Malteser-Bundesarzt spricht sich für Impfungen von Kindern und Jugendlichen aus

"Ich würde es tun"

Auf der einen Seite will die Politik viele Menschen impfen lassen, auf der anderen Seite gibt es für Kinder und Jugendliche noch nicht genug Daten: Rainer Löb erklärt, was dieser Spagat bedeutet und warum er eine Impfpflicht nicht für sinnvoll hält.

Ein Kind wird geimpft / © Tatevosian Yana (shutterstock)
Ein Kind wird geimpft / © Tatevosian Yana ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es ist ein Konflikt zwischen der Politik, die so viele Menschen wie möglich impfen will, und der STIKO, der ständigen Impfkommission, die sagt, dass es noch keine Langzeitwerte gibt, was der Impfstoff mit Kindern und Jugendlichen macht. Ist es denn sinnvoll, dass man da jetzt versucht, vorzupreschen, bevor die STIKO uns genug Zahlenmaterial gibt?

Dr. Rainer Löb (Malteser-Bundesarzt und Chefarzt der Sankt Barbara Klinik in Hamm): Das ist tatsächlich nicht so ganz einfach zu bewerten. Ich versuche das mal aus meiner ärztlichen Sicht: Wenn ich Arzt bin, dann heißt das, dass ich bei all den Dingen, die wir tun, darauf setze, dass wir möglichst gute wissenschaftliche Erkenntnisse haben. Wir haben zur Impfung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Corona tatsächlich momentan noch nicht so viele Daten. Da sind etwas mehr als 1.100 Kinder in einer Zulassungsstudie gewesen. Viel mehr wissen wir darüber nicht.

Nichtsdestotrotz halte ich es auch für wichtig, dass wir möglichst viele Menschen geimpft haben, damit wir tatsächlich dieser Erkrankung nach und nach immer mehr Herr werden. Die Effekte sind momentan auch schon zu sehen. Ganz allgemein gesagt: Ich halte es für sehr wichtig, dass die STIKO tatsächlich unabhängig ist, eine wissenschaftliche Kommission, die das Ganze wissenschaftlich bewertet.

Dass man darüber hinaus politisch oder gesellschaftlich im Konsens Empfehlungen ausspricht, die nicht unbedingt wissenschaftlich basiert sind, aber andere Hintergründe haben können, ist denkbar, ist auch legitim, ist dann aber tatsächlich keine medizinisch basierte Entscheidung.

DOMRADIO.DE: Aber die Möglichkeit, sich unter Umständen auf eigenen Wunsch und auf eigene Gefahr impfen zu lassen, hatten die Jugendlichen ja auch schon vorher. Da ist ja eigentlich gar nichts Neues.

Löb: Das kann man so sagen. Die Empfehlung der STIKO sagt jetzt: Kindern mit höherem Risiko für einen schweren Verlauf, zum Beispiel bei Erkrankungen wie Diabetes, wird es empfohlen, weil dort ein schwerer Verlauf der Covid-19-Erkrankung zu befürchten ist und man das verhindern will. Das ist dann die medizinische Indikation. Also rein aus dieser Perspektive heraus kann die STIKO kaum etwas anderes sagen. Aber nichtsdestotrotz, es ist immer auch eine Frage der Bewertung des Umfeldes, der Bewertung des Einzelfalls, man muss das differenzierter betrachten.

Wenn Kinder in ihrem Umfeld Menschen haben, die älter sind, die krank sind, die zum Beispiel auch einen geschwächtes Immunsystem haben und daher vermutlich eine schwächere Reaktion auf die Covid-19- Impfung, dann kann es hoch sinnvoll sein, wenn die Kinder und Jugendlichen sagen, wir würden die gerne schützen und sich impfen zu lassen. Ganz allgemein halte ich den Impfstoff auch durchaus für einen sicheren Impfstoff. Die Kinderärzte übrigens insgesamt auch. Es ist lediglich so, dass die Datenbasis nicht da ist und daher kann die STIKO eigentlich kaum anders entscheiden.

DOMRADIO.DE: Die Kritiker sagen jetzt, die Kinder und Jugendlichen mussten so viel durchmachen in letzter Zeit, konnten nicht raus, konnten nicht in die Schule gehen und jetzt sollen sie auch nur noch geimpft werden, weil es unter den Erwachsenen nicht genug Leute gibt, um eine Herdenimmunität herzustellen. Ist da was dran an der Kritik?

Löb: Das ist wirklich unglaublich schwer abzuschätzen. Wenn wir eine Kristallkugel hätten, die uns sagt, wie die Zukunft läuft und wie viele Geimpfte wir wirklich brauchen, dann könnte ich da sehr viel Genaueres zu sagen. Also ich sage mal so: Viele Geimpfte sind sicher hoch sinnvoll. Ich würde Kinder übrigens wie allgemein niemals in eine Impfung zwingen wollen. Also eine Impfpflicht halte ich nicht für sinnvoll. Wenn die Politik das irgendwann entscheidet, dann muss man dem folgen. Aber generell müssen wir schon abschätzen: Wie ist das Risiko für den Einzelnen?

Die Kinder und Jugendlichen müssen sich wieder begegnen. Die Gesellschaft muss auch wieder aktiver miteinander sein, gar keine Frage. Ich bin auch der Meinung, dass Schule in Präsenz wichtig sind, weil Schule nicht nur Lernen beziehungsweise Wissensvermittlung bedeutet, sondern viel mehr soziales Gefüge, soziales Training darstellt. Dafür muss es jetzt nicht zwingend die flächendeckende Impfung bei Kindern und Jugendlichen sein, die meistens nach all dem, was wir heute wissen, nicht so schwere Verläufe haben.

Aber da ist es dann wichtig, das Umfeld zu schützen. Und das ist genau der Punkt, was viele und ich auch sagen: Die Eltern, die Großeltern, alle, die mit Kindern zu tun haben, die im aktiven Austausch sind, die sollten wirklich geimpft sein.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie Kinder zwischen 12 und 17 Jahren hätten, würden Sie sie impfen lassen oder nicht?

Löb: Wenn ich ein Risiko für einen schweren Verlauf sehe, würde ich es tun. Oder ein Risiko im gesellschaftlichen Austausch, auch wenn sie in der Schule sind. Aus meiner Sicht kann man sie impfen lassen und ich würde es dann auch tun.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Rainer Löb, Malteser-Bundesarzt / © privat (privat)
Rainer Löb, Malteser-Bundesarzt / © privat ( privat )
Quelle:
DR
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