Zur neuen NSU-Gedenkstätte in Zwickau

Zehn Bäume gegen das Vergessen

In Zwickau wurde eine NSU-Gedenkstätte eingeweiht. Für den Direktor der Katholischen Akademie in Dresden-Meißen ist es beachtenswert, dass auch Schüler Blumen niedergelegt haben. Die Erinnerungskultur müsse nicht von oben kommen.

Neuer Gedenkort für Opfer des NSU in Zwickau / © Peter Endig (dpa)
Neuer Gedenkort für Opfer des NSU in Zwickau / © Peter Endig ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die zehn gepflanzten Bäume sollen an die Mordopfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) erinnern. Jeder Baum bekommt eine persönliche Gedenkplatte durch die Spender. Für einen Baum hat der Bischof Ihres Bistums, Bischof Heinrich Timmerevers, die Patenschaft übernommen. Ist das ein bedeutendes Zeichen seitens der Kirche? Was meinen Sie?

Dr. Thomas Arnold (Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen): Ich denke, das ist ein Zeichen, dass die ganze Kirche sich gegen Rechtsextremismus abgrenzt. Das ist kein Problem von Zwickau oder von Sachsen. Es ist eine Aufgabe für unsere Gesellschaft. Das klingt erst mal wie eine Platitüde. Aber das heißt es eben auch ganz konkret.

Am Freitag gab es einen Gottesdienst im katholischen Gymnasium in Zwickau. Im Chorraum waren zehn Stühle aufgebaut, auf jedem Stuhl lag eine Gedenkplatte. Da hätten auch Menschen sitzen können, die in unserer Gesellschaft leben, die zu unserer Gesellschaft gehören und für die wir Verantwortung getragen haben. Es ist außerordentlich schlimm, dass in Zwickau so eine Gruppe herangewachsen ist. Es ist außerordentlich schlimm, dass solche Gewalttaten verübt werden. Aber wir müssen ein deutliches Zeichen setzen. So etwas darf nicht noch einmal passieren. Und deswegen ist es gut und richtig, dass Bischof Timmerevers die Patenschaft übernommen und die zehn Gedenkplatten gesegnet hat. Aber man muss sich auch vor Augen führen: Das sind Steine. Wir müssen lernen, wie wir mit Menschen umgehen, wie wir miteinander umgehen. Dass Vorurteile nicht mehr zu Gewalt, nicht mehr zu Morden, führen.

DOMRADIO.DE: Ein großes Thema ist der Gedenkbaum für den vom NSU ermordeten Enver Simsek. Diese Eiche wurde erst Anfang September in Erinnerung an das erste NSU-Opfer gepflanzt und Anfang Oktober dann von Tätern abgesägt. Jetzt wurde ein neuer Baum aufgestellt. Die Kanzlerin hat an der Stelle des ersten Gedenkbaumes eine weiße Rose niedergelegt. Was könnte die Intention dafür sein, ein zum Gedenken aufgestellten Baum gleich wieder abzusägen?

Arnold: Das Datum, an dem der Baum abgesägt wurde, ist sehr schmerzlich. Es war der dritte Oktober, der Tag der deutschen Einheit. Wenn wir jetzt auf 30 Jahre Mauerfall zurückschauen und wissen, was uns mit dieser friedlichen Revolution für Freiheiten geschenkt worden sind, müssen wir uns ebenso vor Augen führen, dass wir eben auch als Gesellschaft Verantwortung tragen, dass solche Morde nicht mehr geschehen. Man kann jetzt lange über die Motive spekulieren. Das ist aber Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft. Ich denke, es ist ein wichtiges Engagement, dass Kirche auch dafür einsteht.

Nachdem der Baum abgesägt wurde, waren es Schüler des katholischen Gymnasiums, die gesagt haben: Das können wir nicht einfach so stehen lassen. Es waren nicht der Bischof, der Akademiedirektor oder irgendjemand, der in diesem Bistum Verantwortung trägt, sondern die Schüler sind in einer Gruppe zur Gedenkstätte gegangen, haben dort Blumen niedergelegt und  der Opfer gedacht und noch mal ganz klar gesagt, dass sie mit dieser Schandtat nicht einverstanden sind. Dass das von einem christlichen Gymnasium ausgeht, ist, glaube ich, keine Einzigartigkeit. Das kann auch von anderen ausgehen. Aber dass in Zwickau ein christliches Gymnasium ausstrahlen und Verantwortung übernehmen kann für diese Gesellschaft, das ist, glaube ich, ein deutliches Zeichen gewesen, auch nach dem dritten Oktober.

DOMRADIO.DE: Zusätzlich zum Geenkort gibt es ein provisorisches Dokumentationszentrum in der Zwickauer Innenstadt. Was bekommen Besucher dort zu sehen?

Arnold: Es gibt dort eine Aufklärung über die Opfer, die Taten, auch den Hergang, etwa darüber wie Ermittlungen manchmal auch fehlgelaufen sind. Wir hatten als Akademie im letzten Jahr eine Veranstaltung in Dresden dazu gemacht, die verdeutlichte, dass es nicht nur drei Täter waren, die in den letzten Monaten oder Jahren in der Öffentlichkeit standen, sondern scheinbar ein Netzwerk dahinter stand und dass wir sehr sensibel sein müssen, wo dieses Netzwerk auch heute noch tätig ist.

