ddp: Herr Roth, was erwarten Sie sich von der Sicherheitskonferenz. Was sind die Hauptthemen, über die Sie dort diskutieren wollen?
Roth: Im vergangenen Jahr war Human Rights Watch die erste Nichtregierungsorganisation die jemals zu der Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen wurde. Dieses Jahr wurde ich gebeten, zu den Tagungsteilnehmern zu sprechen - wiederum eine Premiere. Ich werde auf dem Podium dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gegenübersitzen. Ich werde die Gelegenheit nutzen, die Kampagne von Human Rights Watch zur Ächtung von Streubomben voranzubringen. Dieses Waffensystem verursacht heutzutage mehr zivile Kriegsopfer als alle anderen Waffen, mit Ausnahme von Gewehren. Außerdem will ich auf eine wirkungsvollere NATO-Präsenz in Afghanistan dringen. Die groben Fehler und die Ängstlichkeit der NATO haben dazu beigetragen, dass der Aufstand dort sich ausbreitet und damit viele Zivilisten in Gefahr bringt. Wir brauchen die Unterstützung Deutschlands für beide Bestrebungen.
ddp: Sollte Deutschland nach Ihrer Ansicht mehr Soldaten nach Afghanistan entsenden und sich auch aktiv an der NATO-Mission im Süden des Landes beteiligen, wie es die US-Regierung fordert? Das ginge ja über das geltende Mandat des Bundestages hinaus.
Roth: Wenn Afghanistan eine erneute, verheerende Machtübernahme durch die Taliban verhindern soll, braucht es die aktive Unterstützung von allen NATO-Mitgliedern. Dafür ist beides nötig - sowohl mehr Truppen, als auch eine Beseitigung dieser schädlichen 'Vorbehalte', die Truppenentsendungen auf die sichersten Teile des Landes beschränken. Dadurch wird verhindert, dass die Soldaten dahin gehen, wo sie am meisten gebraucht werden. Als eines der größten und mächtigsten NATO-Mitglieder, das eine Führungsrolle in der NATO haben sollte, müsste Deutschland in dieser Hinsicht seinen Teil leisten.
ddp: Welche weiteren Forderungen haben sie an die deutsche Bundesregierung?
Roth: Deutschland war bisher viel zu zurückhaltend bei der Durchsetzung von Menschenrechtsbelangen, ganz besonders gegenüber den Regierungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. So hatte sich Deutschland an die Spitze derer gestellt, die gegen Sanktionen gegen Usbekistan waren, wo im Mai 2005 in Andijan Hunderte Demonstranten umgebracht worden waren. Deutschland blieb auch zu leise, was die wachsende Konzentration der Macht und autoritäre Tendenzen in Russland betrifft.
Es gab in Deutschland eine Debatte darüber, ob es hilfreich ist, bei der Einforderung der Menschenrechte kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Nach meiner Ansicht wäre Zurückhaltung hier grundfalsch. Damit würde eines der machtvollsten Instrumente zur Durchsetzung der Menschenrechte aufgegeben: die Möglichkeit jemanden moralisch an den Pranger zu stellen oder das Fehlverhalten einer Regierung zu brandmarken. Ich würde Deutschland gerne an der Spitze derer sehen, die öffentlich und energisch für Menschenrechte eintreten.
ddp: Nach Angaben des Tagungsleiters Horst Teltschik ist Human Rights Watch die einzige Nichtregierungsorganisation, die er zu der Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen hat. Sind Sie womöglich zu freundlich zu den Herrschenden?
Roth: Herr Teltschik könnte diese Frage vielleicht besser beantworten. Aber ich vermute, dass Human Rights Watch eingeladen wurde, weil wir die führende Organisation sind bei der Untersuchung, wie sich die gegnerischen Parteien in Kriegsgebieten verhalten und ob sie sich an die Genfer Konventionen halten, wonach Zivilisten verschont werden müssen. Wir haben solche Untersuchungen in Kosovo, Afghanistan, Irak aber auch in Israel und im Libanon durchgeführt. Wir liefern Informationen und Analysen, die niemand anderer hat. Und die werden von den westlichen Militärs benötigt, wenn sie ihren Verpflichtungen aus der Genfer Konvention gerecht werden wollen.
ddp: Manche Kritiker nennen die Münchner Konferenz ein Treffen von Kriegsverbrechern, die nur zusammen kommen, um neue Konflikte zu planen. Was halten Sie von diesem Vorwurf?
Roth: Die Konferenz ist ein Treffen von führenden Militärs. Das ist schon ganz schön happig, sie Kriegsverbrecher zu nennen. So ein Vorwurf sollte nicht leichtfertig gemacht werden, sondern nur mit klaren Beweisen. Von Human Rights Watch wird anerkannt, dass nicht alle Kriege schlecht sind. So hätte zum Beispiel eine schnelle militärische Intervention in Ruanda 800 000 Menschenleben retten und den Völkermord dort stoppen können. Und auch ein effektiverer Militäreinsatz in Bosnien hätte das Töten schneller beenden können.
Offensichtlich werden andere Kriege aber aus weniger lobenswerten Gründen geführt, wie zum Beispiel im Irak. Die Hauptaufgabe von Human Rights Watch ist es, die Kriegsführung aller großen Konflikte zu beobachten, um die Kriegsparteien zu Vorsichtsmaßnahmen für die betroffenen Zivilisten zu drängen. Wir haben sehr Verstöße wie im sogenannten Krieg gegen den Terror von US-Präsident Bush kritisiert - wie Folter, das 'Verschwinden' von Menschen und die Existenz des Gefangenenlagers Guantanamo.
Wir können aber keinen effektiven Druck auf Militärs ausüben, dass sie zivile Opfer vermeiden sollen, wenn wir nicht mit den militärischen Führern reden. Es wäre daher doch unsinnig, wenn Human Rights Watch die Gelegenheit ausschlagen würde, unsere Bedenken den Verantwortlichen auf höchster militärischer Ebene vorzutragen.
"Human Rights Watch"-Chef Kenneth Roth kritisiert deutsches Engagement als unzureichend
Mehr Soldaten für Afghanistan
An der Münchner Sicherheitskonferenz vom 8. bis 10. Februar nimmt neben zahlreichen Militärexperten und Politikern auch die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRW) mit ihrem Direktor Kenneth Roth teil. Erstmals in der Geschichte der Veranstaltung ist mit ihm ein Vertreter einer Nichtregierungsorganisation offiziell als Diskussionsteilnehmer vorgesehen. Über die Lage in Afghanistan sprach ddp-Korrespondent Ulrich Meyer mit Kenneth Roth.
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