DOMRADIO.DE: Depressionen betreffen häufig Männer. Im Seniorenalter steigen die Betroffenenzahlen. Dann spricht man von einer Altersdepression. Hat das mit dem Bedeutungsverlust zu tun, weil der Mann in der Rente nicht mehr gebraucht wird?
Willibert Pauels (Diakon und Büttenclown): Das ist eine der Möglichkeiten in diese unheimliche Krankheit der Depression rein zu rutschen. Es gibt nicht die Altersdepression, sondern wie fast immer mehrere Formen.
Vor dreizehn Jahren, im Jahr 2012, ging ich selbst durch eine Depression und hatte damals endlich den Entschluss gefasst, in eine Klinik zu gehen. Restlos geheilt wird man jedoch nie.
Der schwarze Hund - ein schöner poetischer Begriff für diese unheimliche Krankheit, die einen da anspringt. Der schwarzer Hund grummelt manchmal noch, aber er ist eingehegt.
Allein jeder fünfte Mensch in Deutschland erlebt einmal in seinem Leben eine Depression. Die anderen vier - sagt mein Freund Manfred Lütz - kennen jemand, der an einer Depression leidet. Das heißt, es ist eine Volkskrankheit, die aber immer noch unter dem Mehltau der Scham verborgen ist. Aber das ist Unsinn, denn es ist eine Krankheit.
DOMRADIO.DE: Das Thema Depression ist immer noch tabuisiert. Der ehemalige Trigema-Chef Wolfgang Grupp hat sich in der vergangenen Woche zu seinem Suizidversuch geäußert. Wie wichtig ist es, darüber zu sprechen?
Pauels: Das ist ganz wichtig. Wolfgang Grupp hat eine gewisse Prominenz. Deswegen bin ich ihm dankbar, dass er das öffentlicht gemacht hat. Denn das ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer Heilung von dieser - ich sag es zum dritten Mal - unheimlichen Krankheit.
Man weiß überhaupt nicht, woher die Krankheit kommt und was eine Depression ist. Wenn es nur Antriebslosigkeit wäre, aber es ist völlige Niedergeschlagenheit und Traurigkeit bis zu dem Entschluss, dass es besser sei, wenn man nicht mehr da ist.
Der erste Schritt ist zur Depression zu stehen und die Krankheit zu einem Thema zu machen. Das ist der erste Schritt zur Heilung. Von daher war es gut, dass der Herr Grupp das gemacht hat.
DOMRADIO.DE: Du hast deine Erkrankung damals auch zum Thema gemacht. Du hast ein ganzes Buch darüber geschrieben. Welche Reaktionen haben dir damals geholfen? Was war kontraproduktiv?
Pauels: Das Kontraproduktivste ist: "Nun reiß dich doch mal zusammen!" Oder "Schau doch mal, wie gut es dir geht. Du hast einen tollen Beruf, du hast Erfolg." Das stößt einen nur noch tiefer in die Depression, weil man das Gefühl hat: "Mein Gott, ich bin der totale Versager." Objektiv geht es einem gut, aber subjektiv ist es etwas anderes. Diese sogenannten Zusprüche erreichen einen gar nicht.
Ein bekannter Depressiver war Martin Luther. Der hat die Depression - die damals noch Schwermut hieß - Satans Bad genannt. Als würde man von Satan in eine Brühe runter gedrückt, Man kriegt gar nichts mehr mit. Man ist unter Wasser, unter der Brühe und es reicht nichts mehr.
Es weiß kaum einer, aber eine Depression ist sehr gut behandelbar. Es gehört zu den Krankheiten, die gut behandelbar sind. In meiner Umgebung haben damals alle positiv reagiert. Auch meine Kollegen, die Blääck Fööss schrieben mir in die Klinik.
Die hatten einen schönen Hit, der hieß "Alles Kann Ich Ligge, nur nit, wemmer mich driev" - "Alles kann ich leiden, nur nicht, wenn man mich treibt". Dabei geht es um Aussagen, wie "Reiß dich doch mal zusammen" und so weiter.
Aber das einzige was hilft, ist eine professionelle Behandlung in einer professionellen Umgebung. Die Klinik war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
DOMRADIO.DE: Sie haben Martin Luther angesprochen. Man würde denken, dass gerade große Gottesmänner von dem Glauben durch diese dunklen Gedanken, durch das Grübeln hindurch, durch die Unruhe und die Ängste getragen werden. Wie haben Sie das erlebt? Ist der Glaube Ihre Stütze?
Pauels: Nein. Ich kann als Beispiel nicht nur Martin Luther vom Protestantismus nehmen. Die heilige Teresa von Ávila hat fast 30 Jahre an Depressionen gelitten. Dann ist sie - der Himmel weiß warum - befreit worden als erwachsene Frau. Sie konnte dann ihre schönen Text schreiben. "Solo Deo Basta" übersetzt heißt das "Gott allein genügt". Basta.
Sie hat ihren Mitschwestern folgenden Rat gegeben: Wenn eine Mitschwester an Schwermut leidet, soll sie nicht beten. Denn in dem Augenblick des Betens wird das Grübeln abgelöst. Das ist in dem Fall keine Hilfe, weil man sich auch im Gebet damit beschäftigt und man sich weiter in die Depression reingräbt.
Sie hat gesagt: sie sollen sich zerstreuen, auf andere Gedanken kommen. Das ist hochinteressant und gerade Menschen, die tiefreligiös sind, sind gleichzeitig sensibel. Die Engländer haben einen schönen Spruch, der heißt: "No brain, No pain". Wenn du dir keine Gedanken machst, hast du auch keine Gedankenqual.
Einer der größten Texte über Depressionen stammt von dem auch an Depressionen leidenden Goethe. Faust läuft in seiner Studierstube und schreit seinen Grübelzwang raus.
Der schreit dann regelrecht: "wie werde ich die Gedanken los, die mich hinüber und herübertreiben". An anderer Stelle heißt es: "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten". Diese Gestalten sind wie Dämonen, wie die Dementoren bei Harry Potter, die saugen dir die Seele aus.
Das ist einer der Wege zur Heilung, sich mit einer professionellen Kraft, in dem Fall Psychotherapeutinnen oder Therapeuten, zusammenzusetzen, wie kriege ich mein Gedankenkarussell weg? Das ist aber nur ein Weg.
Das zweite ist Psychiatrie, das heißt gute medikamentöse Einstellung. Denn es hat auch eindeutig etwas mit Botenstoffen und mit einer Stoffwechselstörung im Gehirn zu tun. Die Psychiatrie und die Psychotherapie sind die beiden Flügel, die einen wie den Phönix aus der Asche der Schwermut und der Todesgedanken hinausheben kann.
Das Interview führte Elena Hong.