Hochschulpfarrer über das Teilen und die Gesellschaft

Perspektivwechsel an erster Stelle

In Krisenzeiten offenbart sich die Gesellschaft. Plötzlich bekommen Menschen auf der Flucht Arbeitsgenehmigungen. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose beobachtet ein ermutigendes Verhalten in der Krise, wenn auch mit gefährlichen Tendenzen.

Symbolbild Teilen / © Studio KIWI (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Mit dem Toilettenpapier ist es gerade so wie mit Immobilien. Gute Lagen sind unbezahlbar geworden. Waren Sie privat auch mal verunsichert, ob Ihre Vorräte wohl reichen werden?

Burkhard Hose (Hochschulpfarrer in Würzburg): Eigentlich nicht, weil ich in den Geschäften, in denen ich unterwegs bin, erlebt habe, dass die Bevorratung einigermaßen funktioniert hat.

DOMRADIO.DE: Das ist ja tatsächlich so eine selbsterfüllende Prophezeiung mit dem Hamstern. Wie kommen wir aus diesem Rad wieder raus? Wenn ich keine Seife, keine Hefe mehr habe, brauche ich die Sachen vielleicht ja trotzdem.

Hose: Ja, das stimmt. Ich glaube, das Hamsterkaufen offenbart ein Stück unserer Grundeinstellung. Das ist ein Stück die Angst, es könnte nicht reichen oder ich könnte persönlich zu kurz kommen. Das ist eine nachvollziehbare Angst, gegen die man in der Gesellschaft, glaube ich, überlegt vorgehen muss. Diese Angst sagt natürlich auch etwas über die Gesellschaft aus, in der wir leben. Wir sind gewohnt, einen gewissen Wohlstand zu haben, oft aus einer privilegierten Position heraus zu agieren und dass alles immer für uns vorhanden ist.

Gleichzeitig blenden wir aus, dass es viele Menschen gibt, die das längst nicht haben, was wir haben. Das heißt, was wir augenblicklich erleben, macht auch ein Stück sichtbar, wie unsere Gesellschaft längst gestrickt ist. Dass die einen selbstverständlich etwas haben, die anderen eben nicht.

DOMRADIO.DE: Sie treten für eine neue Kultur des Teilens ein. Wenn sie sich die Gesellschaft während der Corona-Krise mal anschauen, sehen Sie da etwas vom Teilen?

Hose: Ich sehe schon Momente der Solidarisierung. Gleichzeitig beobachte ich natürlich auch, dass wir in eine Phase hineinkommen könnten, die wir in den USA schon in wirklich heftigen Ausschlägen erlebt haben, wo der stellvertretende Gouverneur von Texas alte Menschen auffordert, jetzt zugunsten junger Menschen ihr Leben zu opfern, weil die Wirtschaft wieder angekurbelt werden muss. Das heißt, wir erleben, dass wir uns in einem System bewegen, das im Wesentlichen von der Wirtschaft und ihre Logik bestimmt ist.

Ich steuere in meinem Buch eher auf eine Gesellschaft hin, die eine "Würde-Gesellschaft" ist, wo Menschen sich nicht wegen ihrer Existenz rechtfertigen müssen, weil sie nämlich alt oder aus einem anderen Grund nicht sogenannte Leistungsträger in der Gesellschaft sind. Das halte ich im Augenblick für eine gefährliche Entwicklung. Da sind wir noch nicht durch.

DOMRADIO.DE: Sie hatten Ihr Buch ja schon vor der Pandemie fertig geschrieben. Was hatte Sie eigentlich dazu bewegt?

Hose: Ich hatte mein politisches Engagement vor dem Hintergrund des Evangeliums aus den letzten Jahren immer mehr in diese Richtung geführt. Viele Dinge, die ich beobachtet habe – an Fragen der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, auch wie mit AsylbewerberInnen umgegangen wird, lassen sich letztlich immer wieder auf die Logik des Marktes zurückführen. Auch das erleben wir gerade.

Jetzt wird auf einmal möglich, dass Menschen, die hier auf der Flucht waren und zu uns gekommen sind, auf Spargelfeldern in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Sie bekommen Arbeitserlaubnisse. Sie erhalten Dinge, die vorher nicht möglich waren, weil sie jetzt als nützlich erachtet werden. Ich wende mich dagegen, dass Menschen nur unter ihrer Nützlichkeit bewertet werden und beschämt werden, während diejenigen, die etwas haben, sozusagen als Leistungsträger und Stützen der Gesellschaft gesehen werden.

DOMRADIO.DE: Wo sollte ich denn persönlich mit dem Teilen anfangen?

Hose: Da erlebe ich gerade etwas Interessantes und Ermutigendes in unserer Gesellschaft. Viele Menschen sagen tatsächlich: Ich schütze nicht mich in erster Linie, sondern schütze diejenigen, die besonders Schutz brauchen. Das heißt, der Perspektivwechsel ist, glaube ich, das Erste, was das Teilen ausmacht. Es geht ja nicht darum, nur aus Wohltätigkeit heraus zu teilen, sondern es geht darum, zu teilen, weil andere Menschen mit der gleichen Würde leben sollen wie ich.

Da passiert gerade Ermutigendes. Zum Beispiel gibt es Slogans wie: Schützt die, die gerade Schutz brauchen und tut alles, was dafür getan werden muss, dass alte Menschen leben können und nicht gefährdet sind, dass Menschen, die mit Behinderung oder Vorerkrankung in unserer Mitte leben, leben können. Das ist ein Perspektivwechsel, der wichtig ist und der mich gerade auch ermutigt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Information: Es reicht. Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Teilens. Autor: Burkhard Hose. 1. Auflage 2020. Erschienen im Echter-Verlag. ISBN: 978-3-429-05397-0


Burkhard Hose im Portrait / © Angela Krumpen (ak)
Burkhard Hose im Portrait / © Angela Krumpen ( ak )
Quelle:
DR
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