Emanuela Orlandi wurde 1968 in eine traditionsreiche Familie im Vatikanstaat geboren. Ihr Vater arbeitete als Angestellter des Vatikans, und die Familie lebt bereits seit über einem Jahrhundert im kleinsten Staat der Welt. Die Orlandis dienten nach eigenen Angaben sieben Päpsten. Emanuela wuchs somit in unmittelbarer Nähe zum Herzen der katholischen Kirche auf, ein Umstand, der ihrem Fall internationale Aufmerksamkeit verschaffen sollte.
Am 22. Juni 1983 verschwand die damals 15-Jährige spurlos in Rom, nachdem sie wie gewöhnlich den Unterricht an ihrer Musikschule besucht hatte. Seitdem ranken sich zahllose Spekulationen um ihr mysteriöses Verschwinden. Trotz jahrzehntelanger Ermittlungen und vieler Hinweise wurde bis heute weder ihre Leiche gefunden noch das Schicksal der Vatikanbürgerin eindeutig geklärt.
Der Fall Emanuela Orlandi ist einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Italiens. Verschiedene Theorien reichen von einer Entführung durch Geheimdienste über einen Erpressungsversuch im Zusammenhang mit dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. bis hin zu Verstrickungen mit der römischen Mafia und mutmaßlicher Vertuschung sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kurie. Auch angebliche Verbindungen zum Fall Mehmet Ali Ağca, dem Attentäter des Papstes, wurden ins Spiel gebracht.
Immer wieder führten Hinweise zu erfolglosen Grabschändungen, wie etwa auf dem Campo Santo Teutonico in Rom oder zur Engelsburg. In jüngerer Zeit trat ein Ex-Carabiniere an die Öffentlichkeit und behauptete, Emanuela sei unter der Engelsburg begraben – auch dieser Hinweis blieb ohne Ergebnis.
Besonders ihr Bruder Pietro Orlandi kämpft seit vier Jahrzehnten unermüdlich für Aufklärung. Unterstützt wird er dabei von der Anwältin Laura Sgrò. Beide sind überzeugt, dass der Vatikan mehr weiß, als bisher öffentlich gemacht wurde. Die Aussagen mehrerer Päpste – besonders eine Äußerung von Papst Franziskus, Emanuela sei "im Himmel" – führten zu erneuten Spekulationen über einen möglichen Kenntnisstand innerhalb der Kirche.
Erst 2023, vierzig Jahre nach dem Verschwinden, leitete der Vatikan unter der Leitung von Staatsanwalt Alessandro Diddi offiziell neue Ermittlungen ein. Auch die römische Staatsanwaltschaft nahm die Untersuchungen wieder auf. Papst Franziskus sprach sich öffentlich für "absolute Transparenz" und vollständige Aufklärung aus.
Emanuelas Mutter, mittlerweile 93 Jahre alt, lebt weiterhin im Vatikan. Sie und ihre Familie warten seit Jahrzehnten auf Antworten. Die Netflix-Dokumentation "Vatican Girl" (2022) hat den Fall erneut international in den Fokus gerückt. Ob jemals Gewissheit über das Schicksal der jungen Vatikanbürgerin herrschen wird, bleibt weiterhin offen. Doch Pietro Orlandi betont immer wieder: "Wir werden niemals aufhören, die Wahrheit einzufordern."