Abt Nikodemus zeigt Solidarität mit Christen im Westjordanland

"Das wäre eine Schande für uns alle"

Übergriffe bedrohen die Menschen in Taybeh in der Westbank. Die christlichen Bewohner werden immer wieder von radikalen israelischen Siedlern attackiert. Abt Nikodemus Schnabel fordert Solidarität mit den Glaubensgeschwistern.

Autor/in:
Mathias Peter
Solidarität mit den Glaubensgeschwistern in der Westbank: Abt Nikodemus und der dortige römisch-katholisch Pfarrer Abuna Bashar. / © Dormitio Abtei Jerusalem
Solidarität mit den Glaubensgeschwistern in der Westbank: Abt Nikodemus und der dortige römisch-katholisch Pfarrer Abuna Bashar. / © Dormitio Abtei Jerusalem

DOMRADIO.DE: Immer wieder werden die Christen in dem Dorf Ziel von Hassverbrechen durch radikale israelische Siedler. Taybeh ist nur ein kleiner Ort. Warum lässt man die wenigen hundert Christen nicht einfach in Ruhe? 

Nikodemus Schnabel OSB (Benediktiner, Abt der Abtei der Dormitio in Jerusalem und des Priorats Tabgha am See Genezareth): Man könnte die Christen zynisch einen Kollateralschäden nennen. Letztendlich betrifft es ja nicht nur die Christen, sondern die Palästinenser allgemein, die natürlich in überwältigend großer Mehrzahl Muslime sind. 

Es herrscht die Ideologie dieser radikalen Siedler vor, nach der den Palästinensern ihre Eigenstaatlichkeit, ihre Autonomie abgesprochen wird und es stattdessen heißt, das sei hier alles biblisches Land und damit alles ihr Eigentum, was ihnen gehöre. Judäa und Samaria sagen sie statt Westbank, den Begriff "Palästinenser" nehmen sie gar nicht erst in den Mund. Das ist eine Provokation, um zu sagen: "Das ist unser Land". Diese Provokation ist schon heftig. 

Abt Nikodemus Schnabel

"Ich konnte mit Kindern sprechen, die wirklich Angst haben."

Ich war am Mittwoch da. Wenn die Siedler angreifen, reden wir nicht davon, dass es am Dorfrand zur Auseinandersetzung kommt, als eine Art Nachbarschaftsstreit. Die Siedler gehen vielmehr mit ihren Kühen in die Dorfmitte, ins Dorfzentrum, also in das bewohnte Gebiet. 

Das war sehr provozierend. In der Mitte des Dorfes steht eine ganz alte Kirche aus dem fünften Jahrhundert, die St. Georgskirche. Die ist mittlerweile eine Ruine, aber eben eine der ältesten christlichen Monumente im ganzen Heiligen Land. Die Siedler haben um die Kirche, um den Friedhof Feuer gelegt. 

Sie verbreiten da ganz bewusst Angst und Schrecken. Ich konnte mit Kindern sprechen, die wirklich Angst haben, wenn die Siedler kommen, selbst auf Pferden reitend, die Kühe durcheinander treibend. Das macht ihnen Angst. 

Das Dorf Taybeh in der Westbank besteht komplett aus Christen und umfasst drei Pfarreien mit drei Konfessionen. / © Dormitio Abtei Jerusalem
Das Dorf Taybeh in der Westbank besteht komplett aus Christen und umfasst drei Pfarreien mit drei Konfessionen. / © Dormitio Abtei Jerusalem

DOMRADIO.DE: Sie haben als Abt der deutschsprachigen Benediktiner auf dem Jerusalemer Zionsberg das Dorf am Mittwoch besucht. Wie können Sie mit Ihrer Präsenz helfen, diese Angst vielleicht etwas zu reduzieren? 

Abt Nikodemus: Mir war es ein ganz großes Anliegen, den christlichen Glaubensgeschwistern zu sagen: "Ihr seid uns nicht egal, wir sind hier, ich schaue hin". Deutschland wird momentan nicht gerade als das Land wahrgenommen, das sich für die Palästinenser und auch für die Christen vor Ort einsetzt. Das ist leider so. Deswegen ist es mir gerade als jemand, der eine deutsche Staatsbürgerschaft hat ein besonderes Anliegen zu sagen: "Euer Schicksal ist mir nicht egal, es interessiert mich auch als Deutscher!" 