Es gibt ja immer noch Vermutungen darüber, dass Menschen immer noch in Aktion sind. Wir haben es im letzten Jahr gesehen in Chemnitz, wo ein anderes rechtsextremes Netzwerk ausgehoben wurde. Das macht deutlich: Wir haben Strukturen, nicht nur in Sachsen, denen wir uns sehr sensibel entgegen stellen müssen. Wir müssen Projekte entwickeln, die dafür sorgen,  dass Menschen nicht in diese Strukturen reinkommen, dass Menschen, die aus den Strukturen rauswollen, auch herauskommen. Und drittens, dass wir eine Gesellschaft haben, die diese Strukturen nicht toleriert oder sich gar daneben stellt, sondern die diese deutlich ablehnt, die ihre Stimme erhebt und im Ernstfall auch Zeichen setzt.

DOMRADIO.DE: Die Terrorgruppe rund um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hatte in Zwickau im Untergrund gelebt. Ihr wird unter anderem die Verantwortung für zehn Morde  an Menschen mit Migrationshintergrund und einer Polizistin gegeben. Wie stark sind die Auswirkungen dieser Morde bis heute?

Arnold: Ich erinnere mich noch an den Tag, als dieser Wohnwagen in Flammen aufgegangen ist und zwei der Täter sich umgebracht haben. Als dann Frau Zschäpe festgenommen wurde, ist auch ein Teil des Hauses abgebrannt, wo sie gewohnt haben. Die Stadt Zwickau hat sich danach entschieden, dieses Haus relativ schnell anzureißen, damit keine Erinnerungskultur für die Täter entsteht. Das war eine Entscheidung. Dazu kann man stehen, wie man will. Ich denke, das Bewusstsein für diese Taten, auch für diese Verantwortung, muss in der Stadtgesellschaft präsent sein. Ich halte es wirklich für beachtenswert, dass sich Schüler auf den Weg gemacht haben und zuletzt daran erinnert haben. Vielleicht ist Erinnerungskultur auch gerade die Herausforderung, dass sie nicht immer von Verantwortlichen, von einer Stadt initiiert wird, sondern von den Menschen, die bewegt sind, was Täter und Opfer dort erlebt und getan haben.

Ich habe gestern einen Kommentar gelesen, der mich bewegt hat: "Wir kennen die Namen der Täter. Wer kennt die Namen der Opfer?" Vielleicht müssen wir den Mut haben, als Gesellschaft die Perspektive zu ändern und die Familien der Opfer stärker in den Blick zu nehmen. Ich bin überzeugt, auch aus unserer christlichen Biografie heraus könnte das ein Auftrag sein für die Zukunft. Auch das Gymnasium in Zwickau könnte diesen Auftrag übernehmen - ein Ort für Opfer zu werden und diese Geschichten deutlicher zu erzählen als bisher.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, die Erinnerungskultur muss nicht von oben, von einer Institution kommen. Beteiligen Sie sich von der Katholischen Akademie aus am Erinnern und Gedenken der NSU-Opfer? Und was tun Sie dagegen, dass besonders im Osten von Deutschland die Populisten erstarken?

Arnold: Wir erleben im Moment in Zwickau zwei Pole. Auf der einen Seite haben wir das Gedenken der Opfer. Auf der anderen Seite feiert Zwickau und das dortige Gymnasium gerade mit einer Festwoche sein 25-jähriges Bestehen. Bundesverfassungsrichter Peter Müller kommt, am Freitagabend findet eine große Veranstaltung statt, es gibt Gottesdienste.

Die Katholische Akademie Dresden-Meißen wird dort mit dem Café Hoffnung präsent sein und Kaffee ausschenken. Wir werden so wie bei anderen Veranstaltungen - egal ob innerhalb der Kirche oder auf einem Marktplatz - ein Café anbieten, um mit Menschen über kulturelle und religiöse Verschiedenheit in einer Region, wo Religion völlig unbekannt ist, ins Gespräch zu kommen. Wir stehen in diesem Café mobil aber nicht nur auf dem Marktplatz, sondern wir bieten auch am Abend Diskussionsveranstaltungen an. Wir wollen mit den Leuten streiten, damit andere nicht die Chance haben, Ängste, vielleicht auch Hass zu schüren. Das ist der Versuch.

Zum Rechtspopulismus: Gestern ist es zu Rangeleien gekommen, weil jemand die Schärpe eines AfD-Kranzes abgesägt hat. Die AfD bewegt sich in einem demokratischen Parteienspektrum, aber ich sehe bei der AfD eine Sprache, der Gewalt innewohnt, mit vielen Zuspitzungen, die ins Populistische gehen und teilweise Menschen verunglipmfen. Die nicht per se rechtsextrem sind, die aber eine Spirale anfeuern, die im Ernstfall zu Rechtsextremismus und auch zu Hass führt, der in unserer Gesellschaft nicht förderlich ist.

Ich bin fest davon überzeugt: Wir müssen Wege finden, die für Einheit und Frieden sorgen und die nicht mit Populismen den Hass noch befeuern.

Das Gespräch führte Katharina Geiger.


Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen / © Oliver Killig (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)

Neuer Gedenkort für Opfer des NSU in Zwickau / © Peter Endig (dpa)
Neuer Gedenkort für Opfer des NSU in Zwickau / © Peter Endig ( dpa )

Ein Mann legt eine Rose auf den Gedenkstein des 4. Opfers des NSU, Habil Kilic / © Peter Endig (dpa)
Ein Mann legt eine Rose auf den Gedenkstein des 4. Opfers des NSU, Habil Kilic / © Peter Endig ( dpa )
Quelle:
DR