DOMRADIO.DE: Begegnen Ihnen Pilgergruppen mit verschiedenen Generationen auf den Wegen?
Beate Steger (Autorin und Pilgerexpertin): Als ich 2007 auf meinem ersten Pilgerweg auf dem Camino Francés zu Fuß unterwegs war, habe ich eine Doppelkombi aus Mutter und Tochter getroffen. Eine Zeit lang war ich gemeinsam mit ihnen unterwegs. Wir haben uns in den Unterkünften getroffen, sind aber nicht gemeinsam gelaufen.
Die eine Mutter und die eine Tochter waren aus Bayern. Die Mutter hatte dort mit ihrem Mann einen Bauernhof und hat es sich richtig rausschneiden müssen, vier Wochen auf den Jakobsweg zu gehen. Die Tochter half ihr bei der Sprache, weil die Mutter nur Bayerisch konnte. Sie konnte weder Englisch noch Spanisch. Deswegen war Tochter Elisabeth dabei.
Die beiden haben auf dem Weg ausgerechnet Donna und Nicole aus den USA getroffen. Die Mutter Donna wollte ihren 60. Geburtstag auf dem Jakobsweg verbringen und hat ihre Tochter Nicole dabei gehabt. Das hat die beiden Duos verbunden. Das war schön zu sehen. Wenn man das Gleiche auf einer Pilgerreise macht, entsteht eine Verbundenheit.
Diese beiden Mutter-Tochter-Gespanne haben sich hervorragend verstanden, obwohl sie sich sprachlich nicht miteinander auseinandersetzen konnten. Das war überhaupt kein Problem.
DOMRADIO.DE: Die unterschiedlichen physischen Zustände könnten jedoch ein Problem werden, oder?
Steger: Ja, das stimmt. Ich hatte auf dem portugiesischen Jakobsweg eine Begegnung mit einer Großmutter und ihren beiden Enkelkindern. Man würde jetzt meinen, die Enkel waren fit und die Großmutter hechelte hinterher, es war aber genau umgekehrt. Die Großmutter war eine sehr erfahrene Pilgerin. Die Kinder waren auch noch nicht so alt. Die waren acht und neun.
In dem Fall hat es mit Rücksichtnahme funktioniert. Die Großmutter hatte extra den portugiesischen Jakobsweg ausgesucht, weil sie wusste, dass dort viele Busse fahren und sie konnten Etappen abkürzen.
Ansonsten muss man sagen, dass man eine Gruppe auch mal aufbrechen muss. Wenn sich einer oder eine überaus verausgabt und immer zu schnell laufen muss, ist das nicht gut. Es macht nicht nur schlechte Laune, sondern irgendwann kann man auch nicht mehr.
Ich habe schon Gruppen auf dem Olavsweg in Norwegen geführt. Es waren über 20 Leute und der physische Unterschied war zum Teil riesig. Deswegen haben wir Kleingruppen gebildet und Punkte ausgemacht, an denen wir uns immer wieder getroffen haben. Dann müssen halt die Schnellen ein bisschen warten. Denn es sollte schon so sein, dass jeder sein Tempo geht.
Ich habe das mal in den Alpen bei einer Bergtour von einer Bergführerin gehört. Die hat gesagt, dass man gerade beim Aufstieg sein eigenes Tempo gehen muss, weil sonst die Batterie irgendwann leer ist.
DOMRADIO.DE: Man hat unglaublich viel Zeit zum Reden, wenn man gemeinsam unterwegs ist. Da kann man ganze Familiengeschichten aufarbeiten. Ist das eine Chance, wenn man zusammen unterwegs ist?
Steger: Ich glaube, die beiden Enkelkinder werden das ihren Lebtag nicht vergessen, dass sie mit ihrer Großmutter unterwegs waren. Es stellt eine ganz andere Bindung her, wenn man Schwierigkeiten gemeinsam bewältigt. Die saßen übrigens, als ich sie gesehen habe, gerade in der Bushaltestelle. Es war ein wahnsinnig heißer Tag. Die beiden Enkel waren so stolz auf ihre Großmutter, dass sie so fit ist und wusste, wo es langgeht.
Ich habe auch von einem Mann gehört, der mit seinem Sohn gepilgert ist. Der Sohn war in der Pubertät und nicht gerade im leichtesten Alter. Zusammen sind sie in Deutschland immer einige Tage gepilgert.
Das war nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Die sind durch diese zerstörten Gebiete gekommen, wo die Menschen alles verloren haben. Das hat die beiden zusammengeschweißt, auch zu sehen, was sie miteinander haben und wie gut es ihnen geht. Der Sohn ist zwei Jahre mitgepilgert und dann nicht mehr. Das war für den Vater schon eine Umstellung, wieder alleine unterwegs zu sein, nachdem er so eine schöne Zeit mit seinem Sohn hatte.
DOMRADIO.DE: Haben Sie es selber schon probiert, mit Vater oder Mutter zu pilgern?
Steger: Mit meinem Vater wäre ich sehr gerne gepilgert. Der wäre dafür auch offen gewesen. Der ist aber leider mit einer Behinderung am Fuß auf die Welt gekommen. Der hat unter Schmerzen trotzdem Tennis spielen können, aber so eine weite Strecke hätte er nicht gehen können.
Wir sind am Ende seines Lebens sozusagen zusammen gepilgert. Da habe ich ihn begleitet und das war auch fast wie Pilgern.
Das Interview führte Heike Sicconi.