Wie kann die Kirche im Internet erfolgreich sein?

"Wir müssen deutlich anders sein"

Internet und Social Media haben unsere Gesellschaft nachhaltig verändert. Welchen Platz nehmen da aber die Kirchen ein? Social Media-Experte Jens Albers blickt auf Digitalisierung, die Pandemie und Fake News.

Jens Albers / © Nicole Cronauge (Bistum Essen)

Himmelklar: Das Bistum Essen gilt als Vorreiter im Bereich Social Media in der Kirche. Regelmäßig generieren Sie Aktionen, deren Reichweite weit über kirchliche Kreise hinaus geht. Wie schaffen Sie das? Was machen Sie anders als andere?

Jens Albers (Onlineredakteur und stellvertretender Pressesprecher im Bistum Essen): Wir haben das Verständnis, dass wir einfach deutlich anders sein müssen. Vieles, was man von der Kirche im Internet sieht, erinnert an einen schlecht kopierten Handzettel. Wenn ich dann gefragt werde: Wie kommt ihr an eure Ideen? Dann sage ich immer ganz gerne: Leute, holt euch Inspirationen, aber holt euch die Inspiration bitte nicht bei der Kirche. Schaut einfach, dass ihr zum Beispiel dem großen Mediamarkt oder der regionalen Medienkette folgt, dass ihr den regionalen oder den Bundesligavereinen folgt, dass ihr Accounts wie der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) folgt. Denn wenn wir an unsere Zielgruppe denken, dann sind es dort ja die wenigsten, die die jüdische Gemeinde, die evangelische Gemeinde und die Altkatholiken abonniert haben. Es sind halt die anderen Player, mit denen wir in den Aufmerksamkeitswettstreit treten müssen.

Deswegen sollten wir uns besser von ihnen inspirieren lassen, damit wir in gewisser Weise auf der Ebene mitspielen können, was wir natürlich nicht immer können, weil die Budgets dahinter ja viel größer sind. Aber dass man sich das einfach so ein bisschen als Benchmark setzt und nicht den Flyer bei Facebook postet.

Himmelklar: Das heißt, dass man sich als Kirche immer ein bisschen reinmogeln muss? Dass die Leute nicht im ersten Moment kapieren: Da steckt Kirche dahinter.

Albers: Ich glaube nicht, dass es ein Reinmogeln ist. Wir sprechen von Kontextualisieren. Da kann man jetzt sagen, das ist einfach nur ein schöneres Wort dafür. Finde ich aber nicht. Wir folgen einfach unserem Auftrag: Wir hören zu, was die Menschen gerade bewegt und schauen, wie wir da mitspielen können. Das aber nicht mit der Maßgabe, mit der wir, glaube ich, seit vielen Jahrhunderten unterwegs sind: Erstens: Du kommst zu uns, wenn du was willst und zweitens: wir wissen, was für dich gut ist und sagen dir das jetzt. Es geht vielmehr darum, dass wir zuhören, was dich denn gerade so bewegt und dann schauen wir mal: Ist das was, wo wir eine Rolle spielen können?

Dann ist zumindest die Chance größer, dass man seine Blase verlässt. Ein Beispiel: Jeden Herbst wird das Jugendwort des Jahres verkündet. Vor ein paar Jahren war das "Ehrenmann" bzw. "Ehrenfrau". Das fiel in die Zeit von St. Martin. Da haben wir einen Post gemacht: Sankt Martin, Ehrenmann seit 1723 Jahren. Das ist ein Beispiel für diese Kontextualisierung, dass man einfach bei einem Kontext, der gerade sowieso viral ist oder der in der Aufmerksamkeitsebene der Menschen da ist, schaut, dass man da mitspielt.

Klar heißt das oft auch so ein bisschen reinmogeln und nicht direkt sagen, dass wir Kirche sind. Ich glaube aber, dass man schon auch mit Kirche unterwegs sein kann, nur nicht mit den Präsentationsformen, die wir über Jahrzehnte erlernt haben. Ganz häufig sind das Formate, die schon Face-to-Face über Jahre nicht mehr wirklich funktionieren, an denen man aber noch festhält – und jetzt macht man sie irgendwie digital. Da denke ich, es hat ja schon einen Grund, warum das analog auch nicht funktioniert. Und nur weil ich es jetzt digitalisiere, wird es nicht besser.

Himmelklar: Hat sich das in der Pandemie geändert?