Abt Nikodemus Schnabel

Mir war es ein ganz großes Anliegen, den christlichen Glaubensgeschwistern zu sagen: "Ihr seid uns nicht egal, wir sind hier, ich schaue hin".

Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung. Es gibt drei Pfarreien in dem Dorf, eine lateinische (also römisch-katholische), eine melkitische (also griechisch-katholische) und eine griechisch-orthodoxe. Die sind alle quicklebendig. Sie haben jetzt zum Beispiel aktuell ein gemeinsames, ökumenisches Sommerlager für alle 155 Jugendlichen. Da ist sehr viel Leben drin. Deswegen macht das Hoffnung, es lässt einen mit diesen gemischten Gefühlen zurück. Wir haben gesehen, das es Tanzunterricht und Musikunterricht gibt. 

Es gibt von der Pfarrei sogar eine eigene kleine Radiostation. Berühmt ist ja auch die Taybeh-Brauerei im Dorf. Das heißt, man merkt, die Christen haben Lust auf Zukunft. Dann merkt man aber auch, dass diese Zukunft bedrängt wird, sie werden terrorisiert. Eine große Sorge zum Beispiel ist die Ernte. Taybeh ist umgeben von Ölbäumen. Im Oktober steht die Ernte an und ganz viele haben gesagt, sie gehen nicht auf ihre Felder. Denn in den Nachbardörfern wurden Palästinenser bei der Ernte durch Siedler erschlagen. Da gibt es wirklich Angst um Leib und Leben, wenn man nur auf sein Grundstück zu seinen Ölbäumen gehen will. Das finde ich inakzeptabel und da fehlt mir tatsächlich auch ein bisschen der Aufschrei gegenüber diesem unfassbaren Unrecht. 

DOMRADIO.DE: Aber immerhin gab es ja schon Solidaritätsbesuche aus Politik und Religion, etwa vom Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa. Und in dieser Woche waren Sie da. Was können denn die Christen und Christinnen in Deutschland vielleicht tun, damit die Christen dort in dem Dorf ermutigt und auch gestärkt werden? 

Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Debbie Hill/OSV news (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Debbie Hill/OSV news ( KNA )

Abt Nikodemus: Bei einer nächsten Pilgerfahrt könnte man zum Beispiel auch Taybeh besuchen. Ich sage immer, eine gute Pilgerfahrt ist nicht eine Art Disneyland-Fahrt, wo man einfach nur die Steine besucht, das heißt, die Gebäude, die Wallfahrtsorte, sondern dass man auch Menschen trifft. 

Man muss wirklich sagen, dass die Pfarreien in Taybeh total lebendig sind und man vielleicht auch einen Gottesdienst dort mit den Christen feiern kann oder Begegnungen mit den Jugendlichen oder mit dem Pfarrer dort haben kann. Es gibt dort sogar ein Gästehaus, was sie betreiben. 

Vielleicht kann man also da übernachten anstatt in irgendwelchen Hotels in Jerusalem. Man kann so zeigen, dass Taybeh auf der Pilgerlandkarte ist. Das wäre eine Sache, die mir sofort kam, denn es ist ein wunderschönes Dorf. 

Das zweite, was man tun kann, ist, im Gebet zu unterstützen. Ich glaube an die Kraft des Gebetes! Und das Dritte ist, hinzuschauen, einfach wahrzunehmen, dass man Glaubensgeschwister eben auch in Taybeh, in Jerusalem, in Gaza und in Tel Aviv hat. Ich habe manchmal das Gefühl, Deutsche und auch manche Christen stehen so ein bisschen abseits bei diesem Konflikt und sagen sich, da haben wir halt die jüdischen Israelis und die muslimischen Palästinenser. 

