Wie die biblischen Visionen vom Tierfrieden gemeint sind

Können Tiere ein Vorbild sein?

"Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind", so hieß es in der Lesung am 2. Adventssonntag. Wie der Prophet Jesaja diese Friedensvisionen gemeint hat, erklärt der Theologe Rainer Hagencord.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Ein Direwolf / © Sunil prajapati (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wir Menschen bekommen das gerade ziemlich schlecht hin mit dem Frieden. Wie sieht es diesbezüglich im Tierreich aus? Beim Propheten Jesaja in der Bibel gibt es die tolle Vision vom Wolf, der beim Lämmchen liegt, und von Kalb und Löwe, die zusammen grasen. Was meint denn Jesaja damit? Sollen uns die Tiere Vorbild sein?

Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Die Bibel ist voll von diesen Visionen oder auch Utopien. So jemand wie Jesaja, aber auch die Autoren und Autorinnen der anderen Visionen, sind nicht dumm, sondern diese Stellen sind ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass wir es hier mit einer Theologie mit dem Gesicht zum Tier zu tun haben. 

Spätestens in der Neuzeit haben wir eher eine Theologie mit dem Rücken zum Tier. Das heißt, wenn wir heute über Frieden und Krieg nachdenken, dann haben wir vor allem und zuallererst die Menschen im Blick und haben den Blick auf die Tiere und damit verbunden auf unsere natürliche Mitwelt fast gar nicht im Blick. Das haben die Autoren und Autorinnen der Bibel sehr wohl. Dann kommen diese visionären, utopischen Bilder sehr schnell ins Spiel. 

Wenn ich an dieser Stelle noch einmal erinnern darf: Im Garten Eden leben die Tiere auch im Frieden und der Mensch soll vegetarisch leben. Auf der Arche Noah sitzen sie auch alle in einem Boot, und so weiter. 

Also, wir können diese Vision durchaus in einen Kontext stellen, der uns heute sehr zu denken geben muss. Denn spätestens in "Laudato si", der Enzyklika des Papstes, wurde deutlich, dass ökologische und soziale Katastrophen immer zusammenhängen. 

Schafe und Lämmer auf einem Deich in Ostfriesland / © Sina Schuldt (dpa)
Schafe und Lämmer auf einem Deich in Ostfriesland / © Sina Schuldt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn es denn so wäre, dass der Wolf lieber Gras statt Schafe fräße, dann wäre es ja einfach. Aber so ist es ja nicht. Wobei wir Menschen ja auch den anderen Menschen in der Regel nicht fressen, sondern überfallen und zerbomben – vielleicht aus Machthunger. Gibt es da eine Parallele? 

Rainer Hagencord

"Wir haben die Wahl. Wollen wir so einkaufen und leben, dass weder die Armen, noch die Tiere leiden?"

Hagencord: Dass diese Visionen uns erst einmal irreal vorkommen, ist ja klar. Aber mir wird immer deutlicher, was der Unterschied zwischen Wolf, Panther und Mensch ist: Wolf und Panther haben keine Wahl, sie werden auch nie schuldig. 

Aber wir haben die Wahl. Und von daher kann der Blick auf das Tierreich und auf die Beutegreifer sehr hilfreich sein, damit wir als Menschen verstehen: Der Wolf hat keine Wahl, der Panther hat keine Wahl, aber wir haben die Wahl. Wir wollen anders sein und wir wollen in unserer Weise, in unserer Lebendigkeit, Verantwortung übernehmen.

Wir befinden uns aktuell mitten im Advent, Weihnachten steht vor der Tür. Wir haben doch die Wahl, wenn wir morgen einkaufen gehen oder die Menüpläne über das Fest planen: Wollen wir so einkaufen und leben, dass weder die Armen noch die Tiere leiden, sondern dass wir den Frieden, den wir feiern, auch mitbedenken bei dem, was wir einkaufen und essen? 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

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Das Wort von Karl Kraus "Übersetzen heißt Üb' Ersetzen!" trifft sehr genau die Herausforderung der Aufgabe, ein Werk von einer Sprache in eine andere zu "transportieren". Das gilt auch im Fall der Heiligen Schrift, die ja Gottes Wort in Menschenwort ist und deshalb den Gesetzmäßigkeiten menschlicher Sprache folgt wie jedes andere Buch auch.

Die Bibel / © NYU Studio (shutterstock)
Quelle:
DR

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