Bischof Overbeck sieht neues Bewusstsein für Verteidigungspolitik

"Wir sind nicht schutzlos"

Deutschland befindet sich nicht mehr im Frieden. Diese Aussage hat für Aufsehen gesorgt. Das bringt Konsequenzen auch für die Militärseelsorge mit sich, sieht der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck.

Autor/in:
Johannes Schröer
Soldaten werden beim Luftwaffenausbildungsbataillon Germersheim ausgebildet / © Bernd Weißbrod (dpa)
Soldaten werden beim Luftwaffenausbildungsbataillon Germersheim ausgebildet / © Bernd Weißbrod ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Hat Jens Spahn, der Vorsitzende der CDU im Bundestag, recht, wenn er fordert, dass wir uns das bewusst machen müssen?

Bischof Franz-Josef Overbeck / © Nicolas Ottersbach (DR)
Bischof Franz-Josef Overbeck / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen und katholischer Militärbischof): Wir wissen schon länger, dass wir nicht in friedvollen Zeiten leben. Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat und es die vielen Konsequenzen gibt, ist uns auch klar, dass wir uns in einer Grau-Zone befinden. Und genau die muss jetzt bewältigt werden. Wir müssen jetzt einerseits einen Friedensdienst leisten und anderseits einen Verteidigungsauftrag erfüllen.

DOMRADIO.DE: Außenminister Johann Wadephul von der CDU hat eine sofortige Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert. Wie könnte diese gelingen?

Overbeck: Ich habe immer deutlich gesagt, dass man Schritt für Schritt vorgehen muss. Damit wehrpflichtige Männer und Frauen eingezogen werden können, muss in der Infrastruktur noch viel getan werden. Man sollte die Wehrpflicht auch mit anderen guten Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten verbinden. Damit die jungen Menschen auch einen Mehrwert haben, wenn sie in so einen Dienst investieren. 

Ich möchte aber auch an die Sozialpflichtigkeit anderer Dienste erinnern. Im Gesundheits-, Erziehungs- und Schulsektor brauchen wir wesentlich mehr Hilfe als bisher.

Franz-Josef Overbeck

"Ich stelle fest, dass wir sehr gefragt sind, sobald es um lebensentscheidende Fragen geht."

DOMRADIO.DE: Wenn man auf die jungen Männer schaut, dann gibt es viele, die sagen: "Ich habe Angst, ich will das nicht." Können sie das verstehen?

Bundeswehrsoldaten in Litauen: Laut Experten liegt hier eine der Achillesfersen der NATO. Russland könnte nach der Ukraine als erstes hier angreifen, um eine Landverbindung zu seiner Exklave in Kaliningrad herzustellen. / © Michael Kappeler (dpa)
Bundeswehrsoldaten in Litauen: Laut Experten liegt hier eine der Achillesfersen der NATO. Russland könnte nach der Ukraine als erstes hier angreifen, um eine Landverbindung zu seiner Exklave in Kaliningrad herzustellen. / © Michael Kappeler ( dpa )

Overbeck: Das ist sehr verständlich. Von diesen Ängsten sind aber nicht nur die jungen Menschen, sondern auch ihre Eltern, Verwandten und Freunde betroffen. Eben die Menschen, die mit den jungen Leuten leben. Von denen bekomme ich mindestens genauso viele Ängste zu hören, wie von den möglichen Wehrpflichtigen.

Auf der anderen Seite sind wir in einer so hoch komplexen Lage, in der sich diese schwierigen Fragen wieder neu stellen.

DOMRADIO.DE: Sind wir zurzeit schutzlos?

Overbeck: Wir sind nicht schutzlos. Aber das Ganze muss weiterentwickelt werden und das wissen wir alle. Die Aufgaben, die jetzt politisch und militärisch auf Europa zukommen, müssen neu geordnet werden. Daran erinnern seit Zeiten auch die amerikanischen Präsidenten. 

DOMRADIO.DE: Wie kann man der Gesellschaft bewusst machen, dass es eine Zeitenwende gibt? Viele igeln sich ja eher in ihr Schneckenhaus ein.

Overbeck: Ich habe schon den Eindruck, dass es sehr viele Menschen gibt - zumindest reden so viele mit mir - die wissen, dass wir eine Zeitenwende haben. Ein Wort, dass der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz, zurecht sehr geprägt hat und uns auch in die Pflicht nimmt. Von daher halte ich viel von einem Staatsbewusstsein, das weiß, dass Solidarität kostet. Und das erleben wir jetzt gerade. Ein Bewusstsein das wir von den Soldatinnen und Soldaten lernen können.

Franz-Josef Overbeck

"Ich halte ich viel von einem Staatsbewusstsein, das weiß, dass Solidarität kostet."

DOMRADIO.DE: Gerade kommen alle Seelsorgerinnnen und Seelsorger der Katholischen Militärseelsorge in Berlin zusammen. Wie erleben Sie denn die Stimmung unter den Militärseelsorgern auf der Gesamtkonferenz in Berlin? 

Ein Militärseelsorger besucht ukrainische Stellungen nahe der Frontlinie bei Charkiw (dpa)
Ein Militärseelsorger besucht ukrainische Stellungen nahe der Frontlinie bei Charkiw / ( dpa )

Overbeck: Wir begleiten die Bundeswehr mit all den Möglichkeiten, die wir haben. Wir sind Seelsorger für die Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien und den vielen Menschen, mit denen sie leben. Wir entwickeln aber auch ethische Perspektiven weiter. Dabei achten wir auf die neuen Herausforderungen, die sich die Bundeswehr stellt. Dazu gehören Aggressionen anderer Länder in der digitalen Welt.

DOMRADIO.DE: Wie notwendig ist der geistliche Beistand denn aktuell in der Bundeswehr?

Overbeck: Wir haben eine hohe Resonanz. Ich stelle fest, dass wir sehr gefragt sind, sobald es um lebensentscheidende Fragen geht - auf welcher Ebene auch immer. Das gilt für die katholische, evangelische und natürlich für die jüdische Militärseelsorge.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Militärseelsorge in Deutschland

Nach dem Soldatengesetz hat jeder Soldat und jede Soldatin Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung.

Bislang leisten in der Bundeswehr die evangelische und die katholische Kirche sowie die jüdische Gemeinschaft eine vertraglich vereinbarte Militärseelsorge für die Soldaten und deren Angehörige.

Die Bundeswehr hat ein Nachwuchsproblem / © Monika Skolimowska (dpa)
Die Bundeswehr hat ein Nachwuchsproblem / © Monika Skolimowska ( dpa )
Quelle:
DR

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