilmer: Doch, ich glaube schon, dass die Menschen sich nach Versöhnung und Frieden sehnen. Wir sehnen uns danach, dass wir zusammenbleiben und nicht auseinanderbrechen oder uns in Spaltungen verirren. Wir brauchen Respekt und Wertschätzung voreinander – bei aller Schärfe in den Argumenten und bei allem Ringen um das bessere Argument. Wir brauchen persönliche Wertschätzung und keine Diffamierung.

DOMRADIO.DE: Was kann die Kirche in der polarisierten gesellschaftlichen Debatte als Beruhigung einbringen? Wie kann sie mäßigend einwirken?

Wilmer: Ich glaube, die Kirche ist gut beraten, wenn sie beim Evangelium bleibt – bei der Zusage Gottes, dass er da ist. Dass niemand durchs Raster fallen darf, dass wir solidarisch sind, einander schützen und dass jeder Mensch – egal ob jünger oder älter, krank oder gesund, zugezogen oder einheimisch – die gleiche Würde hat und den gleichen Respekt verdient.

Heiner Wilmer

"Grundsätzlich sehe ich ganz klar, dass das Evangelium Jesu Christi politisch ist."

DOMRADIO.DE: Wie stark kann man mit Bibel und katholischer Tradition Politik gestalten? Bundeskanzler Friedrich Merz sagte Anfang der Woche, man könne mit christlicher Nächstenliebe nicht jedes politische Problem beantworten.

Wilmer: Grundsätzlich sehe ich ganz klar, dass das Evangelium Jesu Christi politisch ist. Es kann gar nicht anders als politisch sein, denn in der Botschaft Jesu geht es um alle Menschen, um die gesamte Welt, um Inklusion. Jesu Botschaft sagt nicht: "Bestimmte Bereiche nehmen wir heraus."

Gleichwohl ist das Evangelium keine Handreichung für konkrete politische Konzepte. Das ist in der Verantwortung der jeweiligen Politikerinnen und Politiker und Expertinnen und Experten. Aber noch einmal: Unser Evangelium ist grundsätzlich politisch.

Heiner Wilmer

"Wir brauchen eine grundsätzliche Reform, die nicht nur auf zwei, drei Jahre ausgelegt ist."

DOMRADIO.DE: Sie haben den Beitrag der Bischofskonferenz heute in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Was soll der politische Betrieb in der Hauptstadt mitnehmen?

Wilmer: Wir erhoffen uns einen Anstoß zur Debatte, dass wir in unserer Bundesrepublik das Thema Rente, aber auch die anderen Bereiche der Grundsicherung – wie Pflege und Krankenversicherung – neu bedenken. Dass wir vulnerable Gruppen, Menschen, denen es nicht so gut geht, besonders in den Blick nehmen. Dass wir zielgenau arbeiten.

Und wir brauchen eine grundsätzliche Reform, die nicht nur auf zwei, drei Jahre ausgelegt ist, sondern verlässlich ist. Wir brauchen einen verlässlichen und gerechten Sozialstaat, der unter den Generationen eine neue Gerechtigkeit schafft. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Wie sich die katholischen Bischöfe zu Rentenreformen positionieren

Die katholischen Bischöfe haben eigene Ideen für umfassende Reformen des Sozialstaats vorgestellt. In ihrem vorgestellten Papier "Zusammenhalt durch Reformen sichern. Impulse für einen gerechten und verlässlichen Sozialstaat" positioniert sich die Deutsche Bischofskonferenz besonders zum Thema "gesetzliche Rente". 

Rentner / © Armin Weigel (dpa)
Rentner / © Armin Weigel ( dpa )
Quelle:
DR

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