Fünf Dunum - 1,2 Hektar - Kirchenland südlich der Jerusalemer Altstadt erregen seit Wochenbeginn die Gemüter der Kirchen und all jener, die sich für die Rechte von Palästinensern in Jerusalem einsetzen. Am Dienstag übernahmen Mitglieder der rechtsgerichteten Siedlerorganisation Elad das Grundstück im palästinensischen Stadtviertel Silwan.
Dieser jüngste Akt im Kampf der Kirchen gegen die Landübernahme durch jüdische Siedler dürfe nicht isoliert gesehen werden, sondern reiche "in seiner Bedeutung über seine Rolle beim Versuch der Siedler in der Übernahme Silwans hinaus", sagt der auf Landstreitigkeiten in Ostjerusalem spezialisierte Rechtsanwalt und Aktivist Daniel Seidemann im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Auch das Parlament steht auf Kirchengrund
Die griechisch-orthodoxe Kirche gilt als zweit- oder drittgrößter Landbesitzer in Israel gleich nach dem Staat. Weite Teile der besseren Stadtviertel einschließlich des Parlamentsgebäudes stehen auf griechischem Kirchenland. Gelegentliche Landveräußerungen innerhalb des israelischen Kernlandes, um den klammen Bargeldfluss der an Grundbesitz reichen Kirche zu stärken, sorgten in der Vergangenheit für wenig Aufsehen.
Anders sieht es jenseits der sogenannten Grünen Linie aus, die von den Palästinensern als Grenze ihres künftigen Staates zu Israel angesehen wird. Seit 2004 etwa beschäftigen das Heilige Land Immobiliengeschäfte, die Vertreter der griechisch-orthodoxen Kirche mit der radikalen Siedlergruppe Ateret Cohanim tätigte. Transaktionen, die das Patriarchat seither - und bisher erfolglos - als korrupt und betrügerisch anfocht.
Bisher seien vier solcher Transaktionen bekannt, sagt Seidemann. Er geht davon aus, dass noch weitere auftauchen werden. Der 71-Jährige ist Gründer der Organisation Terrestrial Jerusalem (Irdisches Jerusalem), die sich in der Jerusalem-Frage für einen Einklang mit einer Zwei-Staaten-Lösung einsetzt.
Grundstück reiht sich ein mehrere Projekte ein
Das fragliche Grundstück südlich der Altstadt ist der jüngste Fall eines solchen, zuvor unter dem Radar der Öffentlichkeit gebliebenen Deals. Drei Parzellen im Block 30125 unmittelbar neben dem 2.700 Jahre alten Schiloach-Teich, der mehrfach in der Bibel erwähnt wird und für Juden und Christen Bedeutung hat. Hier sollen jüdische Beter vor dem Aufstieg zum Tempel ein rituelles Bad genommen haben; hier machte Jesus laut biblischer Überlieferung einen Blinden sehend. Und: Hier liegt mit der sogenannten Davidstadt eine der politisch umstrittensten archäologischen Ausgrabungsstätten.
Die strategische Lage mache die jüngsten Ereignisse, so meint Seidemann, zu nicht weniger als einem Teil einer "nie gesehenen radikalen Transformation des Charakters Jerusalems". Die Siedler wirkten als Stellvertreter einer entsprechenden staatlichen Politik. Das Grundstück in Silwan steht für den Aktivisten in einer Reihe mit israelischen Projekten im Altstadtbecken Jerusalems: eine Seilbahn von Westjerusalem sowie eine Hängebrücke vom palästinensischen Viertel Abu Tor über den Zionsberg zur Altstadt; die Erweiterung eines Nationalparks entlang des Ölbergs auf Kirchenland. Auch großangelegte Hausabrisse oder Zwangsräumungen palästinensischer Familien aus dem Stadtteil Scheich Dscharrah gehören für Seidemann zu einem größeren Bild.
Ein Beweis dafür, dass in Sachen jüdischer Umzingelung der Altstadt Siedler und Regierung "ein und dasselbe" seien, ist für Seidemann die Beteiligung der israelischen Antikenbehörde an den jüngsten Ereignissen im palästinensischen Viertel Silwan. Quasi zeitgleich mit der Übernahme des Grundstücks kündigte die Behörde an, eben jenen biblischen Teich vollständig auszugraben und zum Teil einer touristischen Route durch die sogenannte Davidstadt bis zur Klagemauer zu machen.
Seidemann: Marginalisierung von Christen und Muslimen
Der Zeitpunkt sei aus israelischer Perspektive brillant gewählt, meint Seidemann. "Zu Weihnachten und im August" könnten Siedler und Regierung zu Recht davon ausgehen, dass Diplomaten und Entscheidungsträger im Urlaub seien. Nicht selten fielen deshalb die skandalösesten Initiativen in diese Zeit.
Sollte das Siedlungsring-Vorhaben gelingen, würde "das historische, spirituelle, religiöse und kulturelle Herz Jerusalems" in eine "ausschließlich israelische Herrschaft überführt" und "von einem extremen biblischen Narrativ geformt", meint Seidemann. Das palästinensische Ostjerusalem, so mahnt er, würde zersplittert, die Palästinenser "ihres Status als Nation beraubt" und die "christliche und muslimische Präsenz marginalisiert".
Von Hass gegen Christen als Motiv zu sprechen, hält der Rechtsanwalt aber für verfehlt. Bisher gehe es darum, den öffentlichen Raum im Becken der Altstadt zu gestalten. Wenn dabei, wie im Fall des Nationalparks, christliches Eigentum enteignet werden müsse, werde das geschehen - aber "als Kollateralschaden, nicht weil Kirchen das Ziel sind".
Dass das Projekt in Gänze noch zu stoppen sei, bezweifelt der Aktivist. Stattdessen müsse die neue Regierung an gezielten Punkten herausgefordert werden. Er schlägt eine Kampagne "zum Erhalt und Schutz der historischen, religiösen und kulturellen Integrität Jerusalems" vor. Damit gelte es, "religiöse Pyromanen" zurückzudrängen.