Wie man als evangelischer Pfarrer in Rom lebt und arbeitet

Und dann kam der Papst zu Besuch

Mitten in Rom befindet sich eine kleine evangelische Gemeinde. Das Miteinander mit den Katholiken läuft allerdings einiges besser, als zwischen Galliern und Römern in den Asterix-Comics, weiß Pfarrer Michael Jonas zu berichten.

Papst Franziskus empfängt Pfarrer Michael Jonas, Vorsitzender der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus empfängt Pfarrer Michael Jonas, Vorsitzender der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Gespräch zum Anhören gibt es hier:

Himmelklar: Es gibt einen Moment in Ihrer Gemeinde, der Geschichte geschrieben hat. Im Jahr 2015 hat Papst Franziskus die Christuskirche und die evangelische Gemeinde in Rom besucht. Das hatte einen sehr hohen symbolischen Charakter, weil er einerseits dieser evangelischen Gemeinde einen Abendmahlskelch geschenkt hat, auf der anderen Seite aber auch zum gemeinsamen Kommunionbesuch konfessionsverbindender Familien gesagt hat: Macht das mit eurem eigenen Gewissen aus. - Was bekommen Sie davon mit, wie der Papst zur evangelischen bzw. lutherischen Kirche steht? Wie blickt er auf diese andere Konfession?

Michael Jonas / © Marco Bonomo  (KNA)
Michael Jonas / © Marco Bonomo ( KNA )

Michael Jonas (Pfarrer der evangelischen Gemeinde Rom): Dieser Besuch damals 2015 war noch vor meiner Dienstzeit, aber die Wirkungen sind durchaus noch zu spüren, auch diese große Entspanntheit und die Sympathie gegenüber der lutherischen Kirche hier in Rom. So wie ich Franziskus kennenlernen durfte, ist das auch eine grundsätzliche Offenheit des Papstes.

Er hat in seiner Biografie, das hat er mir auch erzählt, immer positive Erfahrungen mit Lutheranern gemacht – schon in Argentinien. Es scheint also eine Konfession zu sein, die bei ihm durch die guten Erfahrungen einen Vertrauensvorschuss hat. Er hat da nie große Irritationen erlebt und entsprechend ist er da auch sehr offen. Wir versuchen natürlich, nicht neue Irritationen zu starten, sondern diesen Vertrauensraum zu nutzen, zu füllen und weiterzuführen.

Das ist aber auch nicht nur bei ihm persönlich so, sondern ich erlebe das schon allgemein hier in der Kurie, dass die Lutheraner als Konfession des protestantischen Spektrums gelten, die verlässlich sind und nicht die größte Baustelle darstellen, sondern die durch die gemeinsamen Erklärungen und ökumenischen Dokumente dem Katholizismus relativ nahe stehen. Also es gibt durchaus auch Sachen, die zu klären sind und auch Differenzen, da sind wir auch nicht zu optimistisch, aber ich denke, wir gelten durchaus als Partner, bei dem man nicht dauernd die nächste Polemik erwarten muss.

Das sieht man zum Beispiel immer an der Sitzordnung, wenn ich eingeladen bin. Man sitzt immer im Altarraum in so einer Apsisrundung und meistens sitzt ein Kardinal oder Bischof der Liturgie vor. Dann werden die ökumenischen Mitzelebranten rechts und links angeordnet, rechts die orthodoxen Geistlichen und auf der linken Seite der Protestantismus. Da kommen dann immer erst der anglikanische Vertreter und dann die lutherische Repräsentanz, und dann kommen alle anderen Konfessionen der Reformationskirchen. Daran sieht man so ein bisschen, welche Nähe besteht. Also Anglikaner und Lutheraner sind aus römischer Sicht sehr nah dran und werden als vertrauensvolle Gesprächspartnerkirchen gesehen.

Himmelklar: Was ja auch aus theologischer Sicht so ist, dass das wahrscheinlich die zwei Konfessionen sind, die am nächsten dogmatisch dran sind.

Jonas: Von der Dogmatik, aber auch von ihrer Geschichte. Wir sind klassische Reformationskirchen. Da teilen wir ja leider auch die gemeinsamen Probleme, dass die historischen Kirchen gerade nicht als die lebendigsten gelten in Europa und der Nordhalbkugel.  

Himmelklar: Hat dieses Zitat beim Papstbesuch, bei dem es um die konfessionsverbindenden Ehen geht, Folgen in Ihrer Gemeinde gehabt? Ist das etwas, worüber Ihre Gemeindemitglieder heute noch sprechen? Das ist ja eine aktive Frage gewesen, die damals aus der Gemeinde gekommen ist – wie sollen wir damit umgehen? Stellen Sie heute fest, dass Sie bei dem Thema Abendmahlsfeier/Kommunionempfang tatsächlich entspannter sind dadurch, dass Sie diesen "Segen" vom Papst bekommen haben?

Michael Jonas, Pfarrer der evangelisch-lutherischen Christusgemeinde in Rom / © Marco Bonomo (KNA)
Michael Jonas, Pfarrer der evangelisch-lutherischen Christusgemeinde in Rom / © Marco Bonomo ( KNA )

Jonas: Ich würde es nicht so hoch hängen, denn es war ja innerhalb eines Gespräches. Die kirchenrechtliche oder dogmatische Absicherung dieses Zitats oder dieser Äußerung ist ja gewissermaßen offen. Deshalb steht es einfach im Raum.