Albers: Ich finde schon, dass die Pandemie einen riesigen Schub gegeben hat. Einen Schub vor allem dahingehend, dass wir wie selbstverständlich digital unterwegs sind, dass wir jetzt beispielsweise im Bistum Essen eine neue Dienstvereinbarung haben, mit der wir einen großen Teil unserer Arbeit im Homeoffice verbringen können, auch nach den Pandemiezeiten, sofern es die mal irgendwann gibt, aber ich hoffe ja schon. Ich finde auch, vor Ort ist einfach viel mehr das Verständnis dafür gewachsen, dass digital da auch was geht.

Allerdings sehe ich das auch nicht ganz unkritisch. Vieles, was da so mit großer Initiative und Kreativität irgendwie schnell entstanden ist, was ja in der Notsituation auch irgendwie gut war, hätte eigentlich noch mal eine Review-Schleife oder Evaluationsphase gebraucht, um zu schauen: Was mache ich damit und passt das wirklich? Ich finde, jetzt ist die digitale Kommunikation an einem Punkt angekommen, wo es gefühlt schon eine gewisse Normalität ist, sich per Zoom zusammen zu schalten. Und das hat den Status von "es ist alles neu, deswegen kann es noch holprig sein" mittlerweile verlassen und muss einfach auch einen gewissen Standard haben.

Ich bin ein großer Freund davon, zu unterscheiden zwischen digitaler Glaubenskommunikation und digitalisierter Glaubenskommunikation. Ich finde, dass vieles von dem, was in der Pandemie so enstanden ist, keine digitale Glaubenskommunikation ist, sondern digitalisierte. Man hat etwas, was sowieso schon da ist, einfach nur digital dargestellt, indem ich mich vor Zoom setze oder indem ich die "Live gehen"-Funktion auf meinem Handy entdeckt habe, aber nicht an die eigentlichen Bedürfnisse oder die Art der Kommunikation im digitalen Raum angepasst. Das ist der Punkt, an dem wir momentan stehen, dass wir da gut schauen müssen: Was kann da auch geleistet werden? Und es ist wichtig, dass man auch wirklich den digitalen Raum als pastoralen Raum versteht, wo es auch eigene Gesetzmäßigkeiten gibt, so wie es für eine Jugendkirche ja auch eigene Vorgaben oder eigene Konzepte gibt, wie ich dort Pastoral mache, so braucht es die im digitalen Raum auch.

Himmelklar: Trotz der Begeisterung und der Chancen kann man ja nicht ausklammern, dass über dem ganzen Thema Social Media gerade eine riesige schwarze Wolke schwebt. Von der Entstehung von Verschwörungsmythen über Kleingrüppchen, die sich in ihren Blasen isolieren und nichts mehr mit Fakten zu tun haben, bis hin zu Shitstorms, die aus allerlei Ecken und Enden ankommen. Also diese Begeisterung, die es vor zehn Jahren über Facebook und Twitter und Co. gab, hat sich ja ein bisschen gedreht. Es klingt ja so schön, mit den Leuten in Kontakt zu treten, aber ist das wirklich der ideale Weg? Wir erleben ja im Moment eher die negativen Konsequenzen.

Albers: Ich glaube einfach, dass Internet und Social Media den Kindergeburtstag verlassen haben und in der Realität angekommen sind. Ich kann das, was Sie gerade gesagt haben, nachvollziehen, sehe das auch kritisch und finde es auch wichtig, dass man das auch kritisch benennt und nicht ausblendet. Aber es gibt zwei Aspekte, die, wie ich meine, dagegensprechen.

Zum einen finde ich das Internet zu wichtig, um es diesen Gruppen zu überlassen und sich da nicht aktiv zu engagieren und vielleicht durch einen Gegenpol, den man bildet, eine andere Stimme einzubringen. Zum anderen meine ich, dass es ein queres Bild von Kirche wäre, wenn wir uns deswegen entschließen würden,  uns da nicht so zu engagieren oder  das wieder eher zurückzufahren. Nur weil da gewisse Gruppen oder gewisse Menschen das ganze gerade für ihre Verschwörungsideen nutzen oder was auch immer, wäre das ein schräges Bild, wenn wir als Kirche da nicht sind. Dann könnten wir die Kirche auf St. Pauli auch abreißen.

Das ist halt Realität: Ja, das Internet befördert das und die Sozialen Medien sind ein Brandbeschleuniger gewesen, glaube ich, aber trotzdem ist es ja Realität. Und ehrlich gesagt, ob wir als Kirche da sind oder nicht, die Menschen bleiben ja trotzdem da. Auch die Menschen, die nicht in diesen Verschwörungszirkeln oder für irgendetwas Negatives dastehen. Ich meine, dass gerade die  doch auch das Anrecht haben, dass wir als Kirche für sie da sind, wenn sie uns suchen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema