Europa soll sich in Afghanistan verstärkt engagieren

Risiken solidarisch tragen

In der Diskussion um eine mögliche Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan warnen Experten vor einem Ansehensverlust für Deutschland und die NATO. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, sagte am Dienstag, er fürchte einen Rückgang des deutschen Einflusses in der NATO, wenn sich die Bundesrepublik nicht im Süden Afghanistans engagiere. Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, forderte die NATO-Partner auf, die nötigen Ressourcen für einen Erfolg in Afghanistan zur Verfügung zu stellen.

 (DR)

US-Verteidigungsminister Robert Gates hatte die Bundesregierung in einem Brief aufgefordert, auch Soldaten für Kampfeinsätze im Süden des Landes bereitzuhalten. Bundesregierung und Opposition lehnen dies ab. Laut Bundestagsmandat sind deutsche Soldaten vor allem im eher friedlichen Nordafghanistan eingesetzt.

Nato: Risiken solidarisch tragen
Klaus Naumann, Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, forderte die Entsendung deutscher Truppen in den Süden Afghanistans. In der NATO gebe es keine Sonderrollen. "Lasten, Risiken und Verantwortung werden solidarisch und gemeinsam getragen", betonte er. "Scheitert die NATO im Süden, dann ist die relative Ruhe im Norden beim Teufel!" Die Politik habe nicht ausreichend klargemacht, dass die Bundeswehr in Afghanistan zur Not auch kämpfen müsse. "Es wird verniedlichend von humanitärem Einsatz gesprochen", kritisierte er. "Das Wesen von Streitkräften ist die Anwendung von Gewalt zum Schutz der Bürger und zur Durchsetzung der von Parlament und Regierung gesetzten politischen Ziele."

Horst Teltschik, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, sagte, er befürchte wegen des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr Streit bei der Sicherheitskonferenz. "Die NATO-Partner müssen sich fragen, ob sie sich nicht auf ein Abenteuer eingelassen haben, das am Ende das Bündnis in seinen Grundfesten erschüttert", sagte er. Ein Scheitern des Afghanistaneinsatzes sei möglich. Die NATO-Partner müssten entscheiden, ob sie Mut und Kraft haben, lange genug in dem Land zu bleiben. "Es ist völlig klar, dass das internationale Engagement nicht ausreichend ist also auch das deutsche nicht", kritisierte Teltschik. "Wenn sich herausstellt, dass der Schlüssel zur Befriedung Afghanistans im Süden liegt, muss auch die Bundeswehr dort einen größeren Beitrag leisten."

Debatte um deutschen Afghanistaneinsatz nötig
SPD-Verteidigungsexperte Jörn Thießen forderte eine offene Diskussion über den Bundeswehreinsatz am Hindukusch. Deutschland dürfe die Debatte nicht nur in der Abwehr amerikanischer, kanadischer oder von NATO-Forderungen führen. Die Bundesrepublik sei immer noch offizieller Bewerber um einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat. "Da geht manches nicht zusammen", kritisierte Thießen.

Der Beauftragte der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Beziehungen, Karsten Voigt warnte, unter einem neuen US-Präsidenten, der möglicherweise von den Demokraten gestellt werde, könnte sich der Druck auf Deutschland sogar noch verstärken. "Die Amerikaner wollen, dass Europa sich militärisch, aber auch beim Aufbau der Polizei sowie im zivilen Bereich stärker engagiert", sagte Voigt. Er sage seinen amerikanischen Gesprächspartnern allerdings immer, dass es im Bundestag keine Mehrheit für einen Einsatz deutscher Soldaten im Süden geben werde.

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen forderte die Bundesregierung auf, dem Drängen der USA und der NATO nicht nachzugeben. "Für eine Erhöhung der Truppenzahl gibt es keine Mehrheit im Bundestag", sagte Annen. "In Deutschland entscheidet immer noch das Parlament über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und wir haben keinen Brief von Herrn Gates bekommen."

Rupert Neudeck:
Afghanistan braucht Aufbauhelfer
Der Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme, Rupert Neudeck, mahnte einen Strategiewechsel der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan an. Statt auf mehr Militär zu setzen, müssten der zivile und der wirtschaftliche Aufbau des Landes stark beschleunigt werden. "Die Taliban stehen nicht kurz davor, die Macht zu übernehmen", sagte Neudeck. Bei einer ehrlichen Bilanz des internationalen Einsatzes werde man feststellen, dass die zivilen Aufbaubemühungen der vergangenen sechs Jahre nur wenig Erfolg gehabt hätten. Afghanistan habe heute eine unfähige Regierung, zu wenige Polizisten, keine funktionstüchtige Armee und auch nicht die Infrastruktur, die für eine wirtschaftliche Entwicklung nötig sei. "Ich bin überzeugt, dass man das noch wenden kann, nur nicht mit mehr Militär", sagte Neudeck.