Ich würde es jetzt auch als evangelischer Theologe nicht zu sehr belasten und sagen, darauf könnt ihr euch verlassen, macht das mal. Ich erlebe aber auch in der Christuskirche – und das ist das einzige, was ich steuern kann – dass bei unseren Abendmahlsfeiern Katholikinnen und Katholiken, wenn sie nach ihrem Gewissen frei dazu sind, auch daran teilnehmen. Wir drängen da aber niemanden, sondern verwenden die Formulierung: Alle getauften Christen sind eingeladen. Ich erlebe auch, dass italienische Katholiken teilnehmen, aber durchaus auch welche nicht. Und da wird auch kein Druck gemacht, wer nicht zur Kommunion möchte, der muss auch nicht.

Da ist jedem selber überlassen in diesem Gewissensfreiraum, ob er oder sie möchte. Die Einladung steht von uns aus und darf von lutherischer Seite auch dogmatisch stehen. Aber ich verstehe selber seelsorgerlich natürlich auch, wenn Katholiken sagen: Nein, das stimmt nicht mit dem Regelungsstand meiner Kirche überein, ich möchte mich da zurückhalten.

Wir klären das durchaus auch vorab, meistens wenn es Priester und Bischöfe betrifft, die bei uns zu Gast sind. Wir wollen keine Irritation schaffen oder Peinlichkeiten. Das kann durchaus peinlich werden, wenn jemand die Kommunion verweigert.

Ich würde auch niemals bei der Abendmahlsausteilung einem katholischen Bischof gegenübertreten und ihn in diese Situation zwingen, dass er die Kommunion abwehren muss. Das klärt man vorher. Und dann wird auch nicht eisern bei sich auf dem Platz sitzen geblieben und gesagt, jetzt ist Abendmahlsfeier, jetzt sind wir raus. Wir können das nicht gemeinsam feiern und auch nicht empfangen, aber wir können uns zumindest in dieser Situation den Frieden zusprechen und tun nicht so, als sei der andere nicht im Raum.

Himmelklar: Würden Sie sagen, das ist auch was, wo man sich im größeren ökumenischen Kontext etwas von abgucken könnte? Guckt weniger auf das Dogma, sondern redet einfach miteinander!?

Jonas: Ja, in dem Sinn, dass wir die Dogmatik nicht zurückstufen oder für unwichtig erklären. Wir haben noch Unterschiede. Und wir haben auch in beiden Konfessionen Christen, die darauf bestehen und denen das sehr wichtig ist. Das muss man auch respektieren. Das einzige, was ich jetzt wirklich wichtig fände, wären diese Vorabsprachen, diese „Regie-Absprachen“. Zu fragen: Wie wirkt das denn bei großen Treffen und bei öffentlichkeitswirksamen Gottesdiensten? Da kann man nicht einfach in die Abendmahlsfeier und die Kommunion rein stürzen und denken, das machen wir einfach mal.

Da muss man sich auch vorher überlegen, welche Bilder wir da produzieren. Bei den Osterfeierlichkeiten haben wir etwa bei der Ostervigil bei uns auch immer befreundete Priester und Ordensleute.

Dann sind es auch intensive Momente, wenn man da kommuniziert und die Abendmahlsfeier auch emotional sehr wichtig ist und liturgisch schön inszeniert. Da finde ich es wichtig, vorher zu sagen: Ihr sollt mit im Kreis stehen, ihr sollt an dieser Gemeinschaft zeichenhaft teilhaben, aber ihr werdet nicht kommunizieren, sondern wir sprechen uns dann ein Segenswort zu. Genauso bei Tauferinnerungen, da gibt es Formen, die wir durchaus gemeinsam machen können. Das sind dann wirklich Glücksmomente, die mich auch persönlich sehr rühren.

Auch auf der anderen Seite: Bei der Eucharistie gibt es eben noch Vorbehalte, die ich schon auch ernst nehme und nicht sagen möchte, wir preschen einfach vor, wir machen das einfach, sondern wir machen es in einer Weise, bei der sich niemand auf den Schlips getreten fühlt oder überfordert. Das finde ich sowieso bei jeder Abendmahls- oder Eucharistiefeier wichtig. Ich finde, wir dürfen auch nicht immer so eine Zwangskommunion haben. Nicht jeder, der in der Kirche sitzt, muss unbedingt.

Wer die Freiheit hat, der darf gerne bei uns zum Abendmahl kommen – auch als Katholik. Aber wer sagt: Nein, das ist für mich noch nicht stimmig, der wird es auch nicht als negativ spüren, wenn er sitzen bleibt. Das ist auch ganz wichtig. Ein katholischer Freund sagte mir einmal, die Kommunion darf keine „geistliche Schluckimpfung“ sein, an der jeder unbedingt teilnehmen muss. Das gilt ja für jeden Katholiken oder Protestanten auch in den Gottesdiensten seiner eigenen Konfession. Das eigene Gewissen spielt ja nicht nur im Blick auf die Ökumene eine Rolle, sondern für mein ganzes Leben. So möchte ich jedenfalls die Äußerung von Papst Franziskus auch verstehen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Himmelklar: Der katholische Podcast

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Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
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