Blick auf Jerusalem und den Tempelberg / © Harald Oppitz (KNA)
Blick auf Jerusalem und den Tempelberg / © Harald Oppitz ( KNA )

Aber so schwarz-weiß ist es eben nicht. Christen gibt es auf beiden Seiten. Es gibt palästinensische Christen, es gibt israelische Christen, es gibt Christen, die arabisch als Muttersprache haben, es gibt Christen, die hebräisch als Muttersprache haben. 

Abt Nikodemus Schnabel

"Wir sollten sehen, dass das unser Geburtsland unseres Glaubens ist und es steht jedem Christen gut an, dort hinzuschauen."

Und es gibt viele Migranten die dort leben, es gibt auch viele "Profichristen", so wie ich zum Beispiel, die als Ordensleute Deutsch, Französisch oder Italienisch sprechen. Wir sollten sehen, dass das unser Geburtsland unseres Glaubens ist und es steht jedem Christen gut an, dort hinzuschauen. 

DOMRADIO.DE: Die Hauptaufmerksamkeit geht auf die Situation in Gaza. Wie könnte es denn gelingen, die Aufmerksamkeit auch auf die Christen im Westjordanland zu lenken? 

Abt Nikodemus: Indem man, wie gesagt, die Gegend besucht. Mit Gaza ist die Situation natürlich nicht zu vergleichen, da reden wir momentan wirklich von einem drohenden Tod durch Hunger. Nach Gaza kommt man nicht hinein, da besteht keine Chance. 

Abt Nikodemus Schnabel

"Ich fände es einfach tragisch, wenn diese uralten christlichen Gemeinschaften sang- und klanglos untergehen würden." 

Aber in die Westbank kann man fahren und man darf sich nicht einschüchtern lassen, sich nicht eben weismachen lassen, das sei alles gefährlich und voller Terroristen. Man kann gut nach Bethlehem oder Beit Sahur, aber auch Taybeh fahren. Gerade die christlichen Orte in der Westbank hungern nach Besuchern, die hungern nach Pilgern, um auch zu zeigen, hier sind seit Jahrhunderten ununterbrochen Christen, die ihren Glauben lebendig leben.

Ich fände es einfach tragisch, wenn diese uralten christlichen Gemeinschaften sang- und klanglos untergehen würden und wir würden nicht mal Notiz davon nehmen. Das wäre eine Schande für uns alle. 

DOMRADIO.DE: Als Christen leben wir trotz allem auch von der Hoffnung. Was für Signale der Ermutigung haben Sie denn von Ihrem Besuch in Taybeh mitgenommen? 

Abt Nikodemus besucht das Dorf Taybeh und den römisch-katholischen Pfarrer Abuna Bashar. / © Dormitio Abtei Jerusalem
Abt Nikodemus besucht das Dorf Taybeh und den römisch-katholischen Pfarrer Abuna Bashar. / © Dormitio Abtei Jerusalem

Abt Nikodemus: Auf jeden Fall die Gemeinde! Das sind nur einige 100 Gläubige, aber die entfalten dermaßen eine Kreativität, eine Freude am Glauben, die sind so aktiv! Da bin ich immer wieder ganz berührt, da denke ich: was für eine Pfarrei, was ein Leben, was eine Lebendigkeit! Die Christen dort haben Lust auf Zukunft, sie sind voller Hoffnung. Und die Probleme sind eben nicht selbst gemacht, sondern von außen gekommen. Deswegen gehört da einfach unsere Solidarität klar hin. 

Abt Nikodemus Schnabel

"Die Christen wollen mit all ihren Nachbarn, auch mit den Siedlern, in Frieden leben."

Die Christen wollen mit all ihren Nachbarn, auch mit den Siedlern, in Frieden leben. Das tun sie zum Beispiel mit den muslimischen Nachbarn in den anderen Dörfern. Das ist das, was ich immer so unglaublich berührend finde, denn man hört von ihnen keinen Hass. Da kommen nie radikale Aufrufe nach Vergeltung oder Rache. Sie nehmen das jesuanische Gebot der Feindesliebe wirklich ernst! Die Christen haben die Hand ausgestreckt. Wer aber auf diese Hand spuckt, sind die radikalen Siedler um Taybeh herum. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Dormitio-Abtei

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel stattfanden. Abt ist seit 2023 Pater Nikodemus Schnabel.

Quelle:
DR